Minderheit in der Minderheit: Ich bin lesbisch und habe einen Bart

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Minderheit in der Minderheit: Ich bin lesbisch und habe einen Bart

"Neulich hat mich eine Klofrau am Arm rausgezerrt. Ich musste mein Oberteil hochheben, damit sie versteht, dass ich eine Frau bin."

Die Frauen, die Andrea Sömmer fotografiert und interviewt, müssen nicht nur dafür kämpfen, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden—sie kämpfen auch gegen die Diskriminierung in der eigenen Szene. Mit ihrer Serie "Randgruppe" geht die Regisseurin und Fotografin der Frage nach, wie es ist, in der Minderheit eine Minderheit zu sein. Sie hat Frauen porträtiert, die sich am Rand der lesbischen Szene bewegen—und es deshalb häufig nicht einfach haben. Letzte Woche haben wir Trish vorgestellt, die als Domina arbeitet. In den kommenden Wochen folgen drei weitere Frauen.

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Trailer zu 'Randgruppe'

Laila, 31 Jahre – arbeitet im Technical Service

VICE: Wie kommt es, dass du einen Bart hast?
Laila: Mit 16 Jahren sind mir Koteletten gewachsen, aber eher als Flaum. Das wurde immer mehr, also bin ich mit meinen Eltern zum Arzt gegangen. Sie stellten fest, dass mein Testosteronwert viel höher ist als normal. Ich habe mich entschieden, den Bart stehen zu lassen. Aber das war nicht einfach, vor allem nicht in der Schule. Viele Freunde hatte ich nicht.

Aber versucht man nicht, wenn man schon wenige Freunde hat, unauffällig zu sein?
Relativ lange war ich eine klassische Außenseiterin. Ich merkte aber, mit meinem Bart errege ich Aufmerksamkeit und "erscheine" irgendwie. Das fand ich gut. Meine beste Freundin hat mir da sehr geholfen—sie war so ziemlich meine einzige Freundin damals. Über sie habe ich viele Leute kennengelernt und mehr Selbstvertrauen bekommen.

Was haben deine Eltern gesagt?
Meine Mutter hat sich anfangs schwer getan. Aber das hat sich schnell gegeben. Mein Vater war schon immer völlig cool. Der hat mich auch auf meine Homosexualität angesprochen. Was denn da wäre mit meiner "besten Freundin". Ich habe natürlich alles verneint. Am nächsten Tag hatte ich dann ganz viele Bücher auf dem Tisch, zum Beispiel mit dem Titel "Wie gehe ich damit um, wenn mein Kind homosexuell ist". [Lacht]

Alle Fotos: Andrea Sömmer

Schon mal überlegt, den Bart einfach ganz wegzurasieren?
Nein, eigentlich nicht. Für mich hat sich die Frage, ob ich einen anderen Lebensweg einschlage, bisher nicht gestellt. Klar gibt es Tage, an denen es mir nicht gut geht. Dann kann ich nicht einfach über den Provokationen stehen. Dann bin ich schon mal gereizt. Aber meistens beschäftigte ich mich nicht damit, wie andere mich ansehen. Die, die mich nerven, kann ich so ganz gut ignorieren. Oft wurde ich auch gefragt, warum ich provoziere und was ich damit erreichen will. Ich bin dann immer ganz verdutzt, weil das nie meine Absicht ist.

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Meidest du bestimmte Orte?
Ja, im Sommer das Schwimmbad. Wenn es mir nicht gut geht, dann gehe ich da nicht hin. Und auf dem Klo gibt es immer Stress. Ich gehe abends nur noch aufs Männerklo, wenn ich unterwegs bin. Auf der Frauentoilette werde ich immer angemacht. Manche Frauen drohen mir auch. Neulich hat mich eine Klofrau am Arm rausgezerrt. Ich musste mein Oberteil hochheben und ihr den Haltertop drunter zeigen, damit sie versteht, dass ich eine Frau bin. Ich wurde auch schon von der Security abgeführt. Aber es gibt auch Vorteile. Beim Schwarzfahren gebe ich einfach einen anderen Namen an.

War es nicht schwer, mit dem Bart einen Job zu bekommen?
Ich hatte bisher nur ein einziges Vorstellungsgespräch und habe gleich eine gute Chefin erwischt. Sie hat mein Inneres gesehen und nicht das Äußere. In meiner Arbeit telefoniere ich viel und schreibe E-Mails. Wenn ich die Leute dann treffe, wünsche ich mir immer, ich hätte eine Kamera in der Stirn.

Was waren die krassesten Reaktionen auf deinen Bart?
Als Erstes sind die Leute total verdutzt und sprachlos. Dann wird es interessant: Die Frauen sind eher neugierig, forschend und hinterfragend. Die meisten gehen positiv damit um. Die finden gut, dass ich so bin, wie ich bin. Bei Männern ist es oft schwierig. Sie fühlen sich bedroht. Sie sehen mich als Konkurrenz.

Du wirst bestimmt oft gefragt, ob du ein Mann sein willst. Wie reagierst du darauf?
Ich möchte kein Mann sein. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass ich im falschen Körper geboren wurde. Ich bin eine Frau—will auch Frau sein. Ich bin die Laila, habe einen Bart und stehe auf Frauen. Mir ist mit meinen 29 Jahren noch nie ein Mann über den Weg gelaufen, der mich sexuell angesprochen hat.

Gibt es auch mal Stess wegen deines Aussehens?
Ich werde im Alltag ständig damit konfrontiert. Muss meinen Ausweis zeigen an der Kasse. Beim Arzt werde ich immer wieder gefragt, wer ich denn bin. Und im Ausland ist es manchmal recht heikel. Meist in den Ländern, in denen viele Moslems leben—zum Beispiel in Marokko, wo ich herkomme. Teilweise stoße ich dort auf richtige Aggressivität. Das fängt schon bei der Passkontrolle an, wenn die Menschen sehen, dass dort "weiblich" als Geschlecht angegeben ist. Am einfachsten ist es, wenn ich in Marokko einfach als Mann wahrgenommen werde. Wenn ich mir denke, ich wäre hier aufgewachsen, dann wäre ich jetzt längst verheiratet und hätte Kinder.

Bist du in der Lesbenszene eine Randgruppe?
Ich bin nie wirklich in der Szene unterwegs, dort geht es oft recht aggressiv zu. Wenn ich auf lesbischen Festen war, werde ich seltsam angeguckt. Oft heißt es dann: Warum rasierst du dich nicht? Oder man hält mich für eine Transfrau und fragt: Wie weit bist du mit der Geschlechtsumwandlung? Als Randgruppe in der Randgruppe werde ich nicht gut behandelt. Ich habe auf Gleichgesinnte gehofft, aber stoße oft auf Misstrauen. Ich wünsche mir, dass die Toleranz, die von der "normalen" Gesellschaft gewünscht wird, auch von der Szene zu 100 Prozent zurückgegeben wird. Das vermisse ich tatsächlich manchmal.