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Russische Staatsmedien machen lieber Katzenreportagen, als über die Hooligan-Ausschreitungen zu berichten

Aber vielleicht unterschätzen wir auch die weltpolitische Relevanz von kleinen Miezekatzen. In Marseille mit Stühlen eingeschlagene Köpfe sind anscheinend heiße Luft dagegen.

Screenshot: Instagramm bzw. RTs-Katzenreprotage

Jaja "Die Medien", "Die Lügenpresse", große Schlagworte wie "Das System" oder "Die da oben". Hinter diesen Wortblasen sitzen natürlich immer konkrete Menschen, die schreiben, publizieren oder die Wahl treffen, lieber zu dem einem Thema zu schweigen und den journalistischen Fokus auf kleine Miezekatzen zu legen.

So geschehen bei RT Deutsch und ihrer Positionierung zu den Ausschreitungen während des EM-Spiels England gegen Russland. RT, der Medienkanal des russischen Staates, hat auf seinem deutschen Ableger sechs "Artikel" zu der konkreten Straßenschlacht England gegen Russland gebracht. Klingt nicht schlecht, nur kommen sie alle nicht über fünf Sätze hinaus. Der erste Bericht "Frankreich: Polizei feuert mit Tränengas auf Fußballfans in Marseille" schafft es auf inhaltsträchtige zwei Sätze samt einem zweiminütigen Clip, der unkommentiert mit der Original-Tonspur vor sich hinplätschert. In der Summe kommen alle sechs Artikel auf insgesamt 20 Sätze und nur einer der Clips ist kommentiert. Im Gegenzug haute RT Deutsch eine Katzenreportage über das Leben der Vierbeiner und ihr Treiben als Museumswächter der Petersburger Eremitage heraus—38 Sätze.

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Screenshot: RT Deutsch

Dabei stellt sich die Frage, wer, wenn nicht RT mit dem gesamten russischen Staat im Rücken, die Möglichkeit hätte, für Aufklärung zu sorgen—sprich: ob, wer und wie viele der Schläger bei den Ausschreitungen tatsächlich Russen waren. Denn RT verfügt nicht nur über die ideale Infrastruktur auf politischer Ebene, sondern auch das nötige Kleingeld, um sich so einer Sache anzunehmen. Der Laden wird redaktionell nicht von einem Chefredakteur mit abgebrochenem Germanistikstudium, zwei Praktikanten und einer Jungjournalistin mit einem Bachelor im Kreativen Schreiben an der Fernuni Darmstadt zusammengehalten, nein:RT hatte bereits 2012 rund 2.000 Mitarbeiter und ein Jahresbudget von 250.000.000 Euro. Sie könnten Licht ins Dunkel bringen.

Denn während sich die Weltpresse mehr oder minder darauf geeinigt hat, dass es Russen gewesen sein müssen, die während des Spiels England gegen Russland vom russischen Fanblock in den englischen Block schlagend rübermachten und auch außerhalb des Stadions mit den Engländern für Gewalt und Zerstörung sorgten, kocht die Verschwörungsküche in den Kommentatorenspalten hoch. Weil die Frage bleibt ja:

Und das Video einer GoPro-Kamera eines russischen Hooligans, der die Gewaltorgie filmte, hatte ja auch keine originale Tonspur drauf—das hätte demnach jeder sein können: paramilitärische Nazi-Ukrainer, niedersächsische Milchbauern oder paranatürliche CIA-Agenten, verkleidet als russische Hooligans, bloß, um Stimmung gegen Russland zu machen:

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Trotz all des ganzen Wahns unter den Kommentaren sollte man nicht den Fehler begehen und alles mit blankem Sarkasmus wegwischen, da es durchaus Fragen gibt, die berechtigt scheinen:

Screenshot: RT Deutsch

Wo sind die Schläger auf russischer Seite, wo doch alle Russen Visa und die Stadien Kameras haben?

Screenshot: Zeit-Online

Gut, man sollte nicht so ungeduldig mit der Polizei sein, denn auch sie braucht Zeit, um ihre Arbeit zu machen. Mittlerweile gab es auch die ersten Verhaftungen: 29 Russen hat man in einem Hotel bei Marseille überprüft und Abschiebehaft für einige von ihnen angeordnet, berichtet zum Beispiel Bild.

Dennoch ist es nicht leicht, in all dem Chaos durchzusteigen, und wem, wenn nicht der russischen Politik und ihren Medien, könnte daran gelegen sein, zur Aufklärung beizutragen, auf dass nicht einige wenige fanatische Schläger den Ruf einer ganzen Nation in den Dreck ziehen. Dafür müsste man aber natürlich zur Aufklärung bereit sein. Stattdessen feiern Politiker wie Parlamentsvizepräsident und Vorstandsmitglied des russischen Fußballverbands Igor Lebedew die Aktion als einen Triumph: "Ich kann nichts Schlimmes an kämpfenden Fans finden. Im Gegenteil, gut gemacht, Jungs. Weiter so!" Und einer der größten Medienkanäle des Lande bündelt seine journalistischen Ressourcen für die Produktion von Katzenreportagen in der Eremitage.

Aber vielleicht unterschätzen wir auch die weltpolitische Relevanz von kleinen Miezies in geschichtsträchtigen Gemäuern und ohnehin ist ja jedem selbst überlassen, was er mit seinen Mitteln anstellt; nur dann darf man sich nicht wundern, wenn international eine anti-russische Stimmung entsteht und im Internet Theorien über paramilitärische Milchbauern aus Langeoog kursieren, wonach sie die echten Täter bei den Hooligan-Ausschreitungen in Marseille gewesen seien. Obwohl … , diese Deutung müsste Putin eigentlich gelegen kommen.