Zu Besuch bei den Tauchern, die die Leichen aus dem Traunsee geborgen haben

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Zu Besuch bei den Tauchern, die die Leichen aus dem Traunsee geborgen haben

Warum sie von einer Leiche im Millstätter See wissen und diese einfach am Grund lassen.

Mit diesen Flaschen tauchten Alex K. und Hannes M. am Traunsee nach den Leichen. Alle Fotos stammen von der Autorin.

Alex K. war gerade auf dem Weg zu einem Personenschutz von Wiener Neustadt nach Wien, als sein Handy läutete. Es war Montag, der 4. Jänner 2016. Am Tag zuvor hatte jemand einen Koffer mit Leichenteilen am Ufer des Traunsees gefunden. Auf dem halben Weg nach Wien drehte er in seinem Audi wieder um—jemand anders musste für ihn einspringen. Nach dem Fund der Leichenteile wurden die Taucher des Cobra-Einsatzkommandos angefordert, um nach dem fehlenden Kopf im Traunsee zu suchen.

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Alex K. war einer dieser Taucher. Er ist 29 Jahre alt, seit zwei Jahren bei der Cobra und der zweitjüngste im Team der Taucher. Neben Hannes M. und Alex K. gehören dieser Spezialeinheit des Einsatzkommandos noch 12 weitere an. Jeder im Team wird als Pressluft- und Nitrox-Taucher ausgebildet und kann ab diesem Zeitpunkt zu Einsätzen herangezogen werden. Den Abschluss der gesamten Ausbildung bildet das Kampfschwimmen, das jeder absolvieren muss; zusätzlich gibt es noch Spezialisierungen zum Eistauchen, Tiefseetauchen und zur Entschärfung.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Hannes M. machte sich Alex K. auf den Weg von Wiener Neustadt zum Fundort der Koffer nach Oberösterreich. Die Leichen am Traunsee waren sein erster richtiger Einsatz als Cobra-Taucher. Im Gespräch erzählt er mir, wie aufgeregt und gleichzeitig gespannt er damals war. Eigentlich hätten ja die oberösterreichischen Kollegen diesen Einsatz übernehmen sollen, die waren aber zu dem Zeitpunkt gerade alle noch auf Urlaub.

Entsprechend war das erste, das Alex K. in seiner Karriere bergen musste, kein Tresor und auch keine Waffe, sondern gleich die menschlichen Überreste aus einem der skurrilsten Mordfälle in der jüngeren Geschichte Österreichs. Der Mord mit anschließendem Selbstmord beschäftigte die Medien damals vor allem wegen der besonders aufwändigen und grausamen Vorgehensweise; die Tatsache, dass der Mann mit den zerstückelnden und in Koffern verpackten Überresten seiner Frau von Deutschland nach Gmunden gefahren war und dort auch noch in einem Hotel genächtigt hatte, könnte beinahe einem österreichischen Tatort entsprungen sein.

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„Aus professioneller Taucher-Sicht war das ein sehr einfacher Einsatz", erzählt sein Kollege Hannes M. „Die Leiche des Mannes lag sehr nahe beim Steg und in drei Metern Tiefe. Aber die Umstände rund um diesen Mord, die waren spannend." Hannes M. ist älter als Alex K. und bereits seit 1998 bei der Cobra. „Wenn man es hochrechnet, war ich mittlerweile bei 200 Taucheinsätzen dabei", sagt er.

Als erstes fanden die beiden Taucher eine Tasche und dachten sich gleich, dass sich darin der Kopf befinden musste. Nicht weit davon entdeckten sie auch noch eine männliche Leiche. „Damals war ich schon überrascht, dass es eine zweite Leiche gab—wir gingen ja anfangs von nur einer aus und suchten eigentlich nur noch den Kopf dazu", erinnert sich Alex K. „Es ging dann alles relativ schnell und nach zweieinhalb Stunden war unser Job auch schon wieder vorbei."

Auch seine Kollegen wollten im Anschluss alle wissen, wie es genau abgelaufen war. „Bei der Cobra fragt dich niemand, wie es dir selbst nach so einem Einsatz geht, sondern nur, wie er genau gefunden und welche Technik man eingesetzt hat", so Alex K. „Die ganze Rückfahrt über rätselten wir, warum jemand seine Lebensgefährtin so aufwändig umbringt, nur um sich anschließend das Leben zu nehmen. Wir mussten uns dann eingestehen, dass wir es einfach nie nachvollziehen können werden", sagt Hannes M.

Alex K. sieht jünger aus, als er ist. Er ist täglich im Fitness-Studio, geht gerne mal „was trinken", mit Freunden oder Kollegen, und in seinem Auto läuft Kronehit. Wenn man mit ihm spricht, wirkt er nicht anders als jeder andere Typ Mitte 20 mit einem normalen 9-to-5-Job. Erst wenn die Waffe an seinem Gürtel hervorblitzt oder er über Leichenbergungen und Unterwasser-Tatort-Arbeit spricht, wird einem sein Cobra-Job wieder bewusst. Wie bei solchen Jobs üblich, verbinden die Einsätze und Erlebnisse die Kollegen untereinander genauso stark, wie sie sie von normalen Menschen trennen.

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Alex erzählt in Kärntner Dialekt, dass er schon taucht, seit er 14 Jahre alt ist. Richtig angefangen habe er damit bei der Feuerwehr. Nach der Matura ging er direkt zum Militär und war unter anderem auf den Golanhöhen. Nach 3 Jahren im militärischen Dienst stellte sich für ihn die Frage, ob er bleiben oder zur Polizei wechseln sollte. „Heute bin ich unglaublich froh, mich dafür entschieden zu haben. Ich mag das Abenteuerliche an meinem Beruf. Ich weiß in der Früh nie, wie der Tag werden wird", sagt er. Dabei glänzen seine Augen richtig. „Es ist jetzt nicht jeden Tag der totale Krieg los, zum Glück, aber man erlebt schon einiges."

In den kommenden 8 Wochen macht Alex K. die Kampfschwimmer-Ausbildung. Dafür wohnt er sogar auf dem Gelände der Cobra in Wiener Neustadt. Freizeit habe er nicht viel und das sei auch gut so: „So lange ich noch jung bin und keine Familie habe, will ich hier viel erreichen."

Die Hierarchien bei der Cobra sind streng, die Unterschiede unter den Rängen in jedem Moment spürbar. Alex K. ist ein „Kämpfer", wie ihn Hannes M. gerne nennt. Das bedeutet, dass er ein Einsatzbeamter im Kommando und somit immer an vorderster Front ist. Hannes M. hingegen ist in einer „Stabsfunktion"—er ist Tauchlehrer, aber ansonsten eher für die Organisation und den Support im Hintergrund zuständig.

Es gab schon Einsätze—gerade bei der Feuerwehr—, bei denen Alex K. auch an seinen Grenzen angelangt sei. „Einmal tauchte ich neben laufenden Turbinen in einem Kraftwerk, da hatte ich schon echt ein ungutes Gefühl", erzählt er. „Es ist aber reine Kopfsache. Man muss lernen, manche Sachen auszublenden. Ich dachte mir damals nur: Jetzt bin ich schon im Wasser, jetzt muss ich da auch durch." Hannes M. stimmt ihm zu: „Während der Bergung der Leichen im Traunsee habe ich nicht darüber nachgedacht, dass das Menschen mit Familie waren. In diesem Moment müssen es Gegenstände für mich sein, sonst hätte ich mich nicht auf meine Arbeit konzentrieren können."

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Immer wieder betonen beide Cobra-Taucher im Gespräch, dass man eben lernen müsse, mit toten Menschen umzugehen und wie man „über so was steht" oder „über seine Grenzen hinauszugehen lernt". Wenn Hannes M. von seinem Job erzählt, wirkt es teilweise, als würde er von Mutproben sprechen, die er gegenüber der Mannschaft bestehen müsse. Psychische Belastungen scheinen hier als Schwäche eingestuft zu werden, die man sich abtrainieren muss. „Halten Sie Ihre Motivations- und Leistungsbereitschaft und vergessen Sie niemals—bei keiner einzigen Handlung Ihres weiteren Lebens—, dass Sie ein Cobra-Mann sind", lautete 2005 die Verabschiedung der damals frischen Cobra-Beamten in den Dienst, wie man in der ATV-Reportage „Im Einsatz EKO-Cobra" sehen kann.

Auch Alex K. benützt ähnliche Phrasen und hat sich den Sprachduktus seiner Kollegen angeeignet—man müsse im Kopf einfach „umschalten" lernen, erklärt er mir. Empfindungen wie Angst sollen in der Kampfschwimmer-Ausbildung jetzt abgebaut werden. Hannes M. meint über seinen Kollegen, dass Alex K. dabei noch stärker an seine Grenzen gehen müsse als bisher. „Unsere Taucher müssen mental stark werden", sagt Hannes M. Dabei sieht er Alex K. an und sagt: „Das bist du noch nicht. Aber durchs Kampfschwimmen wirst du da schon noch hinkommen."

Manche Schilder im Trainingszentrum der Cobra in Wiener Neustadt erinnern noch an alte Zeiten.

Trotz der einheitlich harten Gangart geht jeder Taucher mit dem Erlebten anders um: „Manche Taucher wollen darüber sprechen, was sie gesehen haben, andere gar nicht. Manchmal helfen auch Scherze", sagt Alex K. „Dabei geht es nicht darum, sich über jemanden lustig zu machen, sondern einfach darum, etwas zu verarbeiten und die Stimmungen aufzulockern." Regelmäßig wurde unter den Tauchern auch darüber gescherzt, einmal die falsche Leiche zu bergen—quasi der Running-Gag im Team.

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Bis ihnen einmal genau das passierte. Damals suchten sie in einem Fluss nach einer vermissten Frau und fanden eine weibliche Leiche, die zur Beschreibung passte. Wie sich herausstellte, war es aber eine andere Frau. Sie erfuhren davon, als sie im Bereitstellungsraum auf die Bestätigung warteten. „Die Geborgene wurde zwar auch vermisst, aber es war nicht die, die wir gesucht haben. Dann mussten wir wieder ins Wasser und fanden nach einiger Zeit die richtige Person", erzählt Hannes M.

„Es gibt auch Leichen in den österreichischen Seen, von denen wir wissen, dass sie da sind, die wir aber nicht rausholen können. Wie zum Beispiel eine Leiche im Millstätter See", erzählt Hannes M. Der See ist mit seinen 141 Metern der tiefste See Kärntens. Damals beobachteten Zeugen, dass eine Person an einer sehr tiefen Stelle im See aus dem Boot in den See gestürzt sei und ertrank. Nach der Person wurde dann mit einem ferngesteuerten Unterwasserfahrzeugs—das eigentlich in der Ölindustrie für Wartungen eingesetzt wird gesucht, konnte aber nicht gefunden werden. „Eine flächendeckende Suche im ganzen See wäre schon möglich gewesen, jedoch sehr Zeit- und Personalaufwendig", sagt Hannes M. Darum habe die Staatsanwaltschaft gemeinsam mit den Verbliebenen beschlossen, die Leiche dort zu belassen.

„Da liegen einige Leichen in den österreichischen Seen. Von manchen wissen wir, von manchen nicht. In einem Fluss kommen Leichen eher zum Vorschein, weil sie angeschwemmt werden. Aber in einem tiefen See … wenn da eine Leiche erst mal unten ist, dann bleibt sie meistens auch unten", sagt Hannes M.

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Geborgen werden können Leichen durch das sogenannte Mischgas-Tauchen nämlich nur bis zu einer Tiefe von 100 Metern. Damit ist der Millstätter See eindeutig zu tief—und er ist nicht der einzige. Auch im deutschen Starnberger See liegen angeblich mindestens 28 Leichen am Grund. Mit seinen 128 Metern Tiefe wäre eine Bergung auch dort zu gefährlich für die Taucher. Helmut Schuhmacher, Polizeihauptmeister bei der Starnberger Wasserschutzpolizei, erklärtgegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass ein Körper bereits nach maximal 30 Minuten an der Wasseroberfläche absinke—entsprechend schnell müsse man in tiefen Gewässern also handeln.

Früher gab es um die Spezialeinheit der Taucher auch innerhalb der Cobra eine gewisse Mystik, meint Hannes M. „Damals zögerten manche Kollegen noch, uns anzurufen, weil sie sich nicht genau vorstellen konnten, was wir eigentlich machen. Heute sind wir eine größere Einheit mit steigender Tendenz und versuchen auch, transparenter zu sein", sagt Hannes M. „Ich glaube, die anderen sind schon froh, dass es uns gibt. Wir sind eine Art Werkzeug, das eingesetzt werden kann, wenn sie nicht mehr weiterkommen", meint Alex K.

Generell würden sich die meisten Leute den Beruf abenteuerlicher vorstellen als er die meiste Zeit über ist, meint Alex K. Wie in jedem Fachberuf ist auch die Arbeit der Cobra-Taucher manchmal eine mechanische: „Wenn wir eine neue Technik entwickeln und dadurch ein Einsatz funktioniert, dann ist das richtig cool", so Hannes M. Er erzählt mir von Seilen und Lichtern und wie man diese koordinieren kann, um zum Beispiel eine Leiche zu finden, an die sie bisher nicht rangekommen wären. Wenn Hannes M. von Tauchtechniken und Equipment spricht, wird das Tauchen in seiner Erzählung zu einem reichen Nerd-Universum voller mechanischer, technischer Details und eigener Philosophien. Anstatt mit Action, Mord und Wasserleichen hat diese vor allem mit Technik, Angst und dem eigenen Überlebensinstinkt zu tun.

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Das geht nicht selten zulasten von Familie und Beziehung, erzählt Hannes M. „Aber die Freunde meiner Kinder waren immer ganz aus dem Häuschen, wenn sie erfahren haben, was ich mache oder wo ich gerade herkomme", meint er und lacht. Heute ist seine Tochter schon 19. Sie will ebenfalls Polizistin werden.

Alex K. findet die Sea Shepherd Conservation Society gut, weil sie sich gegen Walfang und Robbenjagd einsetzt.

Wenn es keine Taucheinsätze gibt, muss Alex K. ganz normale Cobra-Dienste machen—wie zum Beispiel den eingangs erwähnten Personenschutz, bei dem er meist Politiker oder Botschafter begleitet. Aus diesem Grund dürfen die beiden Taucher auch nicht fotografiert oder mit ihrem vollen Nachnamen genannt werden. „Besteigt die Person, die ich begleiten muss, einen Berg, dann tue ich das auch. Besucht sie den Opernball, dann tue ich das auch. Fährt sie in einem Auto herum, dann tue ich das auch", sagt Alex pragmatisch.

Auch wir sitzen wieder in seinem Auto, als er mich zum Bahnhof zurück bringt. Zum Abschied erzählt er mir: „Nicht böse gemeint, aber die Leute bei der Cobra sind einfach ein eigener Schlag Menschen—das kann man ruhig so sagen. Wir sind extrem auf Sport konzentriert und wollen was erleben." Wieder leuchten seine Augen. „Ich kann es mir überhaupt nicht mehr vorstellen, von 9:00 bis 17:00 Uhr in einem Büro zu sitzen."

Aus diesem Grund gäbe es für ihn auch keine Grenzen mehr zwischen Privatem und Beruflichem. „Trotzdem freue ich mich darauf, mal wieder Urlaub zu machen und nur so zum Spaß zu tauchen—irgendwo, wo ich nur schöne Sachen unter Wasser sehe."

Eva auf Twitter: immerwiederEva