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Berlin

Wie Anti-Terrorismusexpertinnen mit Essen den Frieden bringen wollen

Das Berliner Projekt Conflict & Food will mit Gerichten aus verfeindeten Ländern zeigen, wie ähnlich sich die Kulturen doch eigentlich sind.

In einem Berliner Pub drängen sich 60 Menschen um einen Tisch, auf denen Schalen gefüllt mit cremigem, selbst gemachtem Hummus stehen—alle nach verschiedenen Landestraditionen zubereitet, von israelisch über ägyptisch und syrisch bis hin zu libanesisch. Doch niemand bemerkt den Unterschied. Und genau darum geht es.

Das neue Projekt Conflict & Food in Berlin will mit Gerichten aus verfeindeten Ländern zeigen, wie ähnlich sich die Kulturen sind. Ein ähnliches Ziel hatten schon andere Projekte, wie beispielsweise The Hummus Initiative—Hummus-Selfies für den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern—oder das Restaurant Conflict Kitchen in Pittsburgh, das ausschließlich Gerichte aus Ländern kocht, mit denen die USA im Konflikt stehen.

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Gäste aus dem Libanon, Palästina, Syrien und Israel sprechen bei einer Veranstaltung über den Nahostkonflikt. Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von Conflict & Food.

Anders als diese beiden Initiativen jedoch kommen bei Conflict & Food Menschen aus den verfeindeten Regionen an einen Tisch. Jeden Monat stehen Menschen von beiden Seiten eines Konflikts—egal ob es um den Nahostkonflikt oder den Krieg in der Ukraine geht—auf einer Bühne und erzählen ihre persönliche Geschichte, wie der Konflikt sie beeinflusst hat.

„Essen bringt Menschen immer zusammen", meint Stella Aleksanyan, die sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit mit den Auswirkungen der Flüchtlingskrise in Deutschland befasst und zusammen mit ihrer Freundin Tal Gibbesch, die Touristen auf ausgefallenen Touren durch Berlin führt und zur Terrorismusbekämpfung am International Policy Institute for Counter-Terrorism in Israel geforscht hat, Conflict & Food organisiert.

„Dieses Menschen hassen sich zwar bis auf den Tod, doch sie essen das gleiche Essen", meint Aleksanyan und meint dabei nicht nur die Länder des Nahen Ostens, deren Hummus-Versionen nahezu identisch aussehen, sondern auch über die USA, wo Immigrationsgegner den kulturellen Vorzügen der Einwanderung nicht unbedingt abgeneigt sind. „Sie alle essen Tacos und Burritos und sie lieben es", meint Aleksanyan. Man muss nur an Donald Trump und seine Tacos denken.

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Am Themenabend zum Völkermord an den Armeniern gibt es Dolma und Baklava aus Armenien und der Türkei.

Beim ersten Diskussionsabend ging es um den Völkermord an den Armeniern, es gab Gerichte, die sowohl in der Türkei als auch in Armenien gegessen werden: dolma (gefülltes Gemüse) und Baklava. Von jedem Gericht gibt es türkische und armenische Varianten, doch keiner kann sie wirklich unterscheiden.

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„Vielleicht haben sie gar nicht bemerkt, dass sie aus zwei verschiedenen Ländern kamen", sagt Nazli Koca aus Istanbul. Obwohl sie selbst für diesen Abend gekocht hat, konnte sie keinen Unterschied zwischen ihren türkischen dolma und dem armenischen Gegenstück erkennen.

Doch selbst die kleinsten Dinge können Auslöser für einen Konflikt sein. Im Mai diesen Jahres hat Aserbaidschan einen Antrag gestellt, dass dolma auf die Liste des immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen wird (wie die Welterbeliste, nur mit Traditionen wie bulgarischem Teppichweben oder mongolischem Knöchel-Schießen). Auch wenn diese Liste laut UNESCO auch ähnliche Traditionen in anderen Ländern und Regionen einschließen und nicht als Wer-hat-es-zuerst-erfunden-Liste verstanden werden soll, hat sich die armenische Regierung gegen die Bewerbung Aserbaidschans gestellt. Und das ist nicht der erste Essenskonflikt zwischen den beiden Ländern.

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Das Essen beim Abend zum Nahostkonflikt

„Wir haben [der UNESCO] Lavash vorgeschlagen und auf einmal ,entdecken' sie [Aserbaidschan], dass das ihr Nationalbrot ist", schrieb der armenische Minister für kulturelle Angelegenheiten, Hasmik Poghosyan, in einer Presseerklärung und bezog sich dabei auf einen vergangenen Streit, in dem es um den Ursprung des dünnen Fadenbrotes Lavash ging, das von Iran bis Kasachstan verbreitet ist.

„Es gibt anscheinend einen Streit, weil ein Land es für sich beanspruchen und nicht mit anderen teilen will", meint Aleksanyan über den Ursprung von Gerichten allgemein. „Lustigerweise kochen sie es auf die gleiche Art, es schmeckt gleich."

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Und trotzdem wissen Aleksanyan und Gibbesch—deren Bildungsweg sich eher nach UN-Ausbildung anhört: Innere Sicherheit, Terrorismusbekämpfung, Kriegssoziologie, Europastudien, Politikwissenschaft und, natürlich, internationale Beziehungen—, dass man den Menschen nicht einfach sagen kann, dass ihre dolma oder ihr Hummus gleich sind und erwarten kann, dass sie aufhören sich zu bekämpfen. Bis das Projekt einen Einfluss auf diejenigen haben kann (wenn überhaupt), die den meisten Schaden verursachen können, ist es noch ein langer Weg.

„Wir können die Extremisten nicht verändern", meint GIbbesch. „Wir wollen die anderen beeinflussen, die von den Taten der Extremisten betroffen sind." Am Tag der ersten Veranstaltung von Conflict & Food töteten Selbstmordattentäter in Brüssel mehr als 30 Menschen bei Angriffen auf den Flughafen und eine Metro-Station.

„Ein Konflikt hat verschiedene Seiten, wir möchten an die Menschen herantreten, die diese Seiten sehen können, nicht diejenigen, die schon verloren sind", sagt Gibbesch.

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Baklava aus Armenien

Unter anderem deshalb sollen die Redner aus den jeweiligen Ländern auch persönliche Geschichten erzählen: Wie ist es, mit dem Konflikt aufzuwachsen? Was lernt man darüber in der Schule? Wie war es, als sie zum ersten Mal jemanden „von der anderen Seite" getroffen haben? Obwohl die Idee, dass man Menschen aus „verfeindeten" Bevölkerungsgruppen zusammenbringtnicht unbedingt total kontrovers klingt, erhielt das Projekt einige Drohnachrichten, teilweise wurde mit Brandstiftung gedroht. Sogar noch vor der ersten Veranstaltung, erzählen die Organisatoren, gab es Nachrichten wie: „Nur ein toter Türke ist ein guter Türke."

Aleksanyan und Gibbesch wollen ihre Arbeit jedoch weiter ausweiten und eine Nonprofit-Organisation gründen, die zwischen Gruppen vermitteln soll, die im Konflikt miteinander stehen.

„So viele Leute sagen mir, dass das Zeitverschwendung sei, weil Politiker eh machen, was sie wollen, und ich ja doch nichts verändern könnte", erzählt Aleksanyan. „Aber wenn auch nur ein Mensch seine Meinung ein kleines bisschen ändern ändert, würde mich das schon glücklich machen."