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Popkultur

Ist 'Helden'-Regisseur Hansjörg Thurn der neue Uwe Boll?

BILD: Der schlechteste Film des Jahres. SPIEGEL: Die Acht-Millionen-Euro-Katastrophe. SZ: Tag der deutschen Gurke DIE WELT: Bumm! Krawumm! Boah. Häh? Stöhn. Würg!—Wer begeht solche Verbrechen am Film? Wir haben mit dem Regisseur vom RTL-Desaster...

Foto: RTL

Am 3. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit, lief auf RTL zur besten Sendezeit der Film Helden—Wenn dein Land dich braucht. Hansjörg Thurn ist durch Drehbücher zu Schimanski, aber als Regisseur vor allem mit seiner Verfilmung des beliebten Prostituierten-Epos Die Wanderhure und dem Sequel Die Rache der Wanderhure bekannt geworden. Leider konnte Thurns neuestes Werk nicht an die Erfolge seiner schlüpfrigen Vorgänger anknüpfen und ist von der Presse reihenweise zerrissen worden. Zwar fanden die Kritiker auch die Reisenutte grauenvoll, aber damals stimmten zumindest die Einschaltquoten. Um herauszufinden, ob es daran lag, dass Helden und Gebrauchtwerden in Deutschland schlechter ankommen als Wandern und Rumhuren, baten wir den Filmemacher um eine Erklärung für die Katastrophe.

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Hansjörg Thurn via

VICE: Guten Tag, Herr Thurn. Wie fühlt es sich an, den schlechtesten Film des Jahres gemacht zu haben?
Hansjörg Thurn: Man geht ja nicht naiv in sowas rein. Ich wusste, dass die FAZ mich hassen würde. Aber die totale Medienschelte von allen Seiten hat mich tatsächlich überrascht. Wo die unglaubliche Wucht der Aggression und Häme herkommt, da bin ich mit meiner Analyse auch noch nicht durch. Aber ja, wir sind von der BILD zum schlechtesten Film des Jahres gekürt worden. Ist auch mal was.

Wieso, meinen Sie, wird Ihr Film so gehasst?
Meine Theorie ist einfach. Wenn ein Sender wie RTL sich eines wissenschaftlichen Themas annimmt, aber auf eine sehr populistische Art und Weise, eben nicht tiefschürfend, dann passt das den Leuten nicht. Die haben sich gefragt, ob wir im Land von Schlegel, Lessing, Schiller und Goethe sowas am Leben lassen dürfen.

„Herr, die Not ist groß, die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los!“ Das ist ja ein altes Thema. Aber wieso das mit dem pathetischen Titel Helden—Wenn dein Land dich braucht interpretieren? Man hätte den Film ja auch Yvonne Catterfeld und das Schwarze Loch nennen können.
Es wäre leicht gewesen, tiefer in die Materie einzusteigen, aber wie genau sowas physikalisch abläuft, interessiert uns ja einen feuchten Kehricht. Das ist Popcorn-Kino, wie der Emmerich das macht. Jetzt mal 2,5 Stunden, wo nicht nur Leute totgeschossen werden, sondern wo es um was Positives geht, die Rettung der Welt. Es geht um eine einfache filmische Metapher: Wir sind heute in der Lage, unseren Planeten zu vernichten. Wie gehen wir damit um?

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Foto: RTL

Aber der Film dreht sich doch weniger um die Frage, wie wir mit der Wissenschaft umgehen sollen, als darum, wie Max Mustermann die Katastrophe patriotisch bewältigt.
Mich faszinieren zwei Aspekte. Einmal die Hybris der Wissenschaft. Wir Menschen müssen dafür sorgen, dass die Dinge wieder ins Reine kommen. Und zweitens wollte ich Leute wie den Bäcker, den Müllmann, den Kfz-Mechaniker, die aus meiner Straße eben, mit dem Film erreichen. Das ist ja ein Kaleidoskop von normalen Menschen. Sie können mir glauben, wir haben viele Seiten des Problems gewälzt, aber wir müssen einfach die Sprache sprechen, die das Publikum versteht.

Und haben Sie das geschafft?
Ehrlich gesagt bin ich mit den Einschaltquoten nicht zufrieden. Circa 18 % Marktanteil bei den 14-45-Jährigen und insgesamt 3,8 Millionen Zuschauer sind eigentlich zu wenig. Ich hätte 5 bis 6 Millionen erwartet.

Bleibt also die Frage, warum es selbst in der Masse nicht funktioniert hat. Helden nimmt sich ja amerikanische Katastrophenfilme wie z.B. Independence Day zum Vorbild. Aber kann das überhaupt funktionieren? Viele Deutsche und Amerikaner finden Britney Spears gut, aber wenn ich die Lyrics übersetze, hört sich das furchtbar kitschig an. Ist das bei Ihrem Film vielleicht auch so?
Wir sind durch US-Popmusik, amerikanische Burger und US-Filme sozialisiert. Wir lieben das. Wir sind zwar das Land von Tatort und sozialkritischen Filmen, aber die Frage ist doch, ob wir als Deutsche nicht versuchen dürfen, andere Genres auszuprobieren. Ich finde schon. Als ich die Wanderhure gedreht habe, gab’s in Deutschland den historischen Film gar nicht mehr. Trotzdem hatten wir damit 10 Millionen Zuschauer. Es kann funktionieren, aber man weiß das erst, wenn man es ausprobiert hat.

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Foto: RTL

Ja, aber die Wanderhure ist ja ein pseudo-historischer Stoff und in Deutschland wird doch mit einem rückblickenden Auge ferngesehen. Auch international erzählen sich deutsche Stoffe hauptsächlich über die Weltkriege und ihre Konsequenzen. Nicht zuletzt deswegen ist der Begriff Held hierzulande belastet. Kann man das alles einfach ignorieren und erwarten, mit nationalem Pathos und Deutschlandfähnchen Erfolg zu haben?
Das Gefühl dafür existiert doch. Es gab ja diese berühmte Weltmeisterschaft. Jeder im Land hat dabei mitgemacht. Wie bunt und positiv ist das, wie wunderbar, haben alle gesagt.

Vielleicht gibt es ja jenseits von Hochkultur und Massenphänomen einen Platz für Helden als Kult-Trash?
Früher wäre das vielleicht möglich gewesen. Aber damals hatte ein Film ja auch noch Zeit, zum Kult zu wachsen, so dass sich die ganze Kraft des Kunstwerks entfalten konnte. Heute ist die Halbwertszeit zu kurz.

Gibt es denn irgendwas, mit dem Sie unzufrieden sind?
Das Ende ist leider ein Kompromiss: Das Set am See ist bei einem Wolkenbruch weggeschwommen. Die Protagonisten sollten zum Schluss nicht in eine Traumlandschaft, sondern durch eine zerstörte Straße laufen. Das hätte ich gerne anders gemacht.

Grundsätzlichere Probleme sehen Sie nicht?
Wenn wir als Macher Fehler gemacht haben, dann das an dem Sender RTL zu hoch aufgehangen zu haben. Aber normalerweise können die weniger ernsthaften Medien das goutieren. Am Anfang hatten die Fernsehzeitungen auch durchweg positive Rezensionen. Wir haben definitiv Leuten vors Schienenbein getreten, die sich in ihrer Intelligenz angegriffen gefühlt haben.

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Tut es eigentlich weh, wenn man von jeder Zeitung, die man aufschlägt, eine gescheuert bekommt?
Ich mache den Beruf, um Leute zu erreichen. Entweder erreicht man möglichst viele Menschen oder einige wenige wirklich intensiv. Wenn man damit einfach vor eine Wand fährt, dann mach ich halt einfach nächstes Mal wieder einen Tatort.

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