Dieser Koch hat kambodschanische Küche vor den Roten Khmer gerettet
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Kambodscha

Dieser Koch hat kambodschanische Küche vor den Roten Khmer gerettet

Während der Schreckensherrschaft der Roten Khmer gingen viele kulinarische Traditionen Kambodschas verloren. Thomas Tan, der 1969 mit vielen Rezepten im Kopf nach Großbritannien kam, bewahrt dieses Erbe in seinem Restaurant in London.

In Europa verbringen die meisten den 1. April damit, Furzkissen auszulegen, Enten zu schreiben oder andere (dumme) Aprilscherze zu elaborieren. In Kambodscha hat dieser Tag allerdings eine eher düstere Konnotation.

Damals am 1. April 1975musste der damalige Präsident aus dem Land fliehen, der Krieg gegen die Rote Khmer ging in die finale Phase. Ein bisschen mehr als zwei Wochen später sind die kommunistischen Guerillakämpfer in die Hauptstadt Phnom Penh einmarschiert—der Beginn einer der schrecklichsten Völkermorde der Geschichte.

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Fast ein Viertel der damals acht Millionen Einwohner von Kambodscha starb in den folgenden Jahren. Viele von ihnen wurden von den Roten Khmer hingerichtet, die mit Gewalt den Agrarkommunismus einführen wollten. Eine ganze Generation von Künstlern und Intellektuellen wurde regelrecht abgeschlachtet,Tradition und Kultur wurden einfach ausgelöscht.

Im Norden Londons, nur ein paar hundert Meter vom geschäftigen Camden Town entfernt, bewahrt ein Kambodschaner Teile der kulinarischen Tradition, die in seiner Heimat vor mehr als 40 Jahren größtenteils verloren gegangen ist.

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Das Restaurant Lemongrass im Norden Londons. Alle Fotos vom Autor

Thomas Tan ist als Teenager 1969 aus Kambodscha nach London gekommen, um Englisch zu lernen. Als Sohn wohlhabender Eltern sollte er danach eigentlich wieder zurückkehren und mit der Elite Hände schütteln, wie es schon sein Vater getan hat. Aber der Lauf der Geschichte sah etwas anderes für ihn vor und so wurde aus seiner Reise nach Großbritannien ein lebenslanger Aufenthalt. 20 Jahre nachdem er in London angekommen ist, hat er das Lemongrass aufgemacht, das bis heute einzige kambodschanische Restaurant Londons. In ganz Großbritannien gibt es nur drei weitere.

Seine Liebe zur kambodschanischen Küche hat er durch seinen Vater entwickelt,der verrückt war nach Essen. Er war es auch, der ihm im Alter von sechs ermutigte, einmal selbst zu kochen. Seine erste eigene Küche hatte er, da war er noch nicht einmal zehn Jahre alt. Jeden Tag macht er seinem Vater sein Lieblingsgericht: Rindfleisch mit einer Marinade aus Limetten, Salz und Pfeffer, lok lak genannt.

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Hühnchen mit Chilis

„Mein Kühlschrank war immer voll mit Fleisch", erinnert sich Thomas. „Mein Vater hatte genaue Vorstellungen, wie es zubereitet werden muss und wenn ich es falsch gemacht habe, musste ich es solange wiederholen, bis ich es hinbekommen habe."

Lok lak gehört heute in jedem Restaurant in Kambodscha auf die Karte, meist als Rindfleisch mit scharfer Sauce auf einem Bett aus rohen Zwiebeln, Tomaten und Salat. Aber die Restaurants verwenden billige Fleischstücke und braten sie einfach nur in Austernsauce. Das ist nur noch ein Schatten des einstigen Gerichts, meint Thomas. Für ihn ist das der chinesische Einfluss auf die moderne kambodschanische Küche.

Für ihn ist ein echtes lok lak ein in Butter gebratenes Stück Fleisch guter Qualität—ein Überbleibsel der französischen Kolonialzeit. Als er in den 60ern aus Kambodscha fortging, hat er auch sein eigenes Rezept für die Marinade mitgenommen.

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Koch Thomas Tan, der Kambodscha 1969 verlassen hat, zusammen mit seinem Sohn Jobi

„Das ist aber mein Geheimnis", meint er. „Nur meinem Sohn habe ich es beigebracht."

Am Ende hat man ein Stück Rinderfilet auf dem Teller, das so zart ist, dass es einem auf der Zunge zergeht, in einer Sauce, bei der man sich fragt, ob es in Ordnung wäre, seinen Teller im Restaurant abzulecken. Da ich mich vor Kurzem entschlossen habe, nur noch zwei Fleischgerichte pro Wochezu essen, war ich froh, dass dieses dazu gehörte.

Lok lak hört sich nach einem ziemlich opulenten Gericht an, aber die Preise im Lemongrass sind absolut in Ordnung. Zusammen mit etwas Extra-Reis (frisch gebratener Reis mit Ei und Ingwer, dafür lohnt sich das Geld) ist das Ganze immer noch billiger als ein unterdurchschnittlich guter Burger in jedem Pub um die Ecke.

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Pilze in Zitronen-Knoblauch-Butter

Thomas' Küche hat viele Anleihen aus der Zeit vor den Roten Khmer, nicht nur die Butter zum Braten. Allerdings spricht er über die meisten seiner anderen Geheimnisse nicht so offen.

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„Alle meine Rezepte sind aus dieser Zeit, aber ich kann dir meine Geheimnisse nicht verraten", sagt er lächelnd. Aber man könnte einige Hinweise finden, wenn man ihm morgens um sechs durch die Asia-Märkte in Soho folgt.

Neben seinen Rezeptschätzen liebt Thomas auch die Frische. Das schmecke ich ihn jedem Gericht, das er mir förmlich aufdrängt. Die Riesengarnelen schwimmen in Limettensaft und Chilis, die Schärfe des Hühnchens mit Chili wird immer wieder durch ein saftiges Stück Mango unterbrochen.

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Das Lemongrass ist das einzige speziell kambodschanische Restaurant in London

Doch über ein Gericht spricht er ganz offen. Eines, das früher in Kambodscha sehr weit verbreitet war, heute allerdings nicht mehr: Pilze in Zitronen-Knoblauch-Butter. Darin werden die Zitrusaromen und schärferen Noten der kambodschanischen Küche mit Elementen der französischen Küche—Butter und Knoblauch—perfekt kombiniert. Laut Thomas kommen die Gäste aus dem ganzen Land nur deshalb in sein Restaurant. Und ich kann sagen: Ich wusste nicht, dass Pilze so lecker sein könnten.

„Das war das Erste, was ich vor 25 Jahren hier gegessen habe", meint einer der Gäste, nachdem er einen der Teller restlos leergegessen hat. „Und ich esse es jedes Mal wieder."