Monsieur Suzu, der Tofu-Meister

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Monsieur Suzu, der Tofu-Meister

Akira Suzuki, auch bekannt als „Monsieur Suzu“, macht das wohl beste Tofu in ganz Frankreich. Bis dahin war es ein weiter Weg: Er hat gut 200 Versuche gebraucht und jede Kleinigkeit minutiös aufgeschrieben.

Als mir klar wurde, dass ich Akira Suzuki treffen würde, besser bekannt als „Monsieur Suzu", wusste ich, dass ich gleich einer Art Tofu-Guru gegenübersitzen würde, einem der wenigen Menschen auf französischem Boden, die sich entschieden haben, einen Teil ihres Lebens Blöcken aus Soja zu widmen. Fast schon ein wenig eingeschüchtert habe ich das Internet nach einer Art Handbuch durchforstet, das mir irgendwie sagen kann, wie ich mich bei einem Treffen mit einem 70-jähirgen Japaner verhalten muss. Ich wollte die Regeln kennen, wollte das Werk dieses Sensei, dieses Meisters der geronnen Sojamilch, wirklich verstehen können, um die Weisheit des Mister Miyagi der Sojabohnen aufsaugen zu können.

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Wer am Ende seiner Mails „Mit freundlichen Grüßen" schreibt, kann wohl nichts anderes sein als ein weiser Zen-Meister—und irgendwie schüchtert das ein bisschen ein. Aber nach nur einem Tee habe ich mich bei Monsieur Suzu richtig wohl gefühlt. Hinter dem Mann mit Pfeife versteckt sich ein Mensch, der gern lacht, der aber auch gern mal des Teufels Advokat spielt. Dabei bleibt er nach außen doch immer irgendwieausgeglichen und ruhig.

Je mehr ich mich auf unser Treffen vorbereite, desto mehr wollte ich über diese Persönlichkeit wissen und vor allem über die mysteriöse Aura, die die Presse ihm und seiner Geschichte gern zuschreibt: ein alter japanischer Mann, der den besten Tofu in ganz Paris in seiner Garage macht und Kontakte zu den besten Restaurants pflegt.

Akira Suzuki ist der Gründer von Suzu Tofu. 2004 fing er an, diese bei den Pariser Tofu-Feinschmeckern beliebte Delikatesse in seinem kleinen Haus in Bois d'Arcy herzustellen. Mittlerweile ist er endgültig in Rente gegangen und hat sein Geschäft einem gewissen Takayanagi vermacht, einem Patîsseur aus Le Mans.

Mit einem Taschenrechner bewaffnet, als wollte er das „Gewicht der vergangenen Jahre" die ganze Zeit genau verfolgen können, berichtet er mir von seiner langen Reise in den 70ern von Japan in einen Vorort von Paris, noch bevor er den ersten Suzu Tofu hergestellt hat.

In einwandfreiem Französisch erzählt er mir, dass seine Geschichte mehr die eines japanischen Einwanderer ist, der auf der anderen Seite der Erde ein neues Leben anfangen wollte, als die eines Tofu-Fanatikers, der er es sich zur Mission gemacht hat, den westlichen Geschmack zu reformieren.

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Früher wollte er Ingenieur werden, aber durch ein Augenleidenist daraus nichts geworden.Dann hat er erst Englisch, später Französisch studiert und schließlich seine Leidenschaft für Latein entdeckt. Durch dieses Sprachenstudium ist er an einen Job in einem multinationalen französischen Unternehmen in Osaka gekommen. „Ich habe also schon lange eine Beziehung zu Frankreich", meint er zu mir, auch wenn alles etwas zufällig über ihn gekommen ist.

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„Darf ich?", fragt Monsieur Suzu höflich, bevor er sich die Pfeife ansteckt. „Zigaretten sind nichts mehr für mich."

1979, mitten in der Ölkrise, ist das Unternehmen, für das er arbeitete, pleite gegangen und Akira Suzuki erhielt eine Abfindung, mit der er sich dann etwas in Frankreich aufbauen konnte. Zuerst arbeitete er 20 Jahre lang bei einer Firma für Chemieprodukte in Val d'Oise. Seine Frau blieb zunächst in Japan, ist ihm aber später nach Frankreich gefolgt, wo sie sich dann fest niedergelassen haben und eine Familie gründeten. Bis hierhin klingt Monsieur Suzus Geschichte wie die jedes anderen Einwanderers, der sich entschieden hat, seine Heimat zu verlassen und das Glück und den Erfolg in einem anderen Land zu suchen.

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Monsieur Suzu zusammen mit seiner Frau

Aber als er 2004 in Rente ging, wurde das Geld knapp: Die mickrige Rente des Paares hat einfach nicht mehr gereicht. Akira Suzuki war klar, dass er wieder arbeiten müsste und er erinnerte sich an einen alten Kindheitstraum: Er wollte Ingenieur oder Erfinder werden, zumindest seine eigenen Dinge kreieren. Ein enger Freund riet ihm dann, sich in die Tofuherstellung zu stürzen. Zuerst war er der Idee ziemlich abgeneigt, aber dann hat er sich doch auf dieses Abenteuer eingelassen.

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„Am wichtigsten ist eins: Entweder man tut es oder man lässt es bleiben", meint er, als ich ihn fragte, warum er sich für diesen Weg entschieden hat. Für ihn war nicht das warum wichtig,sondern dass er überhaupt angefangen hat. „Am Anfang wusste ich nichts über Tofu", gibt er offen zu. Er hat damals zehn Tofusorten probiert, sieben aus asiatischer Herstellung, drei aus französischer. Keine davon hat ihm gefallen, keine war gut genug und da hat er seine Chance erkannt. „Ich dachte mir: Moment, das ist eine Lücke. Wenn ich etwas Gutes hinbekomme, könnte das meine Chance sein", erinnert er sich lachend.

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Monsieur Suzu ist durch ganz Japan gereist, um alles über Tofu zu lernen

Um die Wissenschaft hinter Tofu zu verstehen, ist Akira Suzuki in seine Heimat zurückgekehrt, wo er sich mit Tofu-Produzenten getroffen und seine ersten Sojabohnen gekauft hat. „Zwei Jahre meines Lebens allein habe ich mich mit der Entwicklung meines Rezepts beschäftigt", sagt er mir selbstsicher, nachdem er auf dem Taschenrechner noch einmal die Zeit „überprüft" hat.

Heute weiß Monsieur Suzu alles über Tofu, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. Zwischen zwei Zügen an seiner Pfeife erklärt er mir die Herstellung: Zuerst muss man die Sojamilch herstellen, indem man die getrockneten Sojabohnen einweicht, die dann gekocht und abgegossen werden. Danach kommt ein Gerinnungsmittel zur Sojamilch, nigari, hergestellt aus entsalztem Salzwasser. Dadurch gerinnt die Milch und sobald alles fertig ist, presst man das Ganze in eine Form.

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Akira Suzuki erklärt mir alles über die verschiedenen Arten von Sojabohnen, die er kennt, und betont noch einmal, wie wichtig das richtige nigari ist. Diese zwei Zutaten beeinflussen den Geschmack des Tofus entscheidend. „Nur in Japan wird Soja je nach Verwendung angebaut. Es gibt für Tofu, Kuchen, Sojasauce, Miso und so weiter jeweils andere Sojasorten, Tausende davon. In Frankreich wird eine Sorte für alle Verwendungsmöglichkeiten angebaut", meint er.

Und dann verrät er mir endlich einen der vielen Schlüssel zu seinem Erfolg: „Ich schreibe alles auf: die Temperatur, die Ruhe- und die Gerinnungszeit. Die Kombination aus beiden ist entscheidend." Nach zwei Jahren Herumprobieren und über 200 Versuchen hat er sein Rezept perfektioniert.

Und Monsieur Suzu machte Schritt für Schritt von sich reden. „Ich habe klein angefangen", erinnert er sich und packt einen Ordner auf den Tisch. Hier bewahrt er alle Artikel auf, die je über ihn geschrieben wurden, als Erinnerung an seine glückliche Vergangenheit. Er erinnert sich, wie er Restaurants in Japan abgeklappert und sein Tofu vorgestellt hat. Später hat ihm OVNI, ein japanisch-französisches Magazin,dabei geholfen, seinen Platz auf dem kleinen Pariser Tofumarkt zu finden.

„Was zählt, ist die Meinung der Kunden, schließlich entscheiden sie, ob es ihnen gefällt oder nicht. Und die Leute haben mein Tofu gekauft, so schlecht war die Qualität also nicht", bemerkt er leicht bescheiden. Rückblickend und selbst jetzt gab und gibt es für Suzu Tofu keine richtige Konkurrenz. Wenn die berühmtesten Gastronomen der französischen Hauptstadt ein außergewöhnliches Tofu wollen, stehen sie alle bei Monsieur Suzu vor der Tür. Sein Tofu landet auf den Tellern des Restaurants des Hotel Meurive, des Cler und des Shangri-La.

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Nach einem bescheidenen Start erkannte er dann, dass Tofu doch ein ziemlich guter Plan war: „Ich habe Sojamilch in 1,5-Liter-Volvic-Flaschen an Sternerestaurants geliefert. Und ich habe sie zehnmal so teuer verkauft und sie haben ohne zu meckern gezahlt." Zunächst haben die Köche Suzukis Produkte vor allem für Saucen und Salate genutzt und bei vegetarischen Gerichten. Interessanterweise hat das wenig damit zu tun, wie Tofu in Japan gegessen wird: meistens roh und in Würfel geschnitten mit ein bisschen Sojasauce. Das hat aber Monsieur Suzu nicht abhalten können: „Wir sind hier nicht in Japan, hier kocht man französisch."

Gerichte aus hochklassigen Restaurants beeindrucken ihn dann aber doch nicht so sehr. Wenn man ihm so zuhört, bekommt man den Eindruck, dass er die japanische Küche wirklich liebt. Und sie scheint ihm auch manchmal zu fehlen. Er plant sogar mit seiner Frau nach Japan zurückzukehren und sich in Nara niederzulassen. Hier will er auf einem großen Grundstück alle möglichen Obst- und Gemüsesorten anbauen. Auch wenn er vor einigen Jahren quasi noch gar keine Ahnung vom Anbauen, vom Handwerk oder vom Landleben hatte, liebt er es jetzt umso mehr.

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Nach mehr als 30 Jahren in Frankreich, kehren die beiden nach Japan zurück, um sich auf einem großen Grundstück in der Nähe von Osaka niederzulassen

Seine Tofuzeit scheint heute weit hinter ihm zu liegen. Jetzt will er seine Tage damit verbringen, ein Buch zu schreiben. Er interessiert sich sehr für Ethnografie und meint ein „Gesetz der Kulturen" entdeckt zu haben

Vielleicht war mein Blick ziemlich skeptisch und er erklärt mir deshalb seine These genauer: „Wir Japaner denken vom Großen zum Kleinen. Zuerst denken wir an das große Ganze—an alles, was einen umgibt—, dann gehen wir zu den kleineren Dingen über. Und nach dem kleinsten Ding gibt es nichts mehr. Und genau dort findet man zum Zen."

Dieser Geschäftsmann, der während unseres Gesprächs die ganze Zeit an seinem Taschenrechner festhing, erscheint mir plötzlich in einem neuen Licht, fast schon mystisch. Und er fährt fort: „Ich habe Glück, denn ich weiß, wie Japaner im Vergleich zu Franzosen denken, also kenne ich beide Blickwinkel. In Frankreich schreibt man das Datum folgendermaßen: Tag, Monat, Jahr, aber in Japan ist es genau umgekehrt."

Monsieur Suzu wirkt ruhig und klug, er scheint ein Gleichgewicht zwischen seiner Heimat und seiner Wahlheimat gefunden zu haben, zwischen Notwendigkeit und Schicksal. Nach einer langem Reise hat er das Zen gefunden. Sein Schicksal hat ihn nach Frankreich gebracht, wo er schließlich japanische Delikatessen herstellte. Er ist offen für beide Kulturen. Bald kehrt er nach Japan zurück und nimmt vielleicht die Geheimnisse der französischen Käseherstellung mit dorthin.

Vielleicht wird daraus ja ein florierendes Geschäft mit Camembert aus Sojamilch, wer weiß?