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Was die ,Internationale‘ bei den Salzburger Festspielen über unsere Protestkultur aussagt

Das Ensemble der Salzburger Festspiele hat aus Protest gegen Heinz-Christian Strache die „Internationale" gespielt. Wichtig oder wurscht?

Die Kunst ist frei. Das ist gut so. Aber ist sie auch frei von Politik? Und wie sehr sollte sie sich zur Kritik ganz bestimmter Parlamentsparteien äußern? Diese Frage taucht aktuell wieder auf, nachdem das Ensemble der Salzburger Festspiele aus Protest gegen den Besuch von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus beim Jedermann die ersten Töne der „Internationalen" anstimmte.

Es war eine spontane Aktion, wie der Schlagzeuger und Jedermann-Formation Robert Kainar in den Salzburger Nachrichten erklärte. Nichts davon sei geplant gewesen, aber das Ensemble würde nach wie vor dazu stehen.

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Inzwischen tut es das allerdings ohne Rückendeckung der Festivalleitung. Die Festspiele distanzieren sich offiziell von der Aktion—der künstlerische Direktor Eric-Sven Bechtolf ließ in einer schriftlichen Stellungnahme wissen, dass „private oder politische Meinungskundgebungen der Künstler […] in keiner der Vorstellungen der Salzburger Festspiele die Billigung der Festspielleitung" haben.

Wer die Stellungnahme genau liest, bemerkt schnell die Gegenüberstellung, die hier gemacht wird: Das Private und Politische auf der einen Seite, das Kulturelle und Künstlerische auf der anderen.

Katharina Stemberger, die im Jedermann als „Schuldenknechts Weib" auftrat, sieht diese Trennung weniger streng. Auf ihrer Facebook-Seite teilte sie einen Bericht zu dem Vorfall, in den Salzburger Nachrichten sprach sie sich dezidiert gegen die Flüchtlingspolitik der FPÖ aus und sagte über das Ensemble: „Ich liebe diese Truppe!"

FPÖ-Chefpolemiker Herbert Kickl konterte über das bewährte Kommunikationsmittel der OTS-Aussendung (quasi das bezahlte WhatsApp der Parteien) und bezeichnete die Aktion als „lächerliche Selbstinszenierung linker Kulturzensoren". Heinz-Christian Strache ergänzt im Posting der OTS-Meldung auf seiner Facebook-Seite süffisant, „dass die Musikkapelle anwesende Nadelstreifsozialisten auf Ihre Wurzeln hinweisen wollte."

Aber das ganze nachträgliche Spin-Doctoring, das gerade in Wahlkampf-Zeiten natürlich auf so eine Aktion folgen muss, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus direkt nach der Aufführung keine Ahnung hatten, was sie da überhaupt hörten. Wie Der Standard berichtet, soll keiner der beiden FPÖ-Größen die Melodie der Internationalen überhaupt erkannt haben.

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Darüber kann man sich lustig machen, Strache-Kritiker können sich auf diese Art gegenseitig von ihrer intellektuellen Überlegenheit überzeugen. Aber es wirft eine wichtige Frage auf, die sich jeder Aktionismus und jede politische Kritik stellen muss: Wen will man eigentlich erreichen? Und ist Kritik gut platziert, wenn sie so subtil ist, dass sich die Gemeinten gar nicht gemeint fühlen?

Die Einlage des Festspiel-Ensembles zeigt offline, was wir online inzwischen alle als Facebook-Aktionismus in der Filterblase kennen: Protest ist nicht immer an diejenigen gerichtet, über die er sich aufregt. Nicht selten geht es auch um Selbstbeweihräucherung und ganz banales „Druck ablassen". Das ist nicht zwangsweise schlecht, man sollte sich aber dessen bewusst sein.

Die Frage, die sich jeder Aktionismus stellen muss: Wen will man erreichen? Und ist Kritik gut platziert, wenn sich die Gemeinten nicht gemeint fühlen?

Ein paar Takte aus der Internationalen sind für sich genommen noch kein wirklicher Aktionismus. Sie sind auch nicht gleich ein Zeichen für Ignoranz. Sie sind ein Symbol, das genauso mild wie die Festspiele und damit vielleicht die entscheidende Spur zu egal ist, um das, was es will, zu bewirken.

Aber selbst, wenn eine klassische Ensemble-Einlage von außen naturgemäß immer ein bisschen harmlos ist, sieht man an der Reaktion der Festivalleitung, dass so eine Aktion zumindest innerhalb der Blase (Festspiel-, nicht Facebook-) ihre Wirkung nicht verfehlt. Sie ist ein politischer Protest mit künstlerischen Mitteln—vielleicht nur für Kunstkenner, aber immerhin.

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Und sie zeigt noch etwas anderes auf. Denn künstlerischer Protest gegen Rechts ist in den letzten Jahren (zumindest im Zusammenhang mit großen Institutionen, also bei der sogenannten „E-Kunst") so selten geworden, dass selbst die Internationale bei den Salzburger Festspielen Schlagzeilen macht.

Schauen wir kurz ein bisschen weiter zurück: Als im Februar 2000 die schwarzblaue Koalition angelobt wurde, unterschrieben über 100 Künstler eine Petition mit dem Titel „Kulturnation Österreich" „Kulturnation Österreich", in der sie der FPÖ-ÖVP-Regierung die „moralische Qualifikation" absprechen, im Namen der Kunst zu sprechen.

Im selben Jahr boykottierten zahlreiche Ehrengäste den Opernball und Hubsi Kramar stieg in voller Hitler-Montur aus seiner Limousine, um zu verkünden: „Ich bin wieder hier." (In bester österreichischer Behördentradition wurden Kramar und sein Fahrer übrigens für die Aktion angezeigt—nicht wegen seinem offensichtlichen Protest gegen Rechts, sondern wegen Wiederbetätigung.)

Seit damals sind die Proteste gegen Rechts deutlich weniger geworden—was man einerseits mit dem Rückzug der FPÖ aus der Regierung, aber andererseits auch mit einem gewissen Gewöhnungseffekt erklären kann.

MOTHERBOARD: In Spanien geht Protest ein bisschen anders—und zwar mit Hologrammen

Im Burgenland regte sich diesen Juni ein kleiner Funken Protest gegen Rot-Blau, als der Autor Peter Wagner und Komponist Ferry Janoska verkündeten, dass sie den burgenländischen Volkskulturpreis wegen der neuen Landesregierung nicht annehmen würden. Alleine deshalb ist eine Aktion wie die bei den Festspielen zumindest ein wichtiger (Neu-)Anfang.

Eine andere Form von Regime-Protest—und zwar mit kapitalistischen Mitteln—versteckt sich übrigens auch noch in der Geschichte: Die Rechte an der Internationalen hielt nämlich lange Zeit der deutsche Medienmanager Hans Beierlein, der die Kommunisten für jede Aufführung zahlen ließ.

Markus auf Twitter: @wurstzombie