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The Sprinkles of the Sandman Issue

Badesalz in der Wunde

Als die synthetische Droge Amped im Oktober 2011 zum ersten Mal ausgeliefert wurde, waren Freizeitdrogen-Freunde verrückt danach.

Der Blick auf Roanoke vom Roanoke-Stern aus. FBI-Agenten durchsuchten die Gegend und umliegenden Städte, um Amped und andere synthetische Drogen aus den Ladenregalen zu räumen. Erst Wochen später wurde ihr Verkauf in Virginia untersagt.

Als die synthetische Droge Amped im Oktober 2011 zum ersten Mal ausgeliefert wurde, waren Freizeitdrogen-Freunde verrückt danach. Als „Marienkäfer-Lockstoff“ und „Überschwenglichkeitspulver“ angepriesen war sie von einem professionellen Biochemiker entwickelt worden, was schon eine Ausnahme in der sonst eher zwielichtigen Industrie darstellte. Doch Ende Februar sah die Sache schon anders aus. Bald begannen Amped-Nutzer, Kommentare in Blogs zu veröffentlichen, wo sie erklärten, dass die neuesten Lieferungen—im Gegensatz zum ersten Schwung der hochwertigen Stimulanzien, die tatsächlich dafür sorgten, dass sich die „Marienkäfer“ um einen scharten—die Farbe und Konsistenz von aufgeweichtem Pastetenteig hatten und nach Urin rochen. Für diejenigen, die sich darüber hinwegsetzten und die erstarrte Paste trotzdem schnupften, war die Wirkung noch immer ganz anständig. Bath Salt Guru, der Branchenblog für synthetische Drogen, versuchte eine zweifelhafte Erklärung: Wicked Herbals, die für die Herstellung von Amped verantwortliche Firma, hätte sich mit ihrem Chefchemiker überworfen, weil man sich wegen einer veränderten Rezeptur nicht einigen konnte. Eine Warnung wurde gepostet, dass die Qualität des Produktes stark gelitten habe, woraufhin zahlreiche Kommentare erschienen, in denen Nutzer verzweifelt um weitere Informationen baten. Doch schon meldeten sich andere Amped-Nutzer, die mit der neuesten Lieferung wiederum sehr zufrieden waren. Nachdem noch ein paar frustrierte Antworten hin und her gegangen waren, verabschiedete sich der anonyme Blogger mit den Worten FDWMELS: „Fick die Welt mit einem langen Schwanz“. Badesalz-Drogen sind mehr als nur Aufputschmittel. Nutzer haben berichtet, dass Amped und andere Marken eine stärkere Wirkung haben als Kokain. Ein Nutzer beschrieb es so: „Ist man auf Kokain, dann sieht man eine Gruppe von Mädels und denkt sich: ‚Ich bin ein toller Hecht‘, und geht zu ihnen rüber. Ist man auf Amped, denkt man: ‚Hey, ich sollte meinen Schwanz auf Vordermann bringen, rübergehen und ihn den Schnecken zeigen.‘“ Er konnte sich an einen abendlichen Spaziergang erinnern, bei dem er immer wieder kleine Mengen von Amped schnupfte. Als es dämmerte, hing er in einem fremden Garten an einer Seilschwinge, hatte nichts als seine Unterwäsche an und streckte in der Hoffnung auf Erfolg seinen halberigierten Penis allen Mädchen entgegen, die vorbeifuhren. Wenige Gegenden wären so für die Badesalzplage prädestiniert gewesen wie der Stadtteil Southeast von Roanoke, Virginia. Er liegt auf einem kleinen, den Blue Ridge Mountains vorgelagerten Hügel und ist eine Ansammlung von vinylverkleideten Eigenheimen und unkrautüberwucherten Grundstücken, auf denen alte Autos und ausrangierte Möbel verrotten. Drogen-Epidemien haben die letzten Jahrzehnte bestimmt, wie Gesteinsschichten, anhand derer man die Erdzeitalter ablesen kann. Missbrauch von Opiaten und Alkohol gehören zum Alltag. Ein Bewohner erzählte mir vom Tiefpunkt seiner Heroinkarriere, als er ins Krankenhaus eingeliefert wurde, nachdem er sich Drano gespritzt hatte. Ein anderer hat seine Nachbarn dabei beobachtet, wie sie mit Crack-Pfeifen zwischen den Zähnen, auf dem kaputten Asphalt vor seinem Haus vorbei donnerten. Aber die Drogen haben nicht das nachbarschaftliche Gemeinschaftsgefühl zerstören können. Als z. B. kürzlich in der Raststätte eine Wohltätigkeitsveranstaltung abgehalten wurde, um Geld für ein geistig behindertes Kind zu sammeln, war die ganze Gemeinde da, einschließlich 100 Mitgliedern der ortsansässigen Motorrad-Gang. Amped und andere Badesalz-Drogen tauchten in Roanoke zum ersten Mal im März auf, nachdem die Hersteller Hochglanz-Neon-Postkarten an die Zigarettenläden verschickt hatten, auf denen sie gewaltige Profite versprachen. Als wollten sie sich über die herrschende Crack-Problematik lustig machen, boten die Besitzer von D.K. Tobacco, dem größten Tabakgeschäft in Southeast, die ersten Badesalztüten zu einem Sonderpreis an. Geschäftsangestellte sollen sogar Amped-T-Shirts ausgeteilt haben, und in einem anderen Stadtteil stellte ein Tabakladen einen Mann ein, der mit einem Werbeschild durch die Gegend lief. Bald kamen die Käufer in Scharen.

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Polizeichef Jeff Dudley aus Salem hält ein Tütchen Amped in die Luft, das einer seiner Beamten in einem Tabakladen erstanden hat.

„Abends war der Andrang am größten und es ging dort zu wie auf dem Parkplatz von Walmart“, sagte ein Geschäftsbesitzer, der in der Nähe seinen Laden hat, und unerkannt bleiben wollte. Manche Kunden kamen fünf oder sechs Mal pro Tag. Laut den Anwohnern war die Schlange so groß wie bei der städtischen Essensausgabe. Von seinem Tattoo-Laden nebenan aus beobachtete Charlie Barham, wie der Andrang bei D.K. Tobacco immer größer wurde, vor allem nach den Ankündigungen in der Lokalpresse. „Da spazierten auf einmal nicht mehr nur die Speed-Junkies bei D.K. durch die Tür“, sagte er. „Bauarbeiter fuhren in Lieferwagen vor und jede Großmutter hatte von dem Zeug gehört und wollte es ausprobieren.“ Nach wenigen Wochen waren die ersten Zeichen der Zerstörung festzustellen. Gewalttätige Auseinandersetzungen vermeintlicher Konsumenten wurden zur Tagesordnung, und weder die Polizei noch das Personal in der Notaufnahme war der Situation gewachsen. Allein im Mai erhielt die Polizei von Roanoke 34 Anrufe, die mit Badesalz-Delikten zu tun hatten. „Es war nicht mehr bloß ein ernsthaftes Problem. Es war eine Epidemie. Und die hat sich rasend schnell entwickelt“, sagte Chris Perkins, der Polizeichef von Roanoke. Das Problem hatte sich inzwischen über die Stadtgrenzen hinaus ausgebreitet, und die Amped-Epidemie wütete nun im gesamten County. „Einer unserer Beamten kämpfte neun Minuten lang mit einem Jungen“, sagte der Polizeichef des Bezirkes, Chuck Mason. „Normalerweise haben wir Unruhestifter nach einer Minute überwältigt. Aber der Junge kam splitterfasernackt aus einem Hauseingang auf ihn zugerannt und griff ihn an.“ Ein Arzt der Notaufnahme sagte im Interview mit einem lokalen Nachrichtensender, wenn Kokain und Methamphetamine tropischen Stürmen gleichkämen, würden Badesalz-Drogen in die Kategorie Hurrikan fallen. Ein Geschäftsinhaber aus der Nachbarschaft erzählte, wie ihn Gauner auf wackeligen Beinen und mit glasigem Blick, die vor dem Pizza- und Tattooladen herumlungerten, fragten, ob es irgendwo in der Nähe Marienkäfer-Lockstoff zu kaufen gäbe. Einige lehnten an Laternenpfählen auf dem Parkplatz und übergaben sich. Die Besitzer der Bäckerei nebenan erzählten, dass eines Nachts bei ihnen eingebrochen wurde und dass die Einbrecher vermutlich von dort aus in den Tabakladen eindringen wollten. Angela Marie Crabb, eine 31-jährige Mutter zweier Kinder, wohnte zwei Blocks von D.K. Tobacco entfernt. Sie hatte schon mit Alkohol-, Heroin- und Crack-Abhängigkeit zu tun gehabt, bevor sie im letzten März über eine Freundin mit Amped in Berührung kam. Ein paar Tage, nachdem sie angefangen hatte, die Droge zu nehmen, fand ihre Mutter Lorrie Jones sie, wie sie nackt über dem Balkongeländer ihrer Wohnung im ersten Stock lehnte. „Das war wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film“, erzählte sie. „Wie sie ihren Körper verdrehte und wie sie sprach, das war alles so seltsam.“ Innerhalb weniger Wochen war Angela auf 40 Kilo abgemagert und ihr Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit angeschwollen. Eines Abends tauchte sie unangemeldet bei ihrer Mutter auf und versuchte in einem Wutanfall die Fenster einzuwerfen. „Das war nicht sie. Das war das Amped. Sie sah aus wie der leibhaftige Teufel“, sagte Lorrie. Am nächsten Tag erlitt Angela einen Herzinfarkt und war sechs Tage lang an die Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, bevor sie am 25. April verstarb. Wenige Stunden nach dem Tod ihrer Tochter traf Lorrie vor dem Krankenhaus eine junge Frau, der man den Arm hatte amputieren müssen, weil sie sich zu viel Amped gespritzt hatte. Zwei Tage später starb eine andere junge Mutter, Tina Elaine Mullins Crockett, an einem Herzinfarkt, der zumindest teilweise durch Amped verursacht worden war. „Es war, als hätte sich eine Wolke geöffnet und eine Heerschar von Teufeln über dem Roanoke Valley losgelassen“, sagte Lorrie. „Als wär ein Tornado über uns gekommen, der viele Menschen mit sich riss. Und meine Tochter war eine von ihnen.“ Die Besitzer der Zigarettenläden wiesen die Vorwürfe, die Gemeinde zu zerstören, von sich. Badesalze seien schließlich nicht verboten und brächten großen Profit. Die Geschäfte kauften Amped in großem Stil für 5 Dollar und verkauften es für 25 Dollar weiter. Zum Vergleich: Der normale kleine Drogendealer verdient vielleicht 50 Dollar an 30 Gramm Marihuana oder kann mit dem Verkauf von einem Pfund Kokain seine Investition verdoppeln. Tabakladen­besitzer verdienten, selbst bei einem gemäßigten Umsatz von 30 Päckchen pro Tag, immerhin 200.000 Dollar netto im Jahr. Die Besitzer von D.K.Tobacco sind sudanesische Flüchtlinge, für viele Menschen in der Gegend war der Verkauf der Badesalz-Drogen ein Akt nationaler Undankbarkeit. Die Vorbehalte wuchsen noch, als die Besitzer begannen, mit ihren Gewinnen zu prahlen. Einer von ihnen kam in einem nagelneuen Nissan angefahren, den er nach eigenen Angaben bar bezahlt hatte. Bei anderer Gelegenheit wedelte er mit einem Scheck herum, der so viel wert war wie ein neues Haus. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihnen nicht klar war, was sie da anrichteten“, sagte ein Geschäftsinhaber aus der Nachbarschaft, der ungenannt bleiben wollte. „Die Gier nahm Überhand. Und schließlich war es ja legal.“

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Als das Amped-Fieber auf seinem Höhepunkt war, war der Parkplatz vor D.K.Tobacco den ganzen Tag über voller Autos, viele lungerten bis spät in die Nacht davor herum.

Die örtlichen Polizeibehörden in und um Roanoke erfuhren von den Badesalzen erst während der monatlichen Konferenz im März, als Amped auf den Geschäftsregalen aufzutauchen begann. Die Sittenpolizei erwarb Muster der Badesalze zu Testzwecken, doch die Ergebnisse waren negativ. Sie enthielten keine illegalen Substanzen. Ein Chemiker aus der Gerichtsmedizin wurde zu Rate gezogen und sollte erklären, wie diese Drogen es schafften, das Gesetz zu umgehen. „Es hieß, dass die Zusammensetzung des Stoffes nicht einheitlich sei“, sagte Polizeichef Mason. „Er wurde in Übersee, in China, Indien und Russland hergestellt, und die Produzenten haben es geschafft, dem Gesetz immer einen Schritt voraus zu sein, indem sie die Formel entsprechend abänderten.“ Im Mai erhielten Badesalze landesweite Aufmerksamkeit, als ein Bewohner von Miami, Rudy Eugene, ausflippte und einem Obdachlosen mit den Zähnen das Fleisch von den Wangen riss. Spätere Bluttests ergaben zwar, dass der Vorfall nicht auf Badesalz-Drogen zurückzuführen war, sondern dass er nur Marihuana konsumiert hatte. Aber die Popularität der Badesalze ist unter experimentierfreudigen Drogenkonsumenten in den USA in den letzten drei Jahren extrem angestiegen. Amerikanische Giftnotrufzentralen haben im Jahre 2011 6.138 Notrufe in Verbindung mit Badesalz-Drogen entgegengenommen, während es im Jahr davor nur 300 waren. Aktive Inhaltsstoffe von Badesalzen sind in den meisten Fällen substituierte Cathinone, synthetische Variationen der natürlichen Stimulanzien, die man auch in Khat findet, einer Pflanze, die in Afrika und im Nahen Ost konsumiert wird und die mit Kokablättern aus Bolivien verwandt ist. Ende letzten Jahres hat die amerikanische Drogenbehörde DEA ein Dringlichkeitsverbot für die beiden häufigsten aktiven Zusammensetzungen in Badesalzen ausgesprochen—für MDPV und Mephedron—mit der Folge, dass der Markt von Dutzenden anderer substituierter Cathinone überschwemmt wurde. Kurz vor dem Zombie-Vorfall mit Rudy Eugene hielten die örtlichen Gesetzeshüter und die Bundespolizei in Roanoke gemeinsam eine Pressekonferenz ab, um die Bürger über die Gefahren der Badesalz-Drogen aufzuklären. Sie klebten die unterschiedlichen Marken an eine Tafel —Amped, White Water Rapids, Go Fast und Snowman, um nur einige zu nennen—und Mitarbeiter der Behörden erklärten, dass Badesalze mit Methamphetaminen oder Kokain vergleichbar und deshalb gemäß des Federal Analog Act verboten seien. Das Gesetz besagt, dass auch analoge Produkte, also Substanzen, welche die Wirkung von illegalen Drogen nachahmen, verboten sind. Um das Gesetz zu umgehen, kennzeichnen viele Hersteller ihre Produkte mit dem Vermerk „ungeeignet für menschlichen Verzehr“. Die DEA und die US-Staatsanwaltschaft teilten der Polizei mit, dass sie das Gesetz zwar nicht auf der Straße durchsetzen, aber die Polizei dabei unterstützen könnten, Badesalze in den Geschäften zu beschlagnahmen, bevor ein für ganz Virginia geltendes Verbot in Kraft treten würde. Im Juni verschickten die örtlichen Polizeibehörden und die DEA Verfügungen des Bundestaatsanwalts an sieben Tabakläden und forderten sie auf, ihre Badesalz-Vorräte abzugeben. Die Ladenbesitzer gehorchten weitgehend, nur ein Geschäftsinhaber meinte zu mir, wenn sich die Behörden noch einmal bei ihm blicken ließen, würde er ihnen den Hals umdrehen.

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Polizeichef Jeff Dudley aus Salem beschrieb die katastrophalen Auswirkungen, welche Amped und andere Drogen auf Roanoke und die umliegenden Gemeinden hatten.

Wicked Herbals, die Hersteller von Amped, haben ihren Sitz in Tempe, Arizona, und sind auch für den großangelegten Vertrieb anderer Badesalze verantwortlich, die in der Gegend produziert werden. Eight Ballz, Bullet, Blow, White Water Rapid, Bliss und Snowman stehen alle auf ihrer Firmen-Website zum Verkauf und haben eine ähnliche Zusammensetzung. Bei einem kürzlichen Abstecher nach Tempe stellte ich fest, dass Badesalze sowohl für Hersteller als auch für Händler einen boomenden Industriezweig darstellen. Ein Tabakladeninhaber aus Phoenix, der schon lange im Geschäft ist, schätzte, dass in den vergangenen drei Jahren mehr als 200 neue Läden eröffnet hätten, und zwar nur zu einem einzigen Zweck. „Sie verkaufen nichts anderes als das hier“, sagte er und zeigte auf eine Glasvitrine voller bunt verpackter Badesalze. Konkurrenz nützt dem Verbraucher. In seinem Geschäft in Arizona kostet ein halbes Gramm Amped 12,99 Dollar. Das Badesalz-Geschäft fußt auf einem internationalen Netzwerk von Inhaltsstoff-Lieferanten. Die meisten von ihnen sitzen in China und kennzeichnen ihre Produkte als „Chemikalien zu Forschungszwecken“. Verglichen mit zulässigen US-amerikanischen Chemiekonzernen verkaufen Lieferanten auf dem chinesischen grauen Markt ihre aktiven Inhaltsstoffe in weitaus größeren Mengen und für einen wesentlich geringeren Preis. Diese illegal gehandelten Substanzen haben eine verhältnismäßig schlechte Qualität, und selbst diejenigen, die sie synthetisieren, wissen selten um die genaue Beschaffenheit der Ausgangsstoffe oder der Produkte. Substituierte Cathinone entstehen durch Hinzufügen oder Entfernen einzelner Moleküle. Vertriebsteams informieren die Zwischenhändler in den USA ständig über neue Produktvarianten und Verkaufsmöglichkeiten. Die meisten Badesalze aber enthalten drei Elemente: ein substituiertes Cathinon, einen Füllstoff und ein örtlich wirkendes Anästhetikum. Die ursprüngliche Formel von Wicked Herbals beinhaltete ein relativ schwaches substituiertes Cathinon, genannt α-PPP. Das Produkt basierte konsequent auf diesem Wirkstoff, aber viele Nutzer stellten nach einigen Anwendungen eine nachlassende Wirkung fest. Um das Präparat zu intensivieren, beschlossen die Entwickler, α-PVP als aktiven Inhaltsstoff für Amped einzusetzen. Ein Internetforum, das eine ausführliche Liste aller synthetischen Drogen führt, bewertete α-PVP ursprünglich folgendermaßen: „Es macht verdammt viel Spaß“, fügte aber schließlich den Zusatz hinzu: „Nachträgliche Anmerkung: Nachdem die Droge ein paar Monate in meiner Stadt kursierte, bin ich jetzt davon überzeugt, dass es ein Teufelszeug ist. Viele Leute rauchen es jetzt schon jeden Tag, ich weiß gar nicht, wo sie das her haben. Und sie haben sich in totale Arschlöcher verwandelt und sogar angefangen zu stehlen. Das Zeug ist die Hölle und nicht besser als MDPV. Total neurotoxisch.“ Trotzdem wurde α-PVP zum Standard-Inhaltsstoff für fast alle Badesalz-Marken aus Arizona. In den vergangenen anderthalb Jahren haben sich staatliche Gesetzgeber überschlagen, um α-PVP auf die Liste des Suchtmittelgesetzes zu setzen. Seit dem 1. Juli sind in mehr als 41 Staaten fast 90 der bekannten Varianten der substituierten Cathinone verboten. Jeder innerhalb der Versorgungskette beobachtet die sich ständig verändernde Gesetzeslage, doch niemand—nicht Hersteller, nicht Händler, Polizei- oder Regierungsbeamte—glaubt, dass man das Problem kurzfristig in den Griff bekommen wird. Es geht um zu viel Geld, und solange immer neue aktive Inhaltsstoffe entwickelt werden, wird es auch weiterhin legale Varianten von Badesalz-Drogen geben.

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Brittany Cross musste sich alleine um die Beerdigungsvorbereitungen für ihre Mutter Tina Crockett kümmern, die im April nach übermäßigem Amped-Konsum gestorben war, weil ihr Vater und Stiefvater sich beide weiterhin die Droge spritzten.

Der Roanoke-Stern ist die Antwort West Virginias auf den Hollywood-Schriftzug. Er wurde 1949 aufgestellt, thront auf einem Bergkamm südlich der Stadt und strahlt 17.500 Watt Neonlicht in die Bergregion. Drei Tage, nachdem die Tabakgeschäfte ihre Badesalz-Vorräte aus den Regalen nehmen mussten, reiste ich nach Roanoke. Das Strahlen des Sterns spiegelte sich in den Duplex-Dächern von Southeast, reines Licht auf dem verwahrlosten Einerlei der Gegend. Leute saßen auf baufälligen Terrassen und rauchten Zigaretten, tranken Bier aus der Dose, lachten und unterhielten sich lautstark mit vorbeilaufenden Nachbarn. Auf den Parkplätzen der Tabakläden in Roanoke ist wieder Normalität eingekehrt. „In den letzten Tagen [nach dem Badesalz-Verbot] sind die Kunden immer wieder verärgert und enttäuscht vom Platz geschlürft“, sagte Barham. In allen Zigarettenläden sagten die Leute das Gleiche. Die Bullen haben alles mitgenommen. Alles weg. Nach den Beschlagnahmungen tauchten Fernsehteams in den Geschäften auf. Die Ladenbesitzer sahen diffamierende Berichterstattung auf sich zukommen und reagierten ungehalten. Vor D.K.Tobacco stand ein Mann, der aussah wie Kevin Smith, aber anonym bleiben wollte, und versprach, mir die ganze Amped-Geschichte zu erzählen, gegen entsprechende Bezahlung. „Ich hab’s den Leuten gespritzt, und das Zeug hat sie kaputtgemacht“, sagte er. Nachdem ich überall vergeblich versucht hatte, eine Amped-Probe aufzutreiben, landete ich gegen 22 Uhr am Tattoo-Shop About Time. Draußen lungerte eine Gruppe von Leuten zwischen den geparkten Autos herum, von denen eine üble Stimmung ausging. Im Laden war die Stimmung etwas besser. Der Besitzer Randall „Hooter“ Horton sagte, dass er schon seit 27 Jahren in Roanoke Tattoos mache. Und als seine Kunden hörten, dass ich für eine Story über Badesalze recherchierte, redeten alle durcheinander, um ihre gruseligen Geschichten loszuwerden: von einem Zellennachbarn, der seine Mutter die Treppe hinuntergeworfen hat, einem Freund der Familie, der im Krankenhaus lag, weil er vom Dach gesprungen war, und von einem Mädchen, das ihre Mutter gebissen hat. Hooter erzählte, dass er einmal mit ansah, wie ein Freund sich im Badezimmer Amped spritzte. „Da sagte ich zu ihm: ,Was? Du spritzt dir echt dieses Zeug?‘“ Sein Freund entgegnete, dass es doch nicht verboten sei und er es unter Kontrolle habe. Hooter selbst konnte sich nicht vorstellen, sich den Inhalt der kleinen bunten Päckchen in die Adern zu jagen. „Aber ich hätte nie gedacht, dass das die Leute so fertigmacht“, sagte er.

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Hooter (links) und PeeWee draußen vor dem Tattoo-Shop About Time im Stadtteil Southeast in Roanoke

Als ich am nächsten Tag durch Southeast schlenderte, traf ich ein Ehepaar, Ende 40, Mike Williamson und Debra Sue Hoffmann. Sie glaubten, dass Badesalz Schuld an dem merkwürdigen Verhalten ihres Nachbarn war, der sich kürzlich auf der Wiese vor seinem Haus wie ein Gorilla auf die Brust trommelte und brüllte, dass er jemanden umbringen wolle. In einem anderen Haus, das ich besuchte, erzählte mir ein hübsches 18-jähriges Mädchen namens Jessica: „Die meisten Leute dachten, es wär gar keine echte Droge, geschweige denn, dass es solche Auswirkungen haben könnte.“ Ihr Cousin hatte Amped konsumiert und davon ein Blutgerinnsel im Gehirn bekommen. Ein anderer Junge, der noch mit Akneproblemen zu kämpfen hatte, erzählte, dass sein Cousin zwei Wochen zuvor Snowman gespritzt habe und jetzt im Gefängnis säße, weil er ausgeflippt und durch ein Fenster gesprungen sei. Ein Junge namens Michael, der auf seine Mets-Baseballkappe Satan geschrieben hatte, ging mit mir ins sogenannte Stadtzentrum, ein Euphemismus für die Rettungsmission, das örtliche Obdachlosenasyl. Bald konnte man das neon-beleuchtete Kreuz der Heilsarmee erkennen, die sich unmittelbar daneben befindet. Ein halbes Dutzend kleine Gruppen standen vor dem Obdachlosenheim. Zwei dickliche Jungs, beide etwa Mitte 20 und mit schicken Klamotten, standen draußen herum. Ich stellte mich einem von ihnen vor, und er erzählte, dass er Amped probiert hätte, aber dass es gar nicht so schlimm wäre wie sein Ruf. Da hielt ein Wagen neben ihnen, und sein Freund klopfte ihm auf die Schulter. Sie mussten gehen. „Das ist der D-Boy“, flüsterte Michael. „Der D-Boy?“ „Der Drogendealer“, sagte er. Ich ging weiter zu einer Tankstelle, wo oft Cracksüchtige abhängen. Es war schon Abend, aber die Sonne war noch ziemlich intensiv und brannte auf die bescheidenen Bürogebäude im Stadtzentrum nieder. Eine kleine Gruppe von Leuten bastelte auf einem leer stehenden Stück Asphalt herum. Ich fragte einen der Männer, der aussah wie eine ausgewickelte Mumie, ob er mir was über Amped erzählen könne. Er sagte mir, dass er es gut fand, weil man es schnupfen, rauchen oder spritzen konnte. Da sprang sein Freund, ein schrumpeliger Knabe mit blutunterlaufenen Augen, auf und verbot ihm, mit mir zu sprechen. Doch dieser ignorierte ihn, woraufhin der Verschrumpelte noch nervöser wurde, einen Teppichschneider vom Boden aufhob und an dem Öffnungsmechanismus herumfummelte. „Ach! Da ist keine Klinge drin!“, stöhnte er und warf das Ding wieder auf den Boden. Danach machten sich die beiden aus dem Staub.

Michael (links) und Tweeker vor dessen Haus im Stadtteil Southeast in Roanoke

Am nächsten Tag lernte ich einen Jungen namens Tweeker kennen, der oben auf einem Hügel in Southeast lebt. Tweeker sagte, dass er Amped nur einmal ausprobiert hätte. Weil er und seine Freunde kein Gras mehr hatten, hätten sie sich ein halbes Gramm Amped gekauft und wären die ganze Nacht um die Häuser gezogen. „Aber das Zeug war zu heavy für mich“, sagte er. „Ich dachte, ich kratz ab.“ Ich fragte ihn, was Amped von anderen harten Drogen unterscheidet, und er sagte: „Man rechnet nicht damit, dass eine Droge, die man im Laden kriegt, so stark sein kann.“ Eine Studie von 2011 besagt, dass Badesalze die Serotonin- und Dopaminwerte im gleichen Maße erhöhen wie Ecstasy und Crystal Meth. Beide Drogen waren ebenfalls legal erhältlich, bevor sie eine landesweite Epidemie auslösten. Badesalze haben sich inzwischen schon als ziemlich heimtückisch erwiesen, aber es ist belegt, dass sie sogar noch schlimmer sind als ihre Vorgänger. Im Gegensatz zu MDMA und Methamphetaminen erfordern Badesalze häufigeren Konsum, um den Rauschzustand aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig rufen substituierte Cathinone stärkere Adrenalinschübe hervor, sodass der Kampf-oder-Flucht-Effekt früher einsetzt als bei anderen Stimulanzien. Doch solche technischen Unterscheidungen verschleiern die entscheidende Frage: Warum können manche Menschen, ganz gleich welcher Altersgruppe, nicht auf Drogen verzichten? Am nächsten Tag nahm mich Michael mit zu Tweeker nach Hause. Tweekers kleiner Bruder hatte seinen ferngesteuerten Hubschrauber in einen Baum geflogen, und Tweeker kletterte hoch, um ihn herunterzuholen. Michael warf einen Schuh nach dem Hubschrauber, um ihn aus den Ästen zu lösen, doch er gab bald auf und zündete sich eine Zigarette an. Die Sonne ging hinter den Bergen unter und tauchte den Horizont in strahlendes Orange und Rosa, während sich geradeaus vor uns der Roanoke-Stern vom Himmel abhob. Ich fragte Michael, ob er eine Ahnung hätte, warum so viele Leute Amped probiert haben. „Ich nehm an, wenn die Wirtschaft den Bach runtergeht, versucht sich jeder krampfhaft an irgendwas festzuhalten“, sagte er und zog an seiner Zigarette.