Rechtsradikaler Flächenbrand: Eine Comic-Reportage

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Rechtsradikaler Flächenbrand: Eine Comic-Reportage

Der NSU mag Geschichte sein, rechtsradikale Terrorzellen existieren weiter und warten nur auf die richtige Gelegenheit.

David Schraven ist ein investigativer Journalist, der zusammen mit dem Zeichner Jan Feindt den Comic Weisse Wölfe veröffentlicht hat. Dabei geht es um militante Rechtsradikale, von denen der NSU nur ein kleiner Teil war. Wir haben ihn gebeten, über seine Recherche zu schreiben.

Nach den Morden des NSU ging mir eine Frage einfach nicht aus dem Kopf: Warum fährt irgendwer mit einem Wohnmobil aus dem Thüringer Wald quer durch Deutschland ausgerechnet nach Dortmund in die Nordstadt, um da einen Menschen zu töten? Warum?

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Ich habe als Reporter aus dem Ruhrgebiet nach Antworten gesucht und bin der Wahrheit, glaube ich, Stück für Stück näher gekommen.

In endlosen Gesprächen überall in Nordrhein-Westfalen habe ich mich immer näher rangerobbt. Viel kann ich davon nicht erzählen. Manche Wege waren ziemlich irre. Um einen Kontakt in Essen zu machen, musste ich beispielsweise erstmal nach Anklam reisen. Dort in Ostdeutschland, nahe an der polnischen Grenze, habe ich einen Mittelsmann getroffen, der mich weiterempfohlen hat, an einen weiteren Mittelsmann in Münster, der mich dann weitergereicht hat zurück nach Essen. Das meiste funktionierte nur im persönlichen Gespräch. Manchmal habe ich einen handschriftlichen Brief abgeschickt, über Mittelsmänner und Familienmitglieder wurden diese Briefe in der Szene weitergereicht.

Mir war klar, wenn ich wissen will, was wirklich los ist, hilft es nicht, nur mit der Antifa zu sprechen oder mit der Polizei. Es macht auch keinen Sinn, nur die Berichte des Verfassungsschutzes auszuwerten oder die Erkenntnisse der Untersuchungsausschüsse abzustauben. Ich musste direkt in die Nazi-Szene. Dahin, wo die richtig bösen Jungs waren.

Es ist ein wenig wie beim Fußballspiel. Wenn du nur in der eigenen Hälfte bleibst, kannst du zwar dein Tor absichern, aber du kommst nie ans Ziel. Du wirst nie ein Tor machen. Wenn du was erreichen willst, musst du raus aus der Sicherheitszone, musst du was riskieren. Dann schießt du am Ende auch ein Tor mehr als der Gegner.

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Deswegen musste ich raus. Ich musste Kontakte zu den Nazis finden.

Irgendwann hatte ich dann Glück, nach Monaten. Ich konnte einen Mann treffen, der selbst tief im Netz der Nazis gefangen war. Er war ein Gewalttäter und wie ich in den Gesprächen immer deutlicher mitbekommen habe, auch jemand, der sich auf den Weg eines „politischen Soldaten" gemacht hatte. Dieser Mann, ich nenne ihn Albert S., hat mich tief eingeführt in die Gedankenwelt der Nazis. Zunächst zögerlich, dann immer offener. Von Gespräch zu Gespräch, von Treffen zu Treffen.

Albert S. hat mir die immer fortschreitende Eskalation und die Bereitschaft seiner und anderer Gruppen zu Anschlägen, Gewalttaten und irgendwann auch zu Totschlag beschrieben. Irgendwann hat er auch rausgerückt, wie die internationalen Verflechtungen aussahen. Dass es eine Gruppe in Belgien gab, bei der auch er als Deutscher mitgemacht hat, die in einer Kaserne Anschläge und Terror trainiert hat. Er hat mir erzählt, wie sich die Gruppen durch Konzerte finanzierten oder auch durch Überfälle.

Eines ist mir bei den ganzen Beschreibungen aufgefallen. Es gibt ein gemeinsames Element, sei es beim NSU, sei es bei den anderen Neonazi-Anschlägen: Es werden Geschäfte und Banken überfallen, es werden Waffen beschafft und eingesetzt, und es wird Gewalt um der Gewalt willen ausgeübt. Terror eben. Aber jeweils in kleinen autonomen Zellen. Albert S. hat diese Taktik „führerloser Widerstand" genannt. Gelebt wurde das Modell im Netzwerk Blood & Honour und in den Combat-18-Zellen. Diese waren auch in Deutschland verbreitet—bis zu ihrem Verbot vor ein paar Jahren. Danach gab es nur noch vereinzelte Gruppen, die in der Illegalität operierten.

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An einem Weihnachtsabend dann bekam ich einen Anruf. Aus dem Knast. Von einem inhaftierten Mann, der früher zur Naziszene gehört hatte. Er hat mir gesagt, wenn ich alles verstehen will, muss ich die Turner-Tagebücher lesen. Meine Kinder waren im Nebenzimmer, vor dem Weihnachtsbaum. Ich bin rausgegangen, es hat geschneit. Und am Ohr habe ich die Einzelheiten erfahren, wie die Gedankenwelt aussieht. Bis dahin kannte ich diese Bücher nicht. Ich wusste nicht, dass sie die Bibel der Rassenhasser sind.

Ich hab mir anschließend das verbotene Buch beschafft und es gelesen. Es liest sich wie eine Beschreibung des NSU—bis ins Detail, bis zu der Liebesbeziehung zwischen Zschäpe und den beiden Uwes, bis zu den Sexszenen, bis zu den Überfällen und den Gewalttaten und Terroranschlägen.

Erschreckend ist aber das Ziel hinter dem Ganzen: Die kleinen Zellen von rechten Terroristen wollen einen Rassenkrieg auslösen, an dessen Ende ganze Völker vernichtet werden.

Ich fand das unglaublich. Dieses Buch wurde im Umfeld des NSU entdeckt. Das FBI geht davon aus, dass der Roman die Urheber des Bombenanschlags auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City zu ihrer Tat motivierte. 168 Menschen starben. Auch der norwegische Massenmörder Anders Breivik bezog sich in seiner Stellungnahme auf die Turner-Tagebücher. Er tötete 77 Menschen.

Das Erschreckende dabei: Es ist egal, wie die Gruppen heißen. Sie sind da. Sie haben ihre Anleitung zum Terror und sie leben ihren Hass aus. Heute heißen die Gruppen nicht mehr Combat 18—heute heißen sie vielleicht Widerstand Ost, oder Aryan Resistance. Ihre Namen wechseln. Ihre Taktik nicht. Sie wollen Terror.

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Albert S. hat das so erklärt, eine Art Kommunikation der Tat: Eine Zelle macht einen Anschlag und wartet ab, ob eine andere Zelle mit einem neuen Anschlag antwortet. Die eine Gruppe legt einen Brand, antwortet die andere mit einem weiteren Brandsatz? Bis irgendwann das ganze Land brennt. Ein Nazi sagte mir, seine Gruppe horte Waffen für diesen Tag, wenn der Flächenbrand kommt.

Heute brennen wieder Flüchtlingsheime. Immer wieder, immer öfter. Ich frage mich: stecken dahinter auch Neonazis, die mit ihren Taten mit anderen Zellen kommunizieren wollen?

Aus meiner Recherche habe ich zusammen mit dem begnadeten Zeichner Jan Feindt eine grafische Reportage gemacht. Und das macht Sinn. Jans Zeichnungen erschaffen von Situationen Bilder, von denen es keine Bilder geben kann. Er eröffnet damit weitere Erzählebenen, die es möglich machen, die rechtsradikale Realität auch emotional zu erfassen. Zudem wird dem Betrachter durch die Zeichnungen direkt klar, dass es Abstraktionsebenen gibt. Dass wir nicht die buchstäbliche Wirklichkeit abzubilden versuchen wie in einem Film oder einer Fotoreportage, sondern dass wir nach Authentizität streben. Die Handlungen sind real—nicht die Bilder. Wir spielen nichts vor, sondern sind offen auch in der Darstellung.

Wir beide, Jan und ich, wir wollen Kunst und investigativen Journalismus in einer neuen Erzählform zusammenzuführen.

Wer sich selbst ein Bild machen will und gerade zufällig in Deutschland ist, kann die Ausstellung in Berlin besuchen:

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Eröffnung: 19. Februar 2015 ab 19:00 Uhr in der Redaktion von CORRERCTIV in der Singerstr. 109 in Berlin Mitte. Danach vom 23. bis 27. Februar zwischen 11:00 und 17:00 Uhr am gleichen Ort.":

Das Buch gibt es hier.