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Kowloon City ist immer noch der beliebteste Cyberpunk-Slum des Internets

Eine neue Dokumentation zeigt das selbstverwaltete Leben im ehemaligen Hong Konger Stadtteil, der auch 20 Jahre nach seinem Abriss noch die Web-Gemeinde fasziniert.
Kowloon City im Jahr 1989, kurz bevor die Räumung begann. Bild (Ausschnitt): Wikipedia; Lizenz: CC BY-SA 2.0

Bis zu ihrem Abriss 1994 war die „Kowloon Walled City" in Hong Kong einer der eigenartigsten Orte dieses Planeten. In den späten 1980er Jahren lebten in dem Stadteil ungefähr 33.000 Menschen zusammengepfercht auf 2,6 Hektar. Das Gelände einer ehemaligen Militäranlage hatte sich da längst in einen vertikalen Slum mit einer unglaublichen Bevölkerungsdichte verwandelt.

Nach allem was wir wissen herrschten in der unregierten Stadt in der Stadt furchtbare Lebensbedingungen—erstens aufgrund der schieren Überbevölkerung und zweitens durch das Erbe der Triaden. Laut eines Artikels der South China Morning Post von 1996 wimmelte es in der Kowloon Walled City nur so von „Gesetzlosen und Elend—von Prostituierten, Opiumhöhlen und Zahnärzten ohne Zulassung."

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Der kurz nach dem Abriss der Siedlung verfasste Artikel lobpreiste dabei vor allem den 45 Millionen Euro teuren Park, der den Platz des Slum einnehmen sollte, und welcher von Chris Patten, dem damaligen Bürgermeister Hong Kongs, als „fantastischer Wandel" bezeichnet wurde.

Dennoch besitzt Kowloon auch zwei Jahrzehnte nach seinem Abriss noch eine ganz eigene Faszination, die vor allem online gepflegt wird. Vermutlich, weil der Ort, den einst zehntausende Menschen bewohnten ohne auf eine ordentliche Infrastruktur zurückgreifen zu können, die perfekte Mischung von Charakteristika auf sich vereint, die das Internet liebt: Superlative (der am dichtesten besiedelte Ort der Welt), eine eigenartige, blogkompatible Geschichte, China, Non-Konformität und das Bild einer Cyberpunk-Dystopie, auf die wir unvermeidlich zuzusteuern scheinen.

In manchen Portraits verwandelt sich einer der vielleicht lebensfeindlichsten Slums der Welt geradezu in eine „ moderne Piratenutopie".

Eine neue Dokumentation über Kowloon vom Wall Street Journal fasziniert exakt aufgrund dieser eigenartigen Mischung. Die Siedlung changiert zwischen einem Symbol von Armut, politischen Machtspielen und einer Internet-Illusion. Die Geschichte der Stadt ist durchzogen von Spannungen zwischen britischer und der chinesischer Regierung.

1898 einigten sich die beiden Staaten darauf, Hong Kong für 99 Jahre an die britische Regierung zu verpachten. Die ummauerte Stadt blieb jedoch von dem Abkommen ausgenommen. Die Regierung Hong Kongs versuchte den ehemaligen militärischen Außenposten in den 1930er Jahren weitestgehend abzureißen. Nachdem auch Japan während des zweiten Weltkriegs den Abriss vorangetrieben hatte, war die ehemals ohnehin schon kleine Bevölkerungsanzahl fast bei null angelangt.

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Nach der japanischen Niederlage begann China jedoch wieder seine Ansprüche auf das Gebiet geltend zu machen, wodurch sich schnell die erste Welle an Besetzern auf Kowloon einrichtete und als Mao Zedong seine kommunistische Herrschaft in China etabliert hatte, nahm die Zahl der Besetzungen noch einmal ein deutlich zu.

Zusammen mit der Unfähigkeit der britischen Behörden, das Gebiet zu kontrollieren, führten diese Ereignisse zur Etablierung eines Stadtteils, der weitgehend unregierbar war und außerhalb des Gesetzes stand. Auch die Verhandlung in einem Mordfall im Jahr 1959, die dazu führte, dass die Gerichtsbarkeit des Gebiets offiziell Hong Kong zugewiesen wurde, konnte diese Entwicklung nicht mehr aufhalten.

Die neue Dokumentation des Wall Street Journals wird aus der Perspektive von Ian Lambot und Greg Girard erzählt. Die beiden haben schon den fantastischen Fotoessay City of Darkness: Life In Kowloon Walled City herausgegeben, der kurz nach dem Abriss der Stadt veröffentlicht wurde. Lambot und Girard zeigen, dass die Isolation der Stadt ein zweischneidiges Schwert war.

Der vollkommene Mangel an Unterstützung durch die Außenwelt bedeutete, dass die Kowloon Walled City vor allem aus sich selbst heraus aufgebaut werden musste. So entstand eine Stadt in der winzige Industriebetriebe, kleine Läden und die sich weitestgehend selbst versorgende Bevölkerung auf engstem Raum existierten.

Dieses Konzept einer 3D-Stadt hat sicherlich zur Romantisierung von Kowloon beigetragen—insbesondere, da der Ort zahlreiche Science-Fiction Bücher inspiriert hat, inklusive William Gibsons Bridge Trilogie. Häufig vergessen: die faszinierten Verklärungen, aber auch die großen Probleme mit denen die Einwohner der Stadt konfrontiert waren. Das komplette Abwassersystem und die sanitären Einrichtungen, die öffentliche Sicherheit und die Kriminalitätsbekämpfung waren alles Angelegenheit der Anwohner, während die Anzahl Heroinabhängiger und Prostituierter erschreckend hoch war.

Die Geschichte von Kowloon City fasziniert nicht zuletzt deshalb, da sie ein lebender Beweis ist, dass die Dystopien der Zukunft, vor denen wir uns alle fürchten, heute schon gebaut wurden.