Bier und Brazzers-Videos: Mit Ajax-Hooligans zum „Klassieker"
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Bier und Brazzers-Videos: Mit Ajax-Hooligans zum „Klassieker"

Als ich mich über das Amsterdamer Opernpublikum beschwerte, sagte mein Schwager in Spe: „Wir gehen zu einem Spiel gegen Feyenoord!". Paar Wochen später saß ich ohne Ticket in der ersten Klasse mit Ajax-Hools.

Als ich mich nach einem Spiel von Ajax gegen Groningen bei meinem niederländischen Schwager in spe über die Opernatmosphäre im Stadion beschwerte, sagte er nur: „I'll take you to a game against Feyenoord!". Er gab mir eine Karte für „Zuid H", ganz nah dran an der „F-Side"—Ajax' einflussreichster Fangruppierung. Sein einziger Tipp für mich: „Don't speak German, the people over there don't like it!" Meine Nachfrage, ob ich eine Kamera mitnehmen könne, wurde kurz weggelächelt…

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Wir treffen uns zu zehnt morgens um 9 Uhr am Bahnhof einer Stadt im Süden Hollands. Kurz zuvor bringen wir noch unsere Karnevalskleidung für die Zeit nach dem Spiel zu einem der neun Supporter: Er lebt in einem 15 Quadratmeter großen Kellerraum eines Mehrfamilienhauses. Er öffnet uns in Boxershorts die Tür, und der Gestank, der einem entgegentritt, ist eine Mischung aus Alkohol und Scheiße. Naja, Ajax-Jersey übergestriffen und ohne Zähneputzen mit auf den Weg gemacht. Nach dem ersten Bier und Bacardi Cola setzen wir uns—ohne Zugticket natürlich—in die 1. Klasse Richtung Amsterdam. Die Leute, die die Tickets ehrlich gekauft haben, bleiben stehen. Doch keiner traut sich, was gegen die 10-köpfige Gruppe zu sagen—fünf der Jungs sind übrigens echte Hools. Eine Stunde und ein paar Brazzers-Videos später erreichen wir die Arena.

Und hier geht's zuerst einmal in die Ajax-Fankneipe „Vanzz". 100 Meter vom „Zuid H"-Eingang entfernt. Pegel halten. Mittlerweile muss ich selbst über den Gedanken lachen, welche Blicke mir wohl entgegengebracht worden wären, wenn ich mit einer Canon 5d aufgekreuzt wäre. Die Stimmung vor dem Stadion ist jetzt schon wesentlich geiler als in der Arena selbst vor drei Monaten, als Groningen im ganzen Spiel nur einmal aufs A'dam-Tor geschossen hatte.

Heute ist ein anderes Spiel. Glatzen bis zum Horizont. Und jede Sekunde zerschellt irgendwo ein Böller. Die neun Jungs wirken 30 Minuten vor Spielbeginn schon deutlich angespannter, so ist das nun mal bei den Spielen gegen Feyenoord, dessen Spieler hier nur „De Kakkerlakken" genannt werden. Und einer ist besonders verhasst: Torwart Kenneth Vermeer.

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Vermeer entstammt der glorreichen Ajax-Jugend. Als A-Jugendlicher wurde er am Ende der Saison 2002/03 sogar zum Ajax-Talent des Jahres gewählt. Als er sich gegen Nationalkeeper Jasper Cillessen nicht mehr durchsetzen konnte, wechselte er jedoch 2014 zum Erzrivalen. Zu dem Club, bei dem die niederländische Polizei zu den Duellen mit Ajax die höchste Sicherheitsstufe ausruft. Um Katastrophen wie 1997 zu vermeiden, als während der Schlacht von Beverwijk (Niederländisch: „Slag bij Beverwijk") zwischen Anhängern beider Fanlager der damals 35-jährige Familienvater und „Ajax F-Side"-Anführer Carlo Picornie getötet worden war.

Damals beklagten die Zeitungen den „Verlust gesellschaftlicher Werte und Normen", heute empfängt die F-Side Vermeer mit einem Banner, auf dem in Großbuchstaben steht: „VAN GODENZOON NAAR HOERENZOON." (Frei übersetzt: Von Gottes Sohn zum Hurensohn.) Nichts wird hier vergessen, und schon gar nicht verziehen. Ein paar Fans hängen sogar eine Puppe, die Vermeer darstellt, an einen Galgen.

Vermeer selbst stellt nach dem Spiel übrigens Strafanzeige—und Ajax erteilt dem Drahtzieher der Aktion Stadionverbot.

Zudem wird Vermeer bei jedem Ballkontakt gnadenlos ausgepfiffen, und ein Gesang macht besonders häufig die Runde: „Kenneth NSB." NSB bezeichnet die „Nationaal-Socialistische Beweging", eine zunächst faschistische und später nationalsozialistische Partei in den Niederlanden.

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Dabei tragen viele Hooligans von Feyenoord—die heute nicht im Stadion sind (bei den Duellen Ajax-Feyenoord kommen seit ein paar Jahren keine Gästefans mehr ins Stadion)—auch immer noch Symbole des Nationalsozialismus. „Hamas, Hamas, Juden ins Gas", ist einer der Slogans, den die Ajax-Anhänger oft im Rotterdamer Stadion De Kuip zu hören kriegen. Eine Provokation, denn die Amsterdamer sehen sich seit Jahren als jüdischer Club und treten nicht selten mit Davidstern, israelischer Flagge und philosemitischen Slogans auf.

Das Spiel selbst ist ein Wechselbad der Gefühle. Feyenoord erwischt den besseren Auftakt und geht durch einen von Dirk Kuyt initiierten und von Toornstra abgeschlossenen Angriff früh mit 1:0 in Führung. Die Stimmung im Stadion wird ungeduldiger und die Hände meines zukünftigen Schwagers schwitziger. Amin Younes, der vor der Saison von Gladbach kam, erwischt jedoch einen goldenen Tag. Zaubertor zum 1:1 und schließlich die Vorbereitung des spielentscheidenden 2:1—ein genialer Weitschusstreffer von Ajax' größtem Juwel: Riechedly Bazoer. Merkt euch diesen Namen!

Nachdem Ajax noch einen Elfer in die Amsterdamer Wolken verballert, werden die letzten Minuten zur Zitterpartie und ich Zeuge einer Schlägerei zwischen zwei Ajax-Hooligan-Gruppierungen, die sich uneinig darüber sind, ob ein Johnny-Heitinga-Banner bis Minute 90 hängen soll. Heitinga wurde vor dem Spiel als „een echte ajacied" verabschiedet, und ein Typ mit langem, ungewaschenem, lockigem Haar und Fischermütze sorgt mit ein paar Schellen dafür, dass ihm die letzte große Bühne auch bis zum Abpfiff gewährt wird. Der Banner bleibt hängen und Heitinga bekommt in der Ekstase des Sieges kurz nach dem Spiel noch einen weiteren Gänsehautmoment.

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Ein großes Feuerwerk und 53.502 Zuschauer, die ihr letztes Hemd und das bisschen übrig gebliebene Stimme im Song „Oh Johnny, zing een liedje voor mij alleen!" geben.

Und er hat mir nicht zu viel versprochen. Mein erster „De Klassieker" hatte vieles zu bieten: 12 Stunden Heineken-Abo, greifbare Aufregung und Anspannung, losgelöste Atmosphäre, Rivalität, Historie, mindestens neun verrückte Holländer einen Tag lang im Close-up, einen Langhaarigen mit Fischermütze, der erst mit fliegenden Fäusten für seine Rechte in Form eines Heitinga-Banners einstand und danach entspannt Bob Marleys „Everything's gonna be alright" über die Stadionlautsprecher mitsang. Und nicht zu vergessen: Zwei Traumtore und mindestens genauso viel sehenswerte Brazzers-Videos.

Den Tag ließen wir übrigens in unseren süßen Tiger-Kostümen beim s´Hertogenboscher Karneval ausklingen.