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„Ramadan Rage“: Der Anschlag auf Medina hat gezeigt, wie sehr ISIS den islamischen Glauben verachtet

Es war ein politisch unruhiger Monat und der Anschlag in Medina hat dauerhaft etwas verändert. Wir haben mit Kübra Gümüsay über den wichtigsten Monat im Islam gesprochen und darüber, wie der Monat von Terroristen und von rechts instrumentalisiert wird...
Die Moschee des Propheten in Medina. Foto von [ethan.hunt] via Flickr

Ein weißes Auto brennt auf einem Parkplatz, ein Attentäter hat seinen Wagen in die Nähe von vier Wachmännern gesteuert, sie sterben bei der Explosion. Daneben stehen muslimische Gläubige und filmen die Szene mit ihren Handys, es bricht keine Panik aus. Vielleicht hat sich niemand vorstellen können, dass jemand Medina angreift und sind deswegen ruhig geblieben. Sie waren in dis Stadt gekommen, um das Grab des Propheten Mohammed zu sehen. Noch hat niemand Verantwortung für die Anschläge übernommen, doch es ist bekannt, dass die Todessekte ISIS den Bau von Moscheen über Gräbern ablehnt.

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Als der Ramadan begann, rief Abu Mohammed al-Adnani, der Sprecher von ISIS, dazu auf, den Monat in einen „Monat des Schmerzes" zu verwandeln. In Orlando wurde ein Schwulenclub angegriffen, in Magnanville ein französischer Polizist in seinem Haus ermordet, der Täter streamte live auf Facebook. Im jordanisch-syrischen Grenzgebiet sterben Soldaten bei einer Attacke, im Libanon gibt es eine Reihe von Selbstmordattentaten, ebenso im Jemen und am Istanbuler Flughafen. In Dhaka in Bangladesch gibt es ein Massaker, in Bagdad zündet ISIS Autobomben. Viele Menschen sterben. Für ISIS ist der Monat sehr wichtig, vor zwei Jahren riefen sie zu Beginn des Ramadan das Kalifat aus, jetzt stehen sie militärisch unter starkem Druck, sie haben die strategisch wichtige Stadt Falludscha verloren, jetzt stehen irakische Truppen vor der kurdischen Millionenstadt Mossul. Vielleicht verlieren sie ihren Gottesstaat, ihr Kalifat, das neue Mittel im Kampf ist globaler Terrorismus. Militärisch sieht es schlecht für sie aus. Der Terror richtet sich nun gegen den „fernen Feind", Amerika und andere westliche Staaten, und den „nahen Feind", (schiitische) Muslime.

Als der Ramadan begann, schickte die deutsche Bundesregierung eine Grußnote an die Gläubigen im Land, um ihnen einen gesegneten Monat zu wünschen. Der Volkszorn brach los, die Leute beklagten sich, dass in Bayern die Häuser unter Wasser stehen, aber der deutschen Regierung nichts Besseres einfalle, als den Muslimen zu gratulieren. Sie hatten ein Gefühl falsch gesetzter Prioritäten.

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Für die Rechte in Deutschland ist der Islam insgesamt der „nahe Feind", in der Szene spricht man von „Ramadan Rage", einen Zustand, in den Muslime verfallen würden, wenn der heilige Monat beginnt. Die Muslime seien jetzt „hangry", kommentiert das konservative amerikanische Medium „Breitbart" lapidar. Die AfD hingegen weiß von Kindern in Belgien zu berichten, die nicht mehr am Schwimmunterricht teilnehmen wollen, aus Angst, dass ihnen Wasser in den Mund gelangt. In jedem Jahr gibt es andere Vorwürfe gegen die Gläubigen und immer ist es schwierig, sich dagegen zu wehren.

Jemand der sich immer dagegen gewehrt hat ist Kübra Gümüsay. Vor ein paar Wochen stand sie auf der Bühne bei der re:publica'10 und wollte „Liebe organisieren", so hieß ihr Vortrag. Sie sagte, dass sie es leid sei. Sie sei es leid, in Sippenhaft genommen zu werden, dass sie Angst habe in diesem Land, weil mehr und mehr salonfähig wird. Weil sie Hass zu spüren bekommt. Und da steht sie nun an ihrem Rednerpult und muss weinen, weil ihr die Kraft auszugehen droht. Die Kraft, sich gegen die härter werdenden Anfeindungen von rechts wehren zu müssen. Und zu können.

Kübra Gümüsay ist Journalistin und Aktivistin, sie ist für manche Talkshows die Außenministerin des Islam, ein Rolle, die sie sicher ablehnen würde, wenn man sie fragt. In früher Kindheit war der Ramadan für sie eine sportliche Herausforderung, sagt sie. Als sie einmal einen Ramadan in Ägypten verbrachte, versuchte sie, bei den Gebeten immer länger stehen zu bleiben als die alten Männer und nicht in die Knie zu gehen, bis die langen Gebete zu Ende waren. Heute ist der Ramadan für sie ein Monat, in dem sie versucht, die Routinen des Alltags zu brechen, besonders streng zu sich zu sein und ihre Verbindung zu Gott neu zu justieren. Es ist für sie ein harter Monat, ein Monat der körperlichen Grenzen, ein Monat in dem die Dattel beim abendlichen Fastenbrechen auf einmal unendlich wichtig wird, die kleinen Dinge groß und die großen Dinge klein werden. Es ist aber auch ein Monat, in dem man eine Verbindung zu den anderen Gläubigen herstellt, ein Monat, in dem Millionen von Muslimen die gleichen Rituale pflegen und die gleichen Strapazen durchmachen.

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Strapazen, die alle Muslime zu einer besonderen Gefahr machen würden, die zu Aggressionen und Terror führen würden, so kommentiert es die rechte Presse. In den Foren kursiert eine Karikatur, sie zeigt ein Rednerpult, es ist behangen mit Spinnweben. Darauf ein Schild: „Die Antwort der moderaten Muslime auf Terrorismus." Die Forderung nach Distanzierung kommt immer und immer wieder. Doch die Anschläge auf Medina haben etwas verändert, sie müssen etwas in der Wahrnehmung des ISIS-Terrors verändert haben. Es ist so, als hätten christliche Attentäter den Petersdom angegriffen. Die Anschläge am Vorabend des Endes des Ramadans. Wer nun noch im Ernst glaubt, irgendjemand müsse sich von einer Gruppe distanzieren, denen noch nicht einmal das Grab des Propheten heilig ist, der will nicht verstehen, dass Terror keine Religion hat. Dieser Anschlag war ein Fanal.

P.S.: Im Bild zu sehen: Wie die aller, allermeisten Gläubigen den Monat tatsächlich begangen haben.