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die alte dame

Barcelona hat zwar Messi, dafür aber keinen Italo-Swag

Im Champions-League-Finale ist der FC Barcelona Favorit. Schon das ganze Jahr über hat niemand mit der alten Dame gerechnet, dabei ist Juventus dieses Jahr die einzige Mannschaft, die den dreiköpfigen Monstersturm von Barcelona schlagen kann.
Alle Fotos: Imago

Wenn es am Wochenende zum Duell zwischen dem FC Barcelona und Juventus Turin im Champions League-Finale in Berlin kommt, dann weiß eigentlich schon die ganze Fußballwelt, wer sich den Henkelpokal holen wird. Es scheint zumindest so. Bei den großen Wettanbietern steht der klare Favorit und fast schon sichere Sieger fest. Die Quote für einen Sieg von Juventus liegt bei 5,5 oder mehr—beim FC Barcelona liegt sie bei 1,6 oder weniger. Kein Wunder, denn das Monster-Trio um Neymar, Suárez und Messi hat in dieser Saison schon 120 Tore geschossen und ganz Europa in ihren Bann gezogen. Die meisten Medien vergaßen vor einigen Wochen sogar zu erwähnen, dass nicht nur Real, Bayern oder Barça den Titel holen könnten—sondern noch ein vierter Verein im Halbfinale vertreten ist. Der italienische Fußball liegt schließlich seit Jahren am Boden und wird so schnell nicht mehr an die europäischen Spitze herankommen. Doch diese Rechnung wurde ohne Juventus Turin gemacht.

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„Bei italienischen Mannschaften spielen nur alte Säcke, der Fußball ist langsam und keiner besucht ihre uralten Stadien" oder „Die Bundesliga hat die Serie A abgehängt" - Diese Sätze hört man immer wieder von Fans und Experten­—ich selber habe sie oft genug gesagt. All diese Klischees, mögen bei vielen Traditionsvereinen wie Inter und AC Mailand oder Lazio und AS Rom zutreffen - bei Juve nicht. Die spielen auf einmal in der deutschen Hauptstadt um die europäische Krone und in München lecken sie ihre Wunden, in Dortmund, Leverkusen oder auf Schalke können sie nicht mal von einem internationalen Finalspiel träumen und in Wolfsburg oder Mönchengladbach pinkeln sich die unerfahrenen Spieler schon bei einem Aufeinandertreffen gegen Arsenal London vor Aufregung in die Hose. Aber was macht Juve so stark?

Die bloßen Zahlen sprechen nicht für Juventus. Die Bianconeri sind seit dem Champions League-Gewinn von Inter Mailand im Jahr 2010 die erste italienische Mannschaft, die überhaupt das Halbfinale in der Königsklasse erreichen konnte. Während Finalgegner Barcelona seit 2006 drei Mal den Henkelpokal gewinnen konnte, liegt der letzte internationale Titelgewinn von Juventus ganze 19 Jahre zurück. Bei den Katalanen stand die halbe Mannschaft schon einmal in einem Champions League-Finale - diese Erfahrung haben bei den Turinern nur ein Hand voll Spieler. Das letzte Champions League-Finale der Vereinsgeschichte verlor man 2003 gegen den AC Mailand – mit dabei war der heutige Kapitän Gianluigi Buffon. Für die Mailänder spielte ein gewisser Andrea Pirlo, der in Berlin das Spiel der Turiner dirigieren wird. Der FC Barcelona weiß um seine Favoritenrolle, doch stapelt vor dem Duell mit Juventus sehr tief. Sie wissen: Die Turiner sind ein schwerer und unangenehmer Gegner.

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Die Arbeit von Juventus kann sich seit einigen Jahren sehen lassen. National sind sie mit vier Meistertiteln in Folge und dem ersten Double seit 20 Jahren die unangefochtene Nummer eins. Die Basis dafür hat Juventus mit einer modernen Infrastruktur gelegt, welche sich mit der von allen europäischen Topvereinen vergleichen lassen kann. Sie spielen nicht nur einziger italienischer Verein in einem neuen modernen Stadion, sondern besitzen dieses auch. International tat sich der italienische Rekordmeister in den letzten Jahren schwerer und hatte gegen große Mannschaften immer das Nachsehen. Trotz fehlender Konkurrenz in der eigenen Liga und vorzeitigem Gewinn der Meisterschaft mauserte sich Juve zum Überraschungsteam der diesjährigen Champions League-Saison und kickte Borussia Dortmund, AS Monaco und sogar Vorjahressieger Real Madrid aus dem Turnier.

Der Durchmarsch bis ins Finale ist vor allem dem neuen Trainer Massimiliano Allegri zu verdanken. Er hat die seit Jahren eingespielte Truppe um einige wenige Spieler ergänzt und lässt sie freier und offensiver spielen, sodass die starken Einzelspieler in der Offensive endlich ihr ganzes Potenzial entfalten können. Andererseits geht die traditionell italienische taktische Marschrichtung nicht verloren und die Mannschaft steht defensiv sehr kompakt und lässt kaum Torchancen zu. Mit Roberto Pereyra und Alvaro Morata wurde die Offensive gezielt mit jungen Spielern verstärkt, die sich nahtlos in die Mannschaft eingefügt haben. Für die Defensive wurde der erfahrene Patrice Evra geholt, der mittlerweile in seinem fünften Finale der Champions League steht. Und da wäre noch Carlos Tévez. Der Argentinier wurde bei beiden großen Vereinen aus Manchester vom Hof gejagt, fand lange keinen Verein und wechselte 2013 zu Juve. Nach einer guten Debütsaison fand er in dieser Spielzeit unter Allegri im Zusammenspiel mit Morata zu alter Stärker zurück und deutete mit seinen 26 Toren in 49 Pflichtspielen immer wieder an, dass er gegen jeden Gegner treffen kann.

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Vor dem Duell mit Barcelona muss sich Juventus nicht fürchten. Juves Architekt und Taktgeber Andrea Pirlo kann mit seinen langen Bällen und Freistößen jedes Spiel in die richtige Richtung lenken. Tévez und Morata zeigen Woche für Woche, dass sie kongeniale Partner in der Turiner Sturmreihe sind. Der junge Dribbelkünstler Paul Pogba ist der aufsteigende Stern dieser Mannschaft. Auch er wurde bei Manchester United nicht glücklich und schaffte in Turin den Durchbruch – jetzt jagen ihn fast alle Spitzenclubs Europas. Während der junge Ter Stegen im Tor der Katalanen wohl mit zittrigen Knien in seinem ersten Finalspiel seiner Karriere steht, dürfte der Weltmeister und viermalige Welttorhüter Buffon seine Mannschaft mit seinen berühmten Ansprachen an der Ehre packen und im Spiel die Ruhe selbst sein. Für den nötigen Biss im Mittelfeld sorgen im Berliner Olympiastadion auch zwei Spieler. Und nein, das wird keine schlechte Überleitung zu Luis Suárez. Wenn es zu einem Hundekampf kommen würde, dann würde der flinke und ruppige Pitbull Javier Mascherano wohl erst im Finale an diesem dreckigen Straßenköter und Mittelfeldterrier Arturo Vidal scheitern. Vidals Stärke ist es immer wieder aufzustehen und seine Mannschaft mit all seiner Kraft mitzuziehen. Eben diese Kadermischung aus Oldschool-Italo-Swaggern und jungen—bei anderen Vereinen unterschätzten und abgewiesenen—Talenten mit viel Potenzial macht Juventus so schwer einschätzbar.

Das ganze Potenzial von Juventus liegt vor allem in ihrer Gier nach diesem Erfolg. Sie arbeiten seit Monaten hart für diesen Titel und haben sich trotz vorzeitigem Meistertitel nie ein Ruhephase oder Unkonzentriertheit gegönnt. Der Wille dieser Truppe aus unterschätzten Spielern, die viele Vereine nicht wollten, ist ungebrochen und gleicht so vielleicht die spielerische Überlegenheit der Alleskönner aus Barcelona aus. Im Halbfinalrückspiel ist Juventus etwa 7,5 Kilometer mehr als Real Madrid gelaufen. Und wenn man betrachtet, welche Spieler in der gesamten Champions League-Saison die meisten Kilometer gelaufen sind, dann findet man sechs Juve-Spieler unter den besten zehn. Neymar ist Barcelonas Bester, er liegt auf Platz 13. Zudem wird Barça-Stürmer Luis Suárez mit Giorgio Chiellini und Patrice Evra gleich zwei alten Bekannten begegnen. Chiellini wird wegen einer Wadenverletzung fehlen, doch von außen ein genaues Auge auf den Beißer werfen und seine Mannschaft nach vorne pushen. Und auch Patrice Evra, den der Südamerikaner in einem Premier League-Spiel mehrfach als „Neger" beleidigt haben soll, zu Acht-Spiele-Sperre verurteilt wurde und Evra im Rückspiel das obligatorische Abklatschen vor dem Anpfiff verwehrte, wird ein bisschen schneller als alle anderen hinter ihm herlaufen.

Eine Sache hat Juve wahrlich nicht selbst in der Hand: Lionel Messi, der momentan und vielleicht auf ewig beste Spieler der Welt, der seine Sololäufe nicht nur gegen Bilbao mal eben startet, kann an einem guten Tag jedes Spiel entscheiden. „Messi", meinte Buffon, „ist ein Alien, das sich dafür entschieden hat, mit uns Menschen zu spielen. Die einzige Hoffnung ist, dass er am Samstag wie einer von der Erde spielt, wie der Rest von uns." Doch Juve wird ihre unbändige Siegermentalität dafür aufbringen nach vier Meistertiteln in Folge mit dem Triple etwas noch größeres zu schaffen. Alleine schon, weil viele wichtige Spieler den Verein verlassen könnten und diese vielseitige Mannschaft so nie mehr zusammenspielen wird. Das Olympiastadion kennen Gianluigi Buffon, Andrea Barzagli und Andrea Pirlo nur allzu gut. Schließlich feierten sie hier vor fast neun Jahren schon einmal einen Pokal. Auch damals ging der Weg über Dortmund und die Quoten bei den Wettanbietern waren beschissen.

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