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​Pornos zerstören euer Sexualleben nicht - im Gegenteil

Alles, was ihr über den Effekt von Pornos auf echten Sex wisst, ist Unsinn.
imago | Future Image

Pornos verzerren den Sexualtrieb, wecken unrealistische Erwartungen und sorgen dafür, dass Menschen keine Lust mehr auf ihre echten Partner haben: Das glauben nicht nur eingefleischte Porno-Gegner, das ist eigentlich fast schon Konsens in unserer Gesellschaft. Seit Streaming es möglich gemacht hat, schauen wir mehr Pornos als je zuvor—und machen uns gleichzeitig Sorgen darüber, ob das nicht irgendwie schlecht für uns ist. Kann es gesund für einen normalen Mann sein, wenn er schon 300 Vaginas gesehen hat, bevor er morgens aus dem Bett gestiegen ist?

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Aus diesem Unbehagen hat sich mittlerweile eine ganze Anti-Porno-Bewegung gebildet, die sich stolz "NoFap" nennt und deren Anhänger sich in Foren begeistert über die positiven Folgen ihrer Enthaltsamkeit austauschen. Ihr Vordenker ist Gary Wilson, der dem vermeintlichen Problem eine Webseite, einen viralen TED-Talk und ein ganzes Buch gewidmet hat. In Your Brain on Porn vertritt Wilson unter anderem die Thesen, dass Porno-Konsum die Dopamin-Level der Konsumenten dauerhaft durcheinanderbringt, dass übermäßiger Konsum als Sucht klassifiziert werden muss, und dass Pornos ihre ganz eigene Form von erektiler Dysfunktion hervorrufen.

"Wenn Sie sich dauernd diese Videos mit echten Menschen, die sogenannten echten Sex haben, anschauen, ersetzt das Ihre eigene Vorstellungskraft irgendwann vollständig", erklärte Wilson im Interview mit VICE vor zwei Jahren. "Wegen Internetpornos leiden manche Männer unter Erektionsstörungen, Unfähigkeit, zum Höhepunkt zu kommen, verzögertem Samenerguss, abnehmender Libido mit echten Partnern und abnehmendem Interesse an echten Partnern."

Wilsons Thesen klingen einleuchtend, aber sie haben ein Problem: Sie sind wissenschaftlich absolut nicht belegbar. Wilson selbst redet zwar gerne über "synaptische Bahnen" und Dopamin, ist aber selbst kein Wissenschaftler. Wenn man die fragt, kommt man nämlich zu ziemlich anderen Ergebnissen.

Das amerikanische Magazin Aeon hat jetzt einen ausführlichen Artikel veröffentlicht, der sich genau damit beschäftigt. Die Autorin, Maria Konnikova, hat versucht, so gut wie alles zusammenzutragen, was es an Forschung über die Effekte von Porno-Konsum auf die menschliche Sexualität gibt. Ihre erste Erkenntnis: Wir wissen noch viel zu wenig, weil sehr wenige Wissenschaftler sich ernsthaft mit dem Thema befassen. Aber was wir wissen, deutet darauf hin, dass wir grundsätzlich falsch über Pornos nachdenken.

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In einem Experiment fanden Sexual-Psychologen zum Beispiel heraus, dass Porno-Konsum keine erektile Dysfunktion auslöst—im Gegenteil. Die Männer, die angegeben hatten, regelmäßig und viel Pornos zu schauen, reagierten erregter auf Filme und hatten danach mehr Lust auf Sex mit einem Partner als die, die weniger Pornos gewohnt waren. In einer anderen Studie baten die Wissenschaftler 44 heterosexuelle Paare, sich Pornos anzuschauen—gemeinsam und alleine. Das Ergebnis: Die Paare, die Pornos schauten, hatten mehr Lust aufeinander, auch wenn sie die Filme nicht zusammen gesehen hatten.

Was Konnikova noch an Erkenntnissen aus der Sozialforschung zusammentrug, ist ziemlich faszinierend:

  • Es gibt keine Hinweise darauf, dass Männer, die oft Pornos gucken, ihre realen Sexualpartner mit den Darstellerinnen vergleichen und dass das langfristige Auswirkungen auf die Beziehung hat.
  • Es gibt keine Hinweise darauf, dass Porno-Konsum zu unrealistischen Erwartungen und dem Drang nach gewagteren Experimenten führt.
  • Pornos machen Männer nicht gewalttätig und verändern auch ihre Einstellung gegenüber Frauen nicht. Forscher fanden heraus, dass Pornos nur auf solche Männer einen negativen Effekt haben, die schon vorher einen Hang zu sexueller Aggression hatten.
  • Porno-Sucht gibt es nicht.

Besonders der letzte Punkt ist für viele NoFap-Aktivisten schwer zu verdauen. Es gibt ganze Foren, in denen sich gekränkte NoFapper über Artikel aufregen, die die Realität ihrer Porno-Sucht in Frage stellen. "[Sexologen] wollen vermeiden, dass eine Abhängigkeit von Pornografie festgestellt wird", verteidigte Wilson das Konzept gegenüber VICE. "Weil sie befürchten, dass Sex im Allgemeinen als negativ abgestempelt wird, sobald man Porno-Konsum als schädlich abstempelt."

Konnikova würde ihm widersprechen, dass genau da das Problem liegt: Pornografie ist nicht das Problem. Weil wir ein eigenartiges Verhältnis zu unser eigenen Sexualität und der Stellung der Frau in der Gesellschaft haben, spiegelt unsere Pornografie das wieder. Und weil wir uns nicht trauen, mit Kindern frei über Sexualität zu sprechen, müssen sie alles, was sie darüber wissen, aus Pornos lernen. Statt die Pornos zu verteufeln, fordert Konnikova, sollten wir lieber anfangen, positiver und freier über Sexualität zu sprechen.