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Barkultur

Als Barkeeper geht es nicht bloß um schnelles Geld und leichten Spaß

Erst war es nur ein Gelegenheitsjob, dann Leidenschaft für Bobbi Kay und Justin Powell, die die Pauly Bar in Berlin Mitte leiten.
Justin und Booby in ihrer Bar. Bild: Justin Powell

Eines Abends bin ich mit meiner Großmutter etwas trinken gegangen, bei einem älteren Barkeeper bestellten wir uns ein paar Manhattans. Während er unsere Drinks mixte, meinte sie: „Ich wünschte, ich hätte mich auch mal als Barkeeperin versucht." Würdest du meine Oma kennen, wüsstest du, wie erstaunt ich war. Sie ist eine feine Dame, aufgewachsen in einer lebhaften Familie, hat mit Schauspielern und Musikern diniert, mein Großvater war Vizepräsident einer Bank. Ich heiße übrigens Justin. Die Geschichte meiner Freundin Bobbi ist etwas anders.

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Auf den Seychellen habe ich auf einer Privatinsel (wo eine Übernachtunggut 5.000 Euro kostet) als persönlicher Barkeeper für—meistens—vier Personen gearbeitet. An einem Abend meinte ein wohlhabender spanischer Gast, ungefähr mein Alter, mit falschem Mitleid zu mir:„Ich habe früher genau das Gleiche gemacht wie du." Gefolgt von: „Aber ich habe hart gearbeitet, bin reich geworden und jetzt bin ich hier. Das kannst du auch, du kannst alles in drei Jahren lernen, außer das Schauspielern, das hast du in nur einem Jahr drauf."

Die Bar, leer.

Die Bar, leer. Bild: Pauly Saal.

Der Beruf des Barkeepers lässt sich nicht in eine einzige Schublade stecken, sondern füllt viele davon aus. Erst im 21. Jahrhundert wurde er als Handwerk wiederentdeckt, davor haben angesagteRestaurants und Bars junge, attraktive Leute eingestellt, die Spaß suchten und schnell Geld verdienen wollten. Mit über 35 hat man nur noch hinter der Bar gearbeitet weil man entweder dort versackt ist oder einen Teilzeitjob brauchte. Als Barkeeper ist man Gastgeber, Entertainer, „Koch",Künstler, Schauspieler,Handwerker und Star zugleich. Man ist Diener, Therapeut und Freund. Manche Gäste machen einen an, andere schreien einen an. Du bist die gesamte Dienstleistungskette, als würde es in einem Restaurant keinen Unterschied zwischen den einzelnen Posten geben, jeder entwirft Gerichte, kocht, erklärt das Essen und serviert es. Außerdem kümmert man sich um Beleuchtung, Musik und schlichtet Streitereien.

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Einige Barkeeper machen eswegen des Party-Lifestyles, andere hören genau deswegen auf. Vor allem aber ist es eine ganz andere Art zu arbeiten: Es ist ein Beruf der Arbeiterklasse mit einigen wenigen elitären Privilegien,eine Dienstleistung, bei der die Gäste zu dir kommen. Während in einem Restaurant der Kellner an den Tisch kommt, sitzt der Gast hier quasi am Tisch des Barkeepers, der über mehr Kontrolle verfügt, denn er kann auch Nein sagen. Das Bartender-Handwerk ist etwas, das man, anders als beim Kochen, seltener auch zu Hause macht. Es hat etwas Mystisches an sich.

Ein Drink von den beiden: Captain Kidd.

Meine Geschichte begann vor 14 Jahren in Albuquerque: Ich hatte mein Kunststudium kurz unterbrochen und als Barhilfe im Sauce und im Raw gearbeitet, zwei Clubs in einem, ein bisschen Dirty South, ein bisschen Lil'Jon. Bei uns gab es fiese fluoreszierende Drinks wie die „Red Headed Slut" oder „Sex with An Alligator". Von New Mexico aus ging es dann nach Florida, wo ich in einem Restaurant mit Bar gearbeitet habe und zugesehen habe, wie Rentner anzüglich miteinander zu 50 Cent tanzten. Das habe ich zehn Monate durchgehalten.In New York habe ich unzählige Erfahrungen gesammelt, unter anderem in einem Pub auf dem Times Square und in einem spanischen Restaurant, wo ich als Einziger Englisch sprach. Als ich die Bar eines kleinen Hotels namens Tribeca Grand geleitet habe, hat sich mein Interesse an diesem Beruf gefestigt. Hier in Berlin war ich erst in der Konrad Tönz Bar in Kreuzberg, dann im TiER in Neukölln und in der AMANO Bar in Mitte. In all diesen Bars habe ich großartige Drinks erlernt, aber erst jetzt an der Bar im Pauly Saal kann ich meine eigenen Ideen verwirklichen.

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Bobbis Barerfahrung kam durch ihre Liebe zum Reisen. Obwohl sie eigentlich aus Vancouver stammt, hat sie in Australien und Schottland erste Erfahrungen als Barkeeperin sammeln können, doch die Dinge änderten sich grundlegend, als sie nach London zog und dort die Match Bar Gruppe entdeckte. Das war harte Arbeit, man musste aufmerksam sein, für eine junge Backpackerin nicht unbedingt einfach. Jeden Monat gab es schriftliche Prüfungen, täglich wurde getestet, wie gut man im Freepouring ist, im freien Ausgießen ohne Jigger, und es gab Praxis- und Schnelligkeitstest, also eine steile Lernkurve. Da wurde ihr klar, dass sie eine ernstzunehmende Barkeeperin werden möchte. Mit dieser Leidenschaft im Gepäck ging es zurück nach Vancouver, wo sie in einigen der besten Bars und Restaurants arbeitete und ihre Arbeit noch weiter verfeinerte. Auch an ersten Cocktailwettbewerben hat sie teilgenommen, wenn auch weniger erfolgreich, weil ihre Nervosität ihr immer einen Streich gespielt hat.

Barfood im Pauly Saal.

Barfood im Pauly Saal. Bild: Pauly Saal.

Dann verspürte sie irgendwann wieder dieses Kribbeln in den Händen, googelte einfach nach „ewiger Sommer" und bekam einen Job auf den Seychellen, einem der faszinierendsten Orte, die sie je gesehen hat. Das Inselleben war genau ihr Stil. Sie wollte schon immer die Aromen der Welt entdecken und hier konnte sie praktische Erfahrungen sammeln und Gäste aus der ganzen Welt kennenlernen—auch aus Berlin, wo ein neues Restaurant gerade nach einem Barkeeper suchte. Also verließ sie die Seychellen, arbeitete den Sommer über noch in Griechenland und bereitete sich auf ihre neue große Aufgabe vor.

Gemeinsam leiten wir die Bar im Pauly Saal in Berlin-Mitte. Wie viele selbsterklärte Bartender haben auch wir wegen des schnellen Geldes, den Menschen und dem Feiern angefangen. Unsere Arbeit ist auch Teil unserer Beziehung. Bevor wir zusammenkamen, haben wir über ein Jahr lang zusammengearbeitet. Am Anfang war die Arbeit an der Bar für uns nur ein Job, aber dadurch konnten wir an einigen der interessantesten Orte auf der Welt leben und arbeiten. Und genauso kamen wir auch nach Berlin, zwar unabhängig voneinander, aber jetzt arbeiten wir zusammen und bringen so unsere Erfahrungen, unser Wissen und unsere Neugier gemeinsam in der Pauly Bar zu vollem Ausdruck. Das Programm, die Drinks, die Atmosphäre sind ein Spiegel der Orte, an denen wir waren, der Menschen, von denen wir gelernt haben, und allem, was wir in einer Bar einfach lieben.

Bobby und Justin sind von nun an Teil der MUNCHIES Regulars. Das ist eine Gruppe von Menschen, die aus der Gastronomie kommen und etwas zu sagen haben.