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Sex

Was ich über Sex gelernt habe, indem ich Jungfrau blieb

Ich habe darüber nachgedacht, wie und warum sich manche Menschen so sehr ihrem Verlangen nach Sex verschreiben.

Foto: Lillie Kate | Flickr | CC BY 2.0

Ich warte mit dem Sex, weil ich in einem religiösen Umfeld aufgewachsen bin und mir dort beigebracht wurde, dass das der richtige Weg sei. Als ich mich mit Anfang 20 in einer ernsthaften Beziehung befand, entschied ich mich dazu, weiter zu warten. Ich glaube, dass das zum Teil noch die Nachwehen meiner religiösen Erziehung waren, aber die Entscheidung trug definitiv auch einen persönlichen Stempel. Nach so langer Zeit dachte ich mir einfach: „Warum jetzt damit aufhören und alles aufgeben?" Nach dieser Entscheidung fühlte sich meine Jungfräulichkeit mit jedem weiteren Jahr immer mehr wie etwas an, das ich nicht einfach so wegwerfen konnte.

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Manchmal empfinde ich das Ganze jedoch schon als Last. Ich bin ein sehr sinnlicher Mensch und will mit Anderen auf eine intime und sexuelle Art und Weise interagieren. Ohne Sex kann das kompliziert werden. Allerdings wird man so auch gezwungen, sich intensiv damit auseinanderzusetzen, was man überhaupt als Sex und Intimität ansieht. Durch all das, also meine Jungfräulichkeit und ihre Bedeutung, ist mir die Aufmerksamkeit von Freunden, die nicht meiner Meinung sind, immer sicher. Das kann manchmal schon etwas schwierig sein, aber ich bin immer ehrlich und im Allgemeinen habe ich doch das Gefühl, dass mich mein Umfeld unterstützt und sogar zum Weitermachen ermutigt.

Eigentlich wird das Thema nur angeschnitten, wenn ich mich in einer Beziehung befinde oder neue Leute kennenlerne. Wenn ich Single bin, dann rede ich nicht wirklich darüber. Mit zunehmendem Alter wird mir das Ganze wohl manchmal etwas peinlich. Gleichzeitig ist es auch ziemlich nervenaufreibend—so als ob man mit extrem konservativ eingestellten Menschen über den Klimawandel reden würde. Mir sind andere Gesprächsthemen lieber.

Da bei meinen Beziehungen der Sex wegfällt, hatte ich natürlich auch noch nicht viele. Allerdings bedeutet dieser Umstand auch, dass eine Beziehung bei mir ganz anders aussieht. Am Anfang geht alles noch seinen gewohnten Gang und man flirtet viel. Wenn meinen Gegenübern—das trifft vor allem auf Männer zu, auf Frauen eher weniger—jedoch klar wird, dass Sex nicht drin ist, dann machen sie irgendwie diese Phase durch, in der sie mich erstmal hassen. Komischerweise kommen sie jedoch immer wieder zurück. Es hat fast den Anschein, als würden sie sich plötzlich daran erinnern, dass ich ihr Freund bin, und dann kommen sie damit klar.

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Nach diesem Umdenken hat die Freundschaft dann einen neue, extrem intime Tiefe, die ich in anderen Beziehungen so nicht erlebe. Vielleicht ist es auch genau das, was andere Leute nach dem Sex mit einer geliebten Person verspüren. So habe ich die Phase des Verliebens in ganz jungen Jahren in Erinnerung—lange bevor Sex überhaupt in mein Bewusstsein trat. Es fühlt sich genau so an wie die tiefe Liebe, die man als Kind für einen Freund verspürt.

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Auch wenn man keinen Sex hat, weiß man dennoch, welchen Platz der Akt in einer Beziehung hat. Und das Ganze ist trotzdem präsent. Wenn man sich also bewusst dazu entscheidet, keinen Sex zu haben, dann denkt man weiterhin die ganze Zeit darüber nach. Wie bereits erwähnt, bin ich eine sinnliche Person, und es wird heftig rumgemacht. Dabei frage ich mich immer, wo denn jetzt die Grenze liegt. In dieser Hinsicht ist Sex immer noch der Dreh- und Angelpunkt der Dynamik.

Manche Leute glauben, dass jegliche menschliche Interaktion auf unserem Bedürfnis nach einer sexuellen Verbindung aufbaut. Das sehe ich nicht so. Ich bin der festen Überzeugung, dass es so etwas wie eine echte platonische Beziehung wirklich gibt. Der fehlende Sex verändert allerdings auch die Art und Weise, wie das Ganze dann aussieht. Ich bin bisexuell und ich habe die Unterschiede zwischen Männern und Frauen analysiert. Ich habe mich schon in einige meiner Freundinnen verliebt, in andere jedoch nicht. Auf die gleiche Art und Weise habe ich mich auch schon in einige meiner schwulen und heterosexuellen Freunde verliebt, in andere jedoch nicht.

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Beim Thema Sexualität geht nicht immer zwangsläufig nur um unsere Geschlechtsteile, sondern auch um unseren Wunsch nach Intimität und einer Verbindung. Meiner Meinung nach kann man das mit einem anderen Menschen, mit sich selbst, mit der Erde und mit dem Glauben an eine Gottheit erfahren.

Ich glaube, dass wir da manchmal etwas durcheinander bringen. Wir verspüren durch Sex Intimität, aber es geht dabei um mehr. Meines Erachtens nach legen wir zu viel Wert auf das Streben nach Erfüllung durch Sex—und nicht auf den Akt an sich.

Selbst als total unerfahrene Person ist mir klar, wie sehr unsere Identität mit unserer Beziehung zum Thema Sex verbunden ist. Ich glaube nicht, dass es dabei nur mir so geht. Durch die Gespräche mit anderen Leuten, durch meine Beobachtungen und durch das Anhören verschiedener Geschichten kam mir der Gedanke, dass Sex stark mit unserem Selbstgefühl zusammenhängt. Egal ob wir nun alle ebenfalls so denken oder gelegentlich auch mal zum Spaß mit anderen Menschen schlafen (was ich vollkommen OK finde), ist das Ganze immer noch eine identitätsbestimmende Einstellung. Für mich ist dieser Gedanke immer präsent.

Ich habe Sex nie als etwas angesehen, das die Weltanschauung eines Menschen verändert. Ich empfinde Sex als etwas Neutrales, das erst durch gewisse positive oder negative Erfahrungen genauer definiert wird. Der Akt hat auf jeden Fall einen Einfluss auf dich, egal ob nun einen guten oder einen schlechten. Vielleicht lässt du so einen Teil von dir auch ganz zurück.

Aufgezeichnet von Wendy Syfret