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Eine Zombie-Forscherin erklärt uns, wieso wir die blutrünstigen Untoten so sehr lieben

„Der Zombie bietet die ideale Projektionsfläche zum Loslassen: Ich bin nichts mehr, hab keine Moral und bin nur noch triebgesteuert."
Titelfoto von kpgolfpro | pixabay | Public Domain

An Halloween werden sie einmal mehr die Strassen unsicher machen und bei den Zombie Walks sind sie in ganzen Horden anzutreffen. Dass die Untoten auch längst schon die Seminarräume der Uni gestürmt haben, beweist die Medienwissenschaftlerin und Zombie-Kennerin Vanessa Kleinschnittger. Ihre Doktorarbeit dreht sich ganz um die humpelnden und lallenden Wiedergänger. Die Dissertation mit dem Titel „Zombie Society: Mediale Modulationen der Figur des Zombie in Vergangenheit und Gegenwart" wurde dieses Jahr als Buch veröffentlicht.

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Darin beschreibt die Autorin, wie sich diese Horrorfigur in Filmen, Games und Büchern im Laufe der Jahrzehnte verändert hat und was die menschenfressenden Kreaturen über die jeweilige Gesellschaft aussagen. Wir haben uns mit der Zombie-Expertin darüber unterhalten, wieso Zombies oftmals für Kapitalismuskritik herhalten müssen und was die aktuellen Zombie-Trends sind.

VICE: Vanessa, seit deiner Jugend beschäftigst du dich mit Zombies und seit vier Jahren auch wissenschaftlich. Nun kannst du uns sicher sagen, was wir als erstes tun sollten, falls noch heute eine Zombie-Apokalypse ausbrechen sollte.
Vanessa Kleinschnittger: Wer erst dann Massnahmen ergreift, wenn die Pandemie schon ausgebrochen ist, hat verloren! Experten raten, sich viel früher vorzubereiten. Ratsam ist es, den Zombie Survival Guide von Max Brooks schon mal zu lesen. Er spricht von mehreren Phasen: Allgemein gilt aber, mal zuhause abwarten, wie sich die Sache entwickelt. In der letzten Phase sollte man der Gesellschaft den Rücken kehren und anfangen, in der Wildnis zu leben. In der Schweiz haben wir den Vorteil, dass es Rückzugsorte in den Bergen gibt—sofern man dort klarkommt.

Wie waren die Reaktionen auf deine Themenwahl bei der Doktorarbeit?
„Das ist die erste Dissertation, die ich lesen werde" war eine häufige Antwort. An der Uni hingegen ist das Thema selbst für die Medienwissenschaft eher ungewöhnlich. Das ist insofern lustig, weil Vampire dort schon längst ein Forschungsobjekt sind. Der Zombie gilt hingegen als der ungebildete Cousin vom Vampir.

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In den letzten Jahren gab's einen regelrechten Zombie-Boom: Serien und Comics wie The Walking Dead, zahlreiche Games, Zombie Walks und sogar Ratgeber für Epidemien. Was fasziniert die Leute derart an diesem Monster?
Wir leben in einer Gesellschaft, in der zu vielen Themen sehr viel Distanz existiert: zum Körper, zu Krankheiten und zum Tod. Der Zombie bringt das alles wieder ganz in unsere Nähe. Das Endzeit-Thema ist auch attraktiv: Eigentlich sind wir nicht mehr fähig, alleine zu überleben—ohne Supermarkt und Internet geht's nicht.
Es wird in solchen Geschichten klar, wie künstlich alles geworden ist. Kommen die Zombies, wird vieles einfacher: Es geht nicht mehr um Facebook-Posts und 100 zu beantwortende Mails im Job, sondern um Leben und Tod, ums pure Überleben. Es ist somit eine Welt, die wir wieder verstehen: Es geht ums Menschsein, aber auch ums Zusammenleben.

Foto von thierry ehrmann | Flickr | CC BY 2.0

Wir wollen also die Überlebenden sein, welche gegen die Untoten kämpfen—sind wir aber nicht manchmal auch selbst ein wenig wie Zombies?
Ja, wir fühlen uns teilweise wie Zombies—man denke an all die Zwänge: Kinder werden schon früh auf ihre Karriere getrimmt, viele Leute kommen mit der Bürokratie nicht klar—Dinge, die keinen Bezug zum Leben haben und als sinnlos empfunden werden. Genau deshalb wollen wir uns davon befreien. Man kann dann in der Vorstellung vor einer apokalyptischen Kulisse als Zombiekiller auftrumpfen, als selbstbestimmter Mensch. Es ist zwar eine katastrophale Welt, aber sie geht zurück zum Einfachen.

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In solchen Endzeit-Welten wird man nicht nur von blutrünstigen Zombies, sondern auch von Menschen gejagt.
Ja, andere Menschen sind meist gefährlicher als die Zombies. Zombiefilme und -games haben oft gesellschaftskritische Tendenzen. Das wird am Verhalten der Zombies oder eben auch an dem der überlebenden Menschen deutlich gemacht.

Sind also die Zombies durch ihre Unwissenheit und ihr mechanisches Handeln sogar sympathischer als so mancher Mensch?
Der Zombie ist nicht „böse", da er nicht bewusst handelt—er folgt nur seinem Fresstrieb. Der Zombie gleicht somit eher einer Naturkatastrophe. Es ist also kein Wunder, dass in den USA Ämter wie „Centers for Disease Control and Prevention" (CDC) mit Zombies werben: Ihre Slogans besagen, dass wer sich auf Zombies vorbereitet, auch vor Erdbeben und Tornados geschützt ist.

Foto von Robert Bejil | Flickr | CC BY 2.0

An den Zombie Walks sieht man auch, dass Menschen gerne in diese Rolle schlüpfen. Weshalb verkleiden sich momentan so viele ausgerechnet als dieses Monster?
Der Zombie bietet die ideale Projektionsfläche zum Loslassen: Ich bin nichts mehr, hab keine Moral und bin nur noch triebgesteuert. Es ist ein normfreier Raum. Und sich ohne Regeln animalisch auszuleben macht halt Spass.

Der Zombie hat seine Wurzeln nicht etwa in der Filmindustrie, sondern im Voodoo-Kult in Haiti. In deiner Doktorarbeit kritisierst du, dass viele Theoretiker diese Tatsache herunterspielen. Weshalb werden die Haitianer für ihren kulturellen Beitrag, die „Erfindung" des Zombies, kaum gewürdigt?
Das hat zwei Gründe: Erstens ist Voodoo keine Buchreligion. Es gibt also kaum schriftliche Überlieferungen vom Zombie-Mythos. Zweitens ist der Zombie selbst eine sprachlose Figur. Er hat kein Bewusstsein und keine Individualität. Deshalb gibt es auch keinen „Urzombie", wie das etwa Dracula für die Figur des Vampirs ist. Daher eignet sich der Zombie aber eben auch dafür, dass man ihm immer wieder neue Bedeutungen zuweist und ihn sozusagen „neu erfindet".

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Hat der Zombie, wie wir ihn heute kennen, überhaupt noch etwas zu tun mit seinen haitianischen Vorfahren?
Ja, die Idee des Zombies als fremdgesteuerte Figur hat sich bis heute erhalten. Im Voodoo fängt ein Bokor, ein Zauberer, die Seele seines Opfers ein. Mit dem Körper kann er dann machen, was er will: Er lässt ihn Arbeiten erledigen oder böse Taten ausüben. In Haiti galt der Zombie als Symbol für die Sklaverei. Schliesslich waren die Sklaven auch fremdbestimmt und wurden zu blossen „Automaten" degradiert. Bei den Filmen von George Romero gab's einfach einen Wechsel vom äusseren zum inneren Antrieb: Der Zombie wird nicht mehr von ausserhalb gelenkt, sondern folgt einem unerklärlichen Fresstrieb. Und diese Fremdlenkung ist genau der Punkt, in dem wir uns erkennen.

Oft wird gesagt, dass Zombies eine Kritik am Kapitalismus darstellen. Weshalb?
Das ist schon in der Figur angelegt. Der Zombie ist ein Produkt des Frühkapitalismus: In Haiti wurden Menschen als Ware behandelt. Heute konsumiert in den Medien einerseits der Zombie selbst Menschen, als ob sie Waren seien, andererseits haben Menschen Freude daran, Zombies niederzumetzeln. Im Film Dawn of the Dead von George Romero wird diese Konsumkritik klar. Dort fragt ein Überlebender, weshalb wohl die Zombies ausgerechnet in Massen zum Shopping Mall kommen. Die Antwort ist: Wahrscheinlich kommen sie zurück an den Ort, der ihnen im Leben am wichtigsten war.

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Foto von Tom Woodward | Flickr | CC BY-SA 2.0

Der Hauptkonkurrent für den Zombie beim Kampf um den Titel der populärsten Horrorfigur ist wohl der Vampir. Eine Abgrenzung ist nicht immer so klar: In Filmen wie The Last Man on Earth gibt's etwa Mischformen. Was aber unterscheidet die beiden voneinander?
Das Wichtigste ist, dass der Vampir noch ein Bewusstsein und einen Willen hat, er kann sich artikulieren und sogar charismatisch sein. Der Zombie hat hingegen keine geistige Entscheidungskraft. Klar gibt es auch Zombiefiguren mit Charisma, etwa „Fido" oder der Anführer-Zombie in Land of the Dead. Mischformen sehen wir auch im Streifen Warm Bodies, wo sich ein Mädchen in einen Zombie verliebt. Generell ist es aber so, dass der Vampir sich seine Opfer gezielt aussucht. Der Zombie ist da unvoreingenommen und frisst einfach jeden. Das macht auch den Spass bei den Zombies aus: Keiner wird verschont, alle sind gleich.

Wie sieht deiner Meinung nach der Zombie der Zukunft aus?
Gewisse Tendenzen sieht man bereits, etwa individualisierte Typen wie in Warm Bodies, die eigentlich keine wirklichen Zombies mehr sind. Ein anderer Trend ist, ihnen eine Vorgeschichte zu geben, wie bei den Werwölfen und Vampiren. Im Film Stolz und Vorurteil und Zombies, welcher auf dem Roman von Jane Austen basiert und bald in die Kinos kommt, werden Zombies etwa ins 19. Jahrhundert zurückversetzt. In den nächsten Jahren wird vielleicht das Technik-Thema stärker werden: Zombifizierung durch Smartphones, wie zum Beispiel im Roman Puls von Stephen King.

Michel auf Twitter: @SchuMichelada

VICE Schweiz auf Twitter: @ViceSwitzerland


Titelfoto von kpgolfpro | pixabay | Public Domain