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Als ich zum allerletzten Mal im Zielpunkt einkaufen war

Eine Ode an den pleite gegangenen Diskonter, der eigentlich keiner war, und ein paar traurige Bilder seiner Endzeitstimmung.
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Seit letzter Woche gehört die Zielpunkt-Pleite so sehr zum Alltag in den Medien, dass man sich kaum daran erinnern kann, dass die Supermarktkette auch mal einen ganz normalen Betrieb hatte. Aber das hatte er. Und ich war eingefleischter Zielpunkt-Stammkunde.

Es macht mich tatsächlich sehr traurig, ausgerechnet den Ort zu verlieren, an dem ich viele Feierabende, verplante Katereinkäufe und fluoreszierende Stunden des Konsums verbracht habe. Die Avocados waren fast immer geil, die Weinauswahl perfekt auf mich abgestimmt und die eingelegten Calamari habe ich geliebt (meine Nachbarn den Duft der daraus gekochten Pasta allerdings weniger).

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Deshalb habe ich bei meinem vielleicht letzten Einkauf in meiner Lieblings-Supermarkt-Kette reflexartig ein paar Fotos geschossen und den Untergang vor meinen Augen dokumentiert. Ein bisschen aus Unglaube und ein bisschen aus Nostalgie.

Die ausgedünnten Regale hatten tatsächlich etwas sehr Melancholisches. Die nach Ermäßigungen und 50-Prozent-Angeboten gierende Klientel wirkte ein wenig wie ein altersschwacher Plünderer-Mob; langsam schlurfend wurden die Taschen gefüllt und der Markt nach potenziellen Gegnern gescannt, die es auf dieselben Vergünstigungen abgesehen haben könnten. Der drohende Niedergang ließ die Leute dann aber doch pietätvoll panikshoppen.

Überall hingen die schwarzweiß ausgedruckten Zettel mit dem wenig enthusiastischen Verweis auf Prozentnachlass. Mehrere Kopien mit Anmerkungen in Bezug auf Gutscheine und Sammelpässe sollten wohl erneute 3-Euro-„Shitstorms" vermeiden.

Alles in allem herrscht in mittlerweile fast allen Zielpunkt-Filialen eine apokalyptische Endzeitstimmung—wobei eine Bekannte zu diesen Umständen eigentlich ganz richtig kommentierte, dass es beim Zielpunkt eigentlich eh schon immer so war. Zugegeben führte ein Freitagabend-Einkauf auch schon früher manchmal an gähnend leeren Fleischkühlern vorbei. Aber das nahm ich früher gern in Kauf; so wie man auch die schlechte Laune eines guten Freundes mal in Kauf nimmt, weil man weiß, dass man bald wieder aus dem Vollen schöpfen können wird.

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Der Zielpunkt schwebte dabei zwischen der Tristesse eines abgelegenen Hofers und dem Selbstbewusstsein einer optisch weniger attraktiven Billa-Filiale. Das Discount-Image wollten Pfeiffer, die leitende Gesellschaft hinter Zielpunkt, aber immer schon loswerden.

In den letzten zwei Jahren wurde für Zielpunkt noch stark in neue Immobilien und Filialenerneuerungen investiert—man darf also davon ausgehen, dass der Konkursantrag Anfang Dezember eher überraschend kam. Für manche Zielpunkt-Mitarbeiter kam die Nachricht jedenfalls völlig aus dem Nichts.

Natürlich möchte man sich da gleich kapitalistische Verschwörungstheorien zusammen basteln, aber die Wahrheit ist—wie bei allen Verschwörungstheorien—leider viel banaler und trauriger.

Bevor jetzt aber Lichterketten und Anti-Flüchtingsdemos für die Mitarbeiter organisiert werden—wer soll denn bitte sonst schuld sein (!!?!1!elf!)—, man darf natürlich auch nicht vergessen, dass es genau für solche Pleite-Fälle Arbeitnehmer- und Insolvenzentgeldfonds gibt. Die Mitarbeiter würden demnach finanziell nicht komplett alleingelassen werden. Trotzdem ist es aber extrem beschissen, arbeitslos dazustehen.

Ich habe auch von vielen Seiten gehört, dass Leute bei den immer ausgeräumter werdenden Zielpunkt-Filialen die Kassierer am liebsten in den Arm genommen hätten. Auch ich hatte dasselbe Verlangen, als ich letztens hundeäugig zusehen musste, wie mein Clever-Haribo-Imitat und der Schokoladen-Adventkalender über den Barcode-Scanner gezogen wurde. Es war das traurigste Biepen der Welt.

Zum Abschluss möchte ich kurz einen Hans machen (diese Formulierung sollte übrigens längst ein Ding sein) und fragen: Wie geht es jetzt für mich weiter? Dieselbe Frage beschäftigt derzeit wohl alle, die irgendwie mit Zielpunkt zu tun hatten—egal ob Mitarbeiter oder eben Leute mit leichter Kauforientierungslosigkeit wie mich, die das geschmacklose Gemüse und den Elitarismus in anderen Märkten nicht packen. Zielpunkt, dein Kunstlicht hat mich regelmäßig nicht nur die Tageszeit, sondern auch die harte Welt da draußen vergessen lassen. Ich werde dich vermissen.

Josef auf Twitter: @theZeffo