​Facecash, Phonecrush, Holoporn: Wie junge Futurologen die nächste Sprache vorhersagen

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​Facecash, Phonecrush, Holoporn: Wie junge Futurologen die nächste Sprache vorhersagen

Diese Berliner Studenten wissen die Zukunft unserer Sprache vorauszuahnen. Ein Plädoyer für eine „David-Bowie-Technische Universität der Künste".

Ich sitze das erste Mal in meinem Leben im großen Audimax der Technischen Universität Berlin. Eigentlich habe ich ja direkt nebenan studiert, an der Universität der Künste. Aber heute ist Eric Schmidt, der Executive Chairman von Alphabet, der neuen Überfirma von Google, für einen Vortrag über das digitale Europa in Berlin und ich dachte mir, ein paar Worte von so einem alten Hasen kann ich mir schonmal anhören—wofür auch immer die dann gut sind. Die Anmeldung zum Vortrag war kostenlos und wie das mit freien Buffets nunmal so ist, stopft man sich da gerne mal mit jugendlicher Freude die Taschen voll.

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Langsam füllt sich der Saal. Links und rechts von der großen Bühne stehen vier versteinerte Men in Black und schauen ernst in das sich verteilende Publikum. Das mit Klischees und Universitäten ist ja immer so eine Sache. TUs sind in meinen von Kunstunis geblendeten Augen generell stickiger und haben wahrscheinlich die niedrigste Tageslichtdichte. Die Universitäten, die ich besucht habe, sind hell und groß, haben schöne, grüne Innenhöfe und kleine Cafés, in denen man in seinen angesagten Klamotten angesagten Kuchen bestellen kann. Im Sommer sind die Fenster weit geöffnet und der Geruch von frisch gemähtem Rasen verbindet sich mit dem von angebissenen Stücken Carrot Cake.

Hier in meinen ersten Minuten an der TU riecht es nach Geld und auch ein bisschen nach etwas älter gewordenem Schweiß. Aber um ehrlich zu sein, fühlt sich der prognostizierte Karohemden-Vibe gar nicht so schlimm an. Die Plakate an den Wänden erzählen mir, dass hier Start-ups und größere Technologie-Unternehmen entstehen. Ein Ball mit zwölf Kameras, der dann ein 360 Grad-Panorama-Bild schießt, soll der nächste große Wurf werden.

Vor dem Vortrag spricht die Pressefrau der TU. Sie sagt, dass für 2016 bis 2019 11 Millionen Euro in studentische Projekte fließen sollen … Bitte was?! Mir fliegt ein Stück Blaubeerkuchen aus dem Mund, denn für eine simple Projekt-Präsentation hatten wir manchmal nicht einmal 50 Euro.

Ein Student im Karohemd meldet sich und fragt Schmidt nach der nächsten großen technologischen Schwelle. Der Google-Vorsitzende antwortet kurz und präzise wie aus der Google-Suchleiste geschossen: Autonomes Fahren soll alles verändern. Nicht nur soll diese Technologie unsere Infrastruktur auf eine radikale Weise verändern, sondern auch die Architektur der modernen Stadt: Denn wenn niemand mehr ein Auto besitzt, sondern jeder nur noch autonomes Carsharing nutzt, braucht es keine Parkplätze mehr, keine Garagen, keine Parkstreifen in Innenstädten. Straßen, Abzweigungen und Kreuzungen werden dicht und machen Platz für eine völlig neue, bisher nur erahnbare Wahrnehmung von Stadtkultur.

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Foto: smoothgroover22 | Flickr | CC BY-SA 2.0

Klar dass Schmidt hier das Projekt der Google Cars thematisiert, das Projekt gehört ja schließlich zum Portfolio der eigenen Firma. Aber wie er die Frage beantwortet, beeindruckt mich trotzdem. Denn was Eric Schmidt macht, ist über die Grenzen von Technologie hinaus neue Zusammenhänge zu schließen. Dass sich unser Stadtbild durch autonomes Fahren radikal verändern kann—ganz im Ernst, für so einen Gedanken muss eine alte Frau lange stricken. In einer Welt, in der die Zentren von Großstädten immer unattraktiver und teurer für alternative Bauprojekte werden, kann man zwar nicht genau planen, was das für uns bedeuten kann, aber so schonmal vorausahnen, was dann doch möglich werden könnte.

Aber gibt es eine Strategie, mit der wir in die Zukunft schauen können? Wenn man sich Eric Schmidt so anschaut, verbindet er wie eine Schaltstelle Technologie, Stadtkultur und Gesellschaft. Der Professor Stephan Porombka, der am Institut für Texttheorie und Textgestaltung der UdK lehrt, gab mir mal die Antwort, dass wir die gesellschaftlichen Ströme in ein Spiel bringen müssen und die Welt in Abhängigkeit von allen Disziplinen sehen sollten, damit wir begreifen, was als Nächstes passieren kann. Die Prozesse von heute zeigen die Zustände von morgen. Es geht also vielleicht gar nicht darum, der Zukunft ein shiny Finish zu verpassen.

Futurologen gab es schon immer. Der französische Maler Jean-Marc Côté bekam in den 1890er Jahren den Auftrag eines Zigarettenherstellers, Illustrationen mit Zukunftsspekulationen vom Jahr 2000 anzufertigen. Mit diesen dann 1899 veröffentlichten Bildern kann er als Paläo-Schaltstellen-Futurologe bezeichnet werden. Die Grafiken zeigen Zukunftszustände mit den technischen Mitteln der damaligen Gegenwart.

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Auch wenn Feuerwehrmänner heute immer noch keine Flügel haben, gibt es Löschflugzeuge, die große Waldbrände bekämpfen. Auch wenn keine kurbelbetriebene Maschine Bücher zerquetschen und über Drähte in unsere Köpfe schieben kann, haben wir das Internet. Côté hatte somit gar nicht den Anspruch, die Zukunft exakt abzubilden. Jedoch sieht er seine Zeit als Schaltstelle, mit der er die heutige Gesellschaft eben doch ungemein präzise vorhersagt.

Zum Club der Visionäre gehört auch der kürzlich verstorbene David Bowie, der nicht nur durch sein multi-künstlerisches Œuvre als größte Figur des Pop unserer Zeit in Erinnerung bleiben wird, sondern auch für seinen Geist, mittels Schaltstellendenken kommende tiefgreifende, technologische Eingriffe in unserer Gesellschaft zu erkennen. Im Januar 2000 strahlte der Fernsehsender BBC ein Interview zwischen dem Journalisten Jeremy Paxman und David Bowie aus, in dem Bowie zeitgenössische Kultur von Popmusik, Kunstströmungen und Technik verband, um unsere heutige Gesellschaft zu beschreiben. Im Ernst, das Video sollte jeder gesehen haben.

Um die markerschütternde Wucht der Gedanken einzuordnen, muss man sich ins Gedächtnis rufen, dass in dem Jahr des Interviews die Dotcom-Blase geplatzt ist. Das Internet war ja quasi gescheitert. Einem sichtlich irritierten BBC-Journalisten erzählt Bowie nun seine Vision, dass die aufgekommene Rave-Culture den Pluralismus des Internets schon in sich trägt. Denn dort ist das „Publikum mindestens genau so wichtig wie die Person, die gerade auf dem Rave die Musik spielt. Dieses Gefühl der breiten Masse durchdringt die zeitgenössische Musik—und beschreibt uns auch die Möglichkeiten des Internets."

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Wie Eric Schmidt wandelt Bowie hier mehrgleisig—und hat Recht behalten. Durch die Werteverschiebung innerhalb der Musikkultur hat Bowie einen gesamtgesellschaftlichen Wandel kommen sehen und die Gegebenheiten mit der Technologie Internet verknüpft. Als Paxman argumentiert, dass das Internet ja einfach nur ein anderes Übertragungssystem darstellt, lächelt Bowie süffisant und bringt die bildende Kunst mit ins Spiel.

„Das Internet wird unsere bisherige Vorstellung von Medien vollkommen verändern. Und dieser Trend der Masse greift auf alle Formen über—in der visuellen Kunst haben Werke von Duchamp unsere Gedanken revolutioniert. Die Idee, dass ein Kunstwerk nicht fertig ist, bis ein Publikum es für sich interpretiert, ist der springende Punkt, um den wir hier gerade kreisen. Das ist es, was das 21. Jahrhundert ausmachen wird. Ich glaube, wir sind auf der Schwelle zu etwas Entsetzlichen und Wundervollen."

Das Buch ‚2017 - Ein spekulatives Glossar'

Während die fast von der neuen Generation abgelösten Millenials immer noch mit den Spätfolgen der Kommunikationsverschiebung („Emojis? Snapchat?! Come on …") zu kämpfen haben, befolgt eine Gruppe aus Bachelor-Studenten an der UdK die Regeln des Schaltstellendenkens, ohne groß darüber nachzudenken. Sie haben ein Buch herausgebracht, in dem sie spekulativ 100 Begriffe aufreihen, die es im Jahr 2017 geben könnte. Denn fast täglich passen wir uns nicht nur den Kanälen an, über die wir kommunizieren—auch unsere Sprache ändert sich dabei stetig.

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Die beiden Herausgeber Helene von Schwichow und Salomon Hörler sind jung und studieren Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation—was sich auf den ersten Blick nicht wie ein Studium anhört, das von einer Kunst-Uni angeboten wird. Salomon inszeniert sich im Netz als Dandy, wenige Minuten nach der Veröffentlichung des Covers von Kanye Wests neuem Album The Life of Pablo modifiziert er es für seine Follower: The Life of Salomon. Schnelle Appropiation Art in Zeiten des Internets. Mit einer wahrscheinlich gecrackten Photoshop-Version erstellt und genauso schnell wieder vergessen. Auf ihrer Website haben die beiden zusammen mit anderen Studenten eine Datenbank von über 12.000 nächsten Wörtern angelegt, die stetig wachsen soll. Natürlich ist das mit der Datenbank Quatsch. Genau so wie die meisten Inhalte der Interviews, die sie Radiostationen und Jugendportalen gegeben haben. Dort sprechen sie von Projekten über VR-Brillen, mit denen man schon jetzt die Mode der Zukunft tragen kann, „regulierbar von 2020 bis 2030. Mindestens."

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Denn maßlos übertreibender Quatsch ist die Basis, auf der das Projekt gewachsen ist—und wenn man Stephan Porombkas Nachwort liest, merkt man, dass mit Quatsch eine handfeste Strategie gemeint ist. „Denn wer auf den so genannten Quatsch setzt, setzt sich über die Gebote und Verbote hinweg, die das so genannte ordentliche Denken vorschreibt", so Porombka und er sagt weiter, dass die Vernunft erst im Quatsch ihre Funktion optimiert.

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„Konkret heißt das: Man beobachtet die Kultur der Gegenwart im Hinblick auf besonders symptomatische Entwicklungen. Dann rechnet man sie hoch. Dann dreht und spinnt man sie weiter, verdreht sie, übertreibt sie, pointiert sie, bis sie die Grenzen des Möglichen und Wahrscheinlichen erreichen."

Auf eine gewisse Art und Weise fühlen sich die Wort-Neuschöpfungen schon jetzt vertraut an. Wie Jean-Marc Côté benutzen sie die Optik der Gegenwart, um das Gefühl der Zukunft zu beschreiben. Einige Begriffe wie CEOpatra oder Datascrooge klingen ziemlich windig. Aber das ist schon OK so. Denn es geht gar nicht darum, genau zu zeigen, wie wir bald reden werden, sondern darum, wer wir 2017 sind. Und welche der Begriffe wir dann wirklich benutzen, sehen wir schon in einem Jahr. Vielleicht heißt die nächste Schule dann ja auch schon „David-Bowie-Technische Universität der Künste". Mit hohen, offenen Fenstern und jeder Menge Budget. Zu wünschen wäre es ja. Auszüge aus 2017 - Ein spekulatives Glossar

Academic Victims: Leute, die in der „Academic trap" gefangen sind. Statt in ihrem eigentlichen Berufsfeld zu arbeiten, müssen sie überqualifziert und unterbezahlt einen Job annehmen, der weder ihrem Bildungsgrad noch ihren Interessen entspricht.

Ästhetiksalon: Es geht nicht mehr um deine Frisur. Es geht um deinen Lifestyle. Back-to-reality: Von Virtual Reality überwältigt, lautet das neue Erlebnisprogramm: Echtzeit genießen. Eine Rückbesinnung auf das Leben ohne Google Glass und Oculus Rift. Die Augen werden wieder dafür genutzt, Dinge in Echtzeit und ohne Second Screen zu betrachten. (to) beyonce sth.: Etwas aufwerten

Burn In: Strategie, einen Job anzunehmen, der offensichtlich auf Selbstausbeutung angelegt ist, und ihn innerhalb kürzester Zeit so zu sabotieren, dass dem jeweiligen Arbeitgeber langfristig ein erheblicher Schaden entsteht.

Datascrooge: Jemand, der extrem geizig bei der Herausgabe seiner Daten ist. Digital suicide: Durch Facebook induzierte Depressionen sind als etabliertes Krankheitsbild im Alltag angekommen. Manchmal scheint der einzige Ausweg der digitale Selbstmord zu sein: #ds Eigensinn: Solange etwas für mich Sinn macht, ist es gut für mich. Fakelove: Eine Person, die man datet, um gut auszusehen. H-IP: Das sogenannte Human Internet Protocol steht auf jedem Personalausweis und auf der Geburtsurkunde aller Menschen, die seit dem 01.01.2016 geboren wurden. Die H-IP definiert deine digitale Persönlichkeit und ermöglicht es, die Metadaten der Vorratsdatenspeicherung direkt den richtigen Menschen zuzuordnen. Holoporn: Mehr 3D als beim Holography-Porn gibt es nicht. Dabei sein ist alles, wie bei den Bundesjugendspielen. Kreuzgesellschaft: Früher: Parallelgesellschaft LoverBlocker: Die Möglichkeit die/den Ex mit Hilfe einer App aus sämtlichen sozialen Netzwerken verschwinden zu lassen. Me-YouBalance: Das Individuum steht an erster Stelle. Man muss auf die Me-You-Balance in Beziehungen achten, um noch genug Zeit für sich selbst zu haben. Phonecrush: Verknallt ins Handy. Re.fugee: Digitaler Flüchtling. Vor allem Menschen, die durch digitale Zensur und dem Ausschluss aus dem Internet ihre Datenströme durch andere Länder leiten müssen und Websites in Tonga (.to) anmelden. Themenstruieren: In den Umlauf Bringen von unbedeutenden bzw. nicht bedeutungsschwangeren Themen. Tinderesting: Man empfindet eine Person als tinderesting, wenn man sich mit ihr zwar eine gemeinsame Nacht vorstellen kann, sie aber zugleich für nicht dialogfähig hält.