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Popkultur

Black Power

Designer Shayne Oliver und die Evolution der neuen schwarzen Männlichkeit in der Modewelt.

Shirt von Hood By Air

FOTOS VON AWOL ERIZKU
STYLING: IAN BRADLEY
KÜNSTLERISCHE LEITUNG: ADRIAN PHILLIPS

Stylingassistenz: Dawn Nguyen, Dennine Dyer, Tyrone Walls
Grooming: Michael Anthony, Haare: Triana Francois for Hair
Models: Aly Ndiaye und Randy Bowden von Boss Models NY, Anthony Ruffin von RED, Jeremiah Phiniezy von St. Claire, Keem White, Magor Mbengue, Renald Seme, Roze Traore, Yunis Torres

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Alle Augen richteten sich auf Shayne Oliver, als er in der Sommerhitze des Jahres 2001 eine glühend heiße Kirche in der Bronx betrat. Der schlaksige Teenager schlurfte im kurzen weißen Top, das seine schlanke Taille entblößte, in den Vorraum. Schwarze Haut blitzte durch die Risse seiner handzerfledderten Jeans, die so eng war, dass er sie hatte auseinanderschneiden und dann mit Sicherheitsnadeln wieder zusammenstecken müssen, um überhaupt hineinzupassen. Sein Outfit grenzte Shayne drastisch von den Männern der Gemeinde in ihren unförmigen Anzügen ab. Noch bevor er und seine Mutter auf einer der Kirchenbänke hatten Platz nehmen können, schleuderte ihm der Prediger von seiner Kanzel aus eine Litanei gehässiger, homophober Gemeinheiten entgegen. Es dauerte einen Moment, bis Shayne merkte, dass der Prediger sich gegen ihn ereiferte. „Kurz gesagt, der Prediger schmiss mich aus der Kirche“, erzählte er mir. „Danach bin ich nie wieder hingegangen.“

Heute ist Shayne 26 und Designer des Männerlabels Hood By Air, dessen provozierender Stil—neben Marken wie Telfar und Third Floor—jungen schwarzen Männern vielfältige und selbstbewusste Ausdrucksformen ihrer Männlichkeit bietet. In Shaynes Shows ist es nicht ungewöhnlich, dass seine Models geschminkt, bauchfrei oder im Kleid über den Laufsteg stolzieren. Und die Hälfte der Zeit ist es unmöglich, zwischen Männern und Frauen zu unterscheiden. Doch weit entfernt von Verweichlichung verströmen seine Looks die physische Kraft eines Lineman beim Niederwalzen eines Quarterbacks oder zweier klirrender Schwerter in einem Actionfilm. Letztes Jahr um dieselbe Zeit versammelten sich bei Shaynes Debüt auf der New York Fashion Week so viele Zuschauer, dass ich auf Zehenspitzen stehen musste. Mit Machorapper A$AP Rocky auf dem Laufsteg und Stars wie Kanye West und Waka Flocka Flame im Publikum kündigte die Show ein neues Zeitalter der Entfaltung schwarzer Männlichkeit an. In der Vergangenheit haben andere bereits ähnliche Grenzen überschritten. Vor Kanye und A$AP haben schwarze Künstler wie Sly & the Family Stone in den 1960ern und Cameo in den 1980ern Klamotten getragen, die den Outfits auf der Folsom Street Fair in nichts nachstehen. Und in den 1990ern flanierte Tupac bei einer Versace Modenschau in einem leuchtend goldenen Anzug über den Laufsteg.

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Was diesen neuen Trend allerdings von seinen Vorläufern unterscheidet, ist die Tatsache, dass heterosexuelle Männer wie Kanye und Rocky kein Problem damit haben, dass einige ihrer Looks der schwulen Community entstammen. Diese Art der Inklusivität und Offenheit ist einer der vielen Hinweise auf ein neues Auftreten schwarzer Männer in einer Zeit, in der machistische Vorstellungen und die Bürde von 400 Jahren Sklaverei und Rassendiskriminierung immer weiter zurückgedrängt werden. Hypermaskulinität half vielen schwarzen Männern lange Zeit, mit der Tatsache umzugehen, dass ihnen Ansehen und Privilegien in den USA durch die Geschichte hindurch vorenthalten wurden. Es ist ihre Reaktion auf die institutionalisierte Entmännlichung, die einen wesentlichen Teil der Sklaverei ausmachte. Erwachsene Männer wurden mit der Anrede „Junge“ oder „Nigger“ herabgewürdigt, sie wurden Opfer von Kastration und oft gezwungen mitanzusehen, wie ihre Frauen und Töchter misshandelt und vergewaltigt wurden. Aufgrund der langjährigen Betonung des Machismo in der schwarzen Kultur stoßen die neuen androgynen Stile, die nun dank Designern wie Shayne auf den Straßen zu sehen sind, auch auf Ablehnung. HipHop-Pionier und Mitgründer von Brand Nubian, Lord Jamar, brachte vor Kurzem ein herabwürdigendes Stück mit dem Titel „Lift Up Your Skirt“ heraus, in dem er Kanye als „schwul“ bezeichnet, weil er ein „Kleid“ trägt und „Röhrenjeans in die Rapszene einführt“. „Ich glaube, [diese Reaktionen] sind eine Folge der ewigen Auseinandersetzung mit dem Schwarzsein und der Angst davor, dass das als Schwäche betrachtet wird und das Bild der schwarzen Community schwächt“, erklärte Shayne. Die systematische Entmännlichung schwarzer Männer in der amerikanischen Kultur ist ein sehr ernst zunehmendes Thema und wird als eine gemeinschaftliche Verschwörung der Weißen diskutiert. Angesichts der lächerlichen und verletzenden Zerrbilder schwarzer Männer, wie sie die Populärkultur zeichnet—von den Minstrels bis zu Tyler Perry—ist das verständlich. Nachdem er aus seiner Show auf Comedy Central ausgestiegen war, erzählte Dave Chappelle Oprah: „Wenn ich sehe, dass sie jeden schwarzen Mann mindestens einmal in seiner Filmkarriere in ein Kleid stecken, dann fange ich an, Zusammenhänge herzustellen.“ Der Comedian erinnerte sich, wie einmal Autor, Regisseur und Produzent eines Filmes aus heiterem Himmel versuchten, ihn dazu zu bewegen, Frauenkleider anzuziehen. „Ich muss kein Kleid tragen, um lustig zu sein!“ Mode hat bei schwarzen Männern immer eine große Rolle gespielt, wenn es darum ging, ihre Männlichkeit auszudrücken. Dr. Akil Houston, Professor für Kultur- und Medienwissenschaften an der Fakultät für African American Studies an der Ohio University, erklärte mir die historischen Gründe am Telefon.

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„Man darf nicht vergessen“, sagte Dr. Houston, „dass schwarze Männer in der Zeit der Sklaverei bei Wahlen nur als Dreifünftel-Personen gewertet wurden. Ihnen blieben kaum Möglichkeiten, ihre Männlichkeit zu behaupten. Was sie aber tun konnten: Sie konnten ihren Körper einsetzen, und im Laufe der Geschichte wandten sich daher viele Männer der Mode zu.“ Am deutlichsten zeigt sich das in der Tradition des „Sonntagsstaats“ für den Kirchenbesuch. An sechs Tagen in der Woche plagten sich die versklavten Männer ununterbrochen in Lumpen ab. Der Sonntag bot ihnen eine Möglichkeit, sich vom Schmutz der Woche zu reinigen und Stolz zu zeigen—ein wichtiger Aspekt der Männlichkeit, aber ein Gefühl, das auszudrücken äußerst gefährlich war für Menschen, die wie Vieh behandelt wurden, und nicht einmal lesen und schreiben lernen durften.

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Das Gespenst der Sklaverei hat sich mit der Zeit tiefgreifend auf die Maskulinität schwarzer Männer ausgewirkt. Um die Praxis der Sklaverei zu rechtfertigen, wurden Stereotype hinsichtlich der Eigenschaften schwarzer Männer verbreitet—wir seien labil, lüstern, stumpfsinnig und animalisch. Stellte man Schwarze wie Tiere dar, wurde es akzeptabler, sie auch als solche zu behandeln. Doch unglücklicherweise dienen diese hässlichen Tropen den Mächtigen auch heute noch zur Rechtfertigung ihrer Maßnahmen, von der Einführung von „Stop-and-Frisk“ in New York bis zur ungerechten Anwendung des „Stand-Your-Ground“-Gesetzes in Florida. In schwarzen Männern können sich diese Lügen zu etwas ausbilden, das W. E. B. Du Bois als doppeltes Bewusstsein bezeichnet und 1897 in einer Ausgabe der Atlantic Monthly beschrieben hat: „dieses Gefühl, sich selbst immer nur durch die Augen anderer wahrzunehmen, der eigenen Seele den Maßstab einer Welt anzulegen, die nur Spott und Mitleid für einen übrig hat“. Das Phänomen des doppelten Bewusstseins kann schwarze Männer zu zwei verschiedenen Männlichkeitsauffassungen führen—entweder definiert man sich in diametralem Gegensatz zu diesen Stereotypen oder man verinnerlicht und verkörpert sie. In den schwarzen Ghettos Amerikas trifft man Letzteres häufiger an als Ersteres. „Auf der Straße herrscht ein verzerrtes Bild von Männlichkeit … Wenn du Löcher in den Schuhen hast und siehst, wie jemand zu Geld kommt, wird er dein erster Held“, sagt Daniel „Dapper Dan“ Day im Wohnzimmer seines eleganten Harlemer Brownstones. „Aber echte Männlichkeit bedeutet nicht, anderen Leid zuzufügen, sondern Leid auszuhalten.“ Dan war ein Zuhälter, der in den 1980ern wegen seiner luxuriösen, ausgesprochen männlichen Herrenkleidung, die er in seiner gleichnamigen Boutique verkaufte, zur Modelegende wurde. Seine Stücke, getragen von schwarzen Berühmtheiten wie Mike Tyson und bekannten Crackdealern wie Alberto „Alpo“ Martinez, zierten Monogramme europäischer Modehäuser—Gucci, Fendi, Louis Vuitton—und zwar als diese Firmen noch hauptsächlich Lederwaren und Accessoires herstellten. Als den Modehäusern schließlich aufging, was Dap tat, klagten sie ihn aus dem Geschäft, übernahmen aber klammheimlich seinen Stil als Vorlage.

„Ich [war so] wütend, dass mir gar nicht klar war, wie wütend ich wirklich war“, sagte er. Angesichts seines Einflusses auf unseren Kleidungsstil ist kaum zu verstehen, warum er nicht mehr als eine Straßenlegende geworden ist. In rostfarbener Lammfellweste und selbst designten Hosen sitzt mir Dan auf einer riesigen Couch gegenüber und versucht, das zu erklären. „Das Einzige, was mich jemals aufgehalten hat … verstehst du, meine Hautfarbe an sich hat mich eigentlich nicht so stark aufgehalten, sondern vielmehr, wie ich selbst sie wahrgenommen habe.“ Die Last der Geschichte und die sehr realen rassistischen Konflikte haben ihn daran gehindert, sich mit Leuten zusammenzutun, die ihm dabei geholfen hätten, weiter an der Erfüllung seiner Träume zu arbeiten.

„Ich werde mir niemals wieder gestatten, mich nur auf Menschen wie mich selbst zu beschränken“, sagt er. „Daran kann man nicht wachsen. Man braucht Kontakte [zu] Schwulen, Heteros, Weißen, Schwarzen, Spaniern, Engländern, allen …“ Dann schaut er auf seinen Sohn Jelani, der in einem komplett schwarzen Trainingsanzug und mit einem enormen Afro auf der gegenüberliegenden Couch sitzt, und sagt stolz: „Aber mein Sohn ist nicht so wie ich, er ist anders. Er ist nicht mit dieser Wut auf alles und jeden aufgewachsen.“ Was Dan über seinen Sohn sagt, spiegelt viel von dem wider, wie ich diese neue Welle kreativer Künstler erlebte, die sich der Vergangenheit zwar bewusst sind, aber nicht von ihr gezeichnet scheinen. Ihre Distanz zur Geschichte, die noch Männer wie Dapper Dan geprägt hat, hat sie mutiger gemacht und besser dafür ausgerüstet, neue Wege zu gehen. Besonders deutlich wurde mir das, als ich mich mit Darryl „CurT@!n$“ Jackson verabredete, dem Markenchef des boomenden Luxus-Streetwear Labels En Noir. Als ich versuchte, ihn auf Schwarzsein und Männlichkeit anzusprechen, stockte er. „Ich habe nie in Kategorien von Rasse gedacht. Ich weiß, dass ich schwarz bin, aber was ist schwarz?“ Dass CurT@!n$ nicht anerkennen wollte, welche Rolle die Rasse im Leben eines schwarzen Mannes spielt, machte mich erst mal sprachlos. Aber im Laufe des Gesprächs merkte ich, dass es CurT@!n$ nicht darum ging, die Geschichte des Rassismus zu leugnen, er lässt nur nicht zu, dass sie sein Selbstbild bestimmt, oder das seiner Umgebung. „Wenn du sagst: ‚Ich kann die Decke berühren‘, dann wird dieser Gedanke in deinem Kopf lebendig. Selbst wenn du sie aufgrund deiner Körpergröße gar nicht erreichen kannst, glaubst du daran. Du sagst dir nur: ‚Ich habe es noch nicht getan.‘“ Auf die Entfaltung schwarzer Männlichkeit bezogen heißt das, wir haben es noch nicht getan. Sogar Kanye gibt zu, dass er bei dem Gedanken, den Lederkilt in seiner Heimatstadt Chicago zu tragen, Todesängste ausstand, und Shayne sagte mir, er sei davon überzeugt, dass man ihn wegen seines Looks auch heute noch, mehr als zehn Jahre später, aus seiner Kirche in der Bronx verjagen würde. Wie James Baldwin es 1955 in seinem Essay Fremder im Dorf über die Auswirkungen der Sklaverei brillant formulierte: „Die Menschen sind gefangen in ihrer Geschichte, und die Geschichte ist gefangen in ihnen.“ Aber wenn er damit recht hat—und ich glaube, das hat er—dann wird diese neue Welle von Designern und Künstlern, wenn sie schließlich in unsere Geschichte eingeht, eine neue Ebene der Freiheit und des Selbstausdrucks bedeuten. Hoffentlich fühlen wir uns dann so frei, dass wir einfach wir selbst sein können, und nicht nur der Widerschein einer schmerzlichen Vergangenheit.