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Ebola ist kein medizinisches, sondern ein gesellschaftliches Problem

Egal, wie sicher wir uns mit unseren Medikamenten, Desinfektionsmitteln und Schutzanzügen fühlen—gegen menschliches Versagen gibt es keinen Impfstoff.

Ein Arzt wird vorbereitet, bevor er einen Ebola-Behandlungsraum in Liberia betritt. Foto: CDC Global | Flickr | CC BY 2.0

Die Medizin hat ein großes Problem: Es gibt jede Menge Sachen, die es eigentlich nicht geben sollte. Schulkinder im Westen zum Beispiel, die an Masern erkranken, oder Polio in Pakistan, wovon allein in diesem Jahr über 200 Fälle registriert wurden. Das neueste und angsteinflößendste Phänomen ist die Ebola-Epidemie in Westafrika.

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Eigentlich sollte es nichts davon geben. Wir haben großflächige Schutzimpfungsprogramme sowie sichere und effektive Impfstoffe gegen Masern. Dasselbe gilt für Polio, eine Krankheit, die das 20. Jahrhundert gar nicht hätte überdauern dürfen. Ebola-Fälle können immer mal wieder auftreten, allerdings handelt es sich nicht um ein Virus, das in der Lage ist, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Es gibt keinen triftigen Grund dafür, warum eine Epidemie diesen Ausmaßes sich überhaupt ausbreiten kann. Da sie das aber getan hat, bleibt die Frage, warum.

Die Antwort in einem Wort: Menschen.

Die Verbreitung des Ebola-Virus in Westafrika ist weniger ein medizinisches Problem als ein soziales (oder politisches). Es gibt zwar noch kein Heilmittel für Ebola, trotzdem handelt es sich eigentlich nicht um ein Virus, das sich leicht verbreitet. Solange wir ein gut funktionierendes Gesundheitssystem, gut ausgebildetes Personal, ein antiseptisches Arbeitsumfeld und medizinisches Bedarfsmaterial haben, kann jeder Ausbruch theoretisch schnell eingedämmt werden.

Das Problem ist nur, dass nichts davon auf den Teil Westafrikas zutrifft, in dem Ebola ausgebrochen ist. Tatsächlich könnte man sich kaum einen schlimmeren Ort für einen solchen Ausbruch vorstellen. Das Virus tauchte an der Grenze zwischen Sierra Leone, Liberia und Guinea auf, Länder, die auf der Rangliste des Weltwährungsfonds auf den Plätzen 163, 183 und 179 gelandet sind—von insgesamt 187. Wenn ihr mit dieser Information nichts anfangen könnt, dann bedenkt Folgendes: Im Jahr 2006, nachdem in einem brutalen Bürgerkrieg fast alle Krankenhäuser und Kliniken zerstört worden waren, gab es in ganz Liberia nur noch knapp 50 Ärzte. Und jetzt sterben diese Ärzte auch noch an Ebola.

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Hygiene-Werbung in Liberia. Foto: CDC Global | Flickr | CC BY 2.0

Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen tun mehr, als nur Decken zu verteilen und ihre Hilfe anzubieten. Sie sie sind praktisch gezwungen, ein staatliches Gesundheitssystem zu ersetzen, und das mit einem Budget von weniger als 50 Millionen Euro. Eine Aufgabe, die fast unmöglich zu bewältigen ist.

Als wenn das nicht schon schlimm genug wäre, geraten jetzt auch noch Verschwörungstheorien in Umlauf. Im August wurde eine Klinik in Liberia von einem wütenden Mob angegriffen. Die Menschen skandierten „Es gibt kein Ebola!” und scheinen anscheinend die Überzeugung zu teilen, dass die Krankheit ein Schwindel wäre. Wie Newsweek berichtete, hatte der Daily Observer, eine große liberische Tageszeitung, im September einen Artikel veröffentlicht, in dem er das Ebola-Virus als „genetisch modifizierten Organismus” bezeichnete, der von Hilfsorganisationen im Auftrag westlicher Regierungen an der afrikanischen Bevölkerung getestet werde.

Hört sich dämlich an? Auch nicht dämlicher als viele der anderen Theorien, die man so im Westen hört. Rush Limbaugh hat behauptet, dass Präsident Obama will, dass das Virus US-Amerikaner tötet—als „Rache für die Sklaverei”. Chris Brown postete auf Twitter, dass das Virus eine Art von „Bevölkerungspolitik” sei.

Freiwiliige in Liberia. Foto: CDC Global | Flickr | CC BY 2.0

Die Umstände ähneln denen, die wir schon im Falle von Polio in Nigeria gesehen haben. Dank eines flächendeckenden Impfprogramms war Afrika im Jahr 2003 so gut wie poliofrei. Allerdings regte sich in einigen der nördlichen, in der Mehrzahl muslimischen Bundesstaaten Nigerias Widerstand. Regierungsbeamte dort waren überzeugt, dass der Impfstoff Teil eines hinterlistigen Plans des Westens war, um AIDS und Krebs zu verbreiten. Der Krieg gegen den Terror half nicht gerade dabei, diese Ängste zu zerstreuen.

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Sind die Leute verrückt? Nun ja, versetzt euch mal in ihre Lage: Stellt euch vor, ihr sitzt in eurem Wohnzimmer und plötzlich klopft ein Haufen uniformierter Ärzte mit komischem Akzent an eure Tür und fuchtelt mit einer Spritze herum. Was würdet ihr tun? Sie hereinlassen und ihnen den Arm hinhalten—oder eure Kinder im Schrank verstecken? Genau.

Und da hat man noch nicht einmal die Geschichte Westafrikas mitbedacht. Die Geschichte von Sierra Leone, dessen Behörden sich inzwischen im Angesicht der Epidemie geschlagen gegeben haben, besteht quasi aus fünf Jahrhunderten Gewalt, Vergewaltigung, Sklaverei und Unterdrückung. Es ist auch zu einfach, das Ganze auf mangelnde Bildung zu schieben. Ein beliebtes Argument lautet: „Hätten diese uneinsichtigen Leute doch bloß eine ordentliche Schulbildung genossen, dann würden sie begreifen, dass sie sich irren, und sich und ihre Kinder impfen lassen müssen.” Diese Art der Argumentation wird „Defizit-Modell“ genannt, eine weitestgehend diskreditierte Theorie, nach der Skepsis oder Feindseligkeit der Bevölkerung aus einem Mangel an Verständnis resultieren, der wiederum auf einen Mangel an Information zurückzuführen ist.

Das Problem ist, dass es in den seltensten Fällen ausreicht, die Menschen besser zu informieren. Wie die Panik um den MMR-Impfstoff gezeigt hat, kann mehr Wissen sogar den gegenteiligen Effekt haben. Die Eltern, die ihre Kinder in den späten 1990er und zu Beginn der 2000er Jahre nicht gegen Masern, Mumps und Röteln haben impfen lassen, waren häufig Akademiker, die sich Wissen über die Impfung aus den unterschiedlichsten Quellen angelesen hatten.

In jedem dieser Fälle—MMR, Polio, Ebola—haben wir die Grenze dessen erreicht, was moderne Medizin erreichen kann. Die modernste Medizin und die besten Impfstoffe helfen nichts, wenn die meisten Länder sie sich nicht leisten können—oder es sich noch nicht einmal leisten können, Ärzte auszubilden. Oder wenn Eltern ihre Kinder nicht impfen lassen.

Das Problem ist nicht so weit weg von uns. Man kann so viele Screening-Programme einrichten, wie man möchte, aber früher oder später werden diese Krankheiten es auch zu uns schaffen. Es wird nicht Ebola sein. Doch ansteckende Krankheiten (wie Malaria) waren bereits in unseren Breitengraden verbreitet und könnten leicht wieder zu uns zurückkehren. Viren und Bakterien kümmern sich nicht um von Menschen gesetzte Grenzen. Wir sind alle Teil eines weltumspannenden Systems. Wenn wir diese Krankheiten nicht in anderen Ländern bekämpfen, werden sie irgendwann an unsere Tür klopfen.

Trotzdem ist die Panik im Westen der eher geringen Bedrohung, die der Virus für uns darstellt, nicht angemessen. Man kann sie allerdings als Weckruf sehen. Wie sicher wir uns auch fühlen mögen mit unseren Medikamenten, Impfstoffen, Desinfektionsmitteln und Schutzanzügen—im Angesicht menschlichen Versagens werden wir nie sicher sein. Ebola ist vielleicht nicht die nächste große Bedrohung, aber eine andere Krankheit wird es mit Sicherheit sein.