Auf der Suche nach dem perfekten Cannolo

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Sizilien

Auf der Suche nach dem perfekten Cannolo

Es spricht der Cannolo-Zauberer aus Taormina.

Cannoli: kleine knusprige Teigröllchen gefüllt mit einer süßen, reichhaltigen Ricotta-Creme. Die Einzahl cannolo braucht man aber wahrscheinlich nicht, denn wer kann es schon bei einem belassen? Als ich von Seattle nach Boston gezogen bin, habe ich sie zum ersten Mal kennengelernt, in den Bäckereien des North End, des italienischen Viertels von Boston.

Ich war sofort süchtig.

Cannoli sind eine sizilianische Spezialität, deren Geschichte bis in die Zeit der arabischen Vorherrschaft im frühen Mittelalter auf der Insel zurückgeht. Essenshistoriker glauben, dass sie von den arabaischen qanawāt abstammen—frittierten Teigröllchen, die mit verschiedenen süßen Sachen gefüllt wurden und von Andalusien bis Bagdad verbreitet waren. Jeder Sizilianer wird bestätigen, dass man die besten Cannoli im nördlichen Teil der Insel zwischen Palermo und Catania findet.

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Laboratorio Pasticceria Roberto il Mago dei Cannoli („der Cannoli-Zauberer"). Laboratorio bezeichnet eine Bäckerei, die alle Produkte selbst herstellt. Alle Fotos von der Autorin

Mein Mann kommt aus dem Norden Siziliens, da wollte ich natürlich unbedingt den besten Cannolo der Insel finden. Wenn wir im August seine Familie besucht haben, begab ich mich auf eine Mission: die Suche nach dem perfekten Cannolo, dem Heiligen Gral.

Puristen sagen natürlich, dass man Cannoli nur im Frühjahr zur Karnevalszeit isst, aber mir war das herzlich egal. Mit jedem Sommerurlaub lernte ich, einen guten von einem großartigen Cannolo zu unterscheiden (denn in anständigen sizilianischen Bäckereien gibt es nur gute Cannoli oder aufwärts).

Als ich die Cannoli von Roberto Chemi, dem selbsternannten Cannoli-Zauberer in Taormina, probierte, wusste ich sofort: Das war ein Treffer. Später bin ich mit drei sizilianischen Foodies—meinem Mann und seinen beiden Brüdern—noch mal hin, damit sie sich von seinen Zauberkünsten überzeugen konnten.

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Roberto präsentiert seine frischen Cannoli-Röllchen

Schon beim ersten Bissen stimmten sie mir zu. Wir hatten den besten Cannolo Siziliens gefunden.

Jeden Sommer schaue ich bei Robertos Bäckerei vorbei, Taorminawird mir nie langweilig: Die Kiesstrände, das griechische Amphitheater und die mittelalterliche Architektur ziehen schon seit dem 18. Jahrhundert Scharen von Touristen an. Diesen Sommer wollte ich Robertos Geheimnis auf die Spur kommen.

„Sie sind immer frisch. Das ist das Geheimnis", meint Roberto stolz.

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Roberto befüllt seine Cannoli mit cremigem Ricotta aus Schafsmilch

Mehr nicht?

In Sizilien sind Cannoli tatsächlich immer frisch. In den Auslagen liegen oft Plastik-Cannoli, meist hängt aber ein Schild in der Tür: „frisch gefüllte Cannoli". Wenn der Ricotta eine Viertelstunde in dem Röllchen ist, das weiß jeder Sizilianer, wird aus einem magischen Cannolo ein einziger Brei. Doch es musste noch mehr geben, ich ließ also nicht locker.

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Der Ricotta vielleicht? Nur vom Schaf, niemals von der Kuh. „Ricotta aus Kuhmilch ist leicht, der aus Schafsmilch ist viel cremiger."

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Der Teig? „Zuerst kommt das Mehl, dann kommt ein bisschen sauer gewordener Rotwein dazu." Roberto wird langsam warm und ich schreibe wie wild alles auf. „Kein Rotweinessig, sondern Wein, den man nicht mehr trinken kann, der wie Essig geworden ist. Dann ein bisschen reinen Alkohol dazu und eine Prise Zucker. Dann tierisches Fett—Schmalz—in das Mehl mit dem Wein einarbeiten. Der Teig muss dann den Rest des Tages ruhen."

Und wie werden sie ausgebacken? „In Schmalz." Nimmt man Edelstahlzylinder, um die Rollen zu formen? „Nein, nein, man wickelt den Teig um ein Zuckerrohr."

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Die Cannoli werden in Mandelkrokant getaucht und dann mit Puderzucker bestäubt

Kein Wunder, dass man Cannoli zu Hause nicht hinbekommt.

Nachdem er die Teigformen vorsichtig mit dem süßen Ricotta gefüllt hat („Ich achte darauf, dass in der Mitte keine Luft ist."), taucht Roberto ein Ende in Mandelkrokant und bestäubt die Cannoli dann mit Puderzucker.

1989 eröffnete er das Geschäft zusammen mit seinem Vater, seitdem macht er hier Cannoli und anderes süßes Gebäck. Sein Vater hatte schon 30 Jahre Erfahrung als Pâtissier für das berühmte San Domenico Hotel in Taormina und hat ihm alle Tricks und Kniffe beigebracht. Neben Cannoli macht Roberto cassata, eine Schichttorte mit Ricottafüllung, kandierte Orangen mit Schokoüberzug, Marzipanfrüchte und Gebäck aus sizilianischen Mandeln und Pistazien (genauer gesagt aus den berühmten Avola-Mandeln und Bronte-Pistazien), aromatisiert mit Zitronen, Orangen und dunklen Kirschen.

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Cassata, gefüllt und überzogen mit gesüßtem Ricotta, dekoriert mit Amarena-Kirschen und Mandelkrokant

Die Mafiosi al Pistacchio und die Cosa Nostra alla Mandorla stachen mir sofort ins Auge.

„Warum haben die Mafianamen?", frage ich ihn.

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Mafia-Gebäck

„Ich sage immer gerne, dass es keine Mafia mehr geben wird, weil wir sie zermahlen und aufessen", antwortet er mir mit einem breiten Lächeln. „Man kann das Böse mit einem Lächeln besiegen, aber man sollte nicht zurückschlagen, oder?"

Roberto scherzt die ganze Zeit mit den Kunden, während er die Cannoli füllt und Gebäck in Schachteln abpackt: „Zahlen Sie erst, wenn Sie gegessen haben und lächeln", und gibt einem Paar ihre Cannoli. Auch aus anderen Teilen Italiens und sogar aus Amerika und Australien kommen Kunden, die aber eher die transportableren Sachen kaufen, ein essbares Andenken an ihren Sizilienurlaub. Roberto hat sogar schon Pakete an Bill Clinton geschickt, als dieser noch Präsident war, auch an Königin Elisabeth und den König von Spanien. An den Wänden hängen überall Dankeskarten als Beweis. „Wenn Hillary gewinnt, schicke ich ihr auch was."

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In den letzten Sommerurlauben habe ich schon einige von Robertos Mandel- und Pistazienkreationen probiert, deshalb gönne ich mir jetzt, natürlich zu Recherchezwecken, ein Stück cassata und noch einen Cannolo, bevor ich gehe. Ich musste schließlich sicherstellen, dass er genauso lecker war, wie der von letzter Woche.

War er.

Nächstes Jahr im August überprüfe ich das noch mal.

Die engen Straßen von Taormina sind zwar schön, doch machen es auch manchmal schwer, Dinge abseits der großen Einkaufsstraße Corso Umberto zu finden. Wer sich also selbst auf die Suche nach dem besten Cannolo begeben will, Roberto findet ihr in der Via Calapitrulli Nr. 9.