Was Taxifahrer wirklich über dich denken
Ibrahim: „Ich höre gern zu, tue aber so, als würde ich nichts mitbekommen. Die reden dann oft über Sex."

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Ausgehen

Was Taxifahrer wirklich über dich denken

Sie fahren dich in deinen hellsten wie dunkelsten Momenten, nutzen dich als Romanvorlage aus und duzen einfach drauf los: eine Nacht in Berliner Taxen.

Samstagabend in Berlin-Kreuzberg: Irgendwie wirkt das falsch. Es scheinen nur Autos in der Farbe von Opa-Westen (die, mit den mindestens vier großen, gut sichtbaren Taschen) unterwegs zu sein. Als wären alle andersfarbigen Fahrzeuge beim Einbruch der Dunkelheit verschluckt worden. Nur Taxis—so weit das Auge reicht. Direkt vor dem Club der Visionäre stehen die Dinger dann sogar zweireihig. Die orangene Leuchtschrift auf der Haube lockt, weckt Sehnsucht nach einem Ortswechsel.

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Zu dir oder zu mir? Nächster Club—oder doch einfach nur ins eigene Bett, umfallen und schnell diesen Teil des Wochenendes wegschlafen? Mein Club liegt heute auf der Straße. Ich will wissen, wie die Taxifahrer die Stunden des Ausgehens erleben.

Ibrahim, 35, ist seit fast drei Jahren fester Bestandteil der Berliner Nacht. Einen Großteil der Clubgänger sammelt er zwischen sechs und acht Uhr morgens auf. Viel mehr als einzelne Substantive, halbe Informationen kriegen die dann meist eh nicht mehr heraus. Ibrahim wurde aufgrund einer Wette Taxifahrer: „Mein Bruder ist seit acht Jahren Taxifahrer und der meinte, ich schaff das nicht. Dann wurde das zu so einem Wettbewerb. Er hat damals anderthalb Jahre für seinen Taxiführerschein gebraucht, ich nur so sechs Monate."


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Ibrahim ist total in Ordnung. Wer bei ihm mitfährt, darf sein Bier mitnehmen. Fummeln geht auch klar. Am liebsten sind ihm aber (generell neben den Gästen aus dem KitKatClub) jene Freundinnen, die plötzlich in seinem Auto mit dem Boy-Talk anfangen. „Ich höre gern zu, tue aber so, als würde ich nichts mitbekommen. Die reden dann oft über Sex. Zum Beispiel so: ‚Der Typ ist wunderschön, aber dann packt der sein Ding aus und das ist voll klein.'"

Alles andere als klein ist die Berliner Taxifahrer-Szene. Wenn ich mich so umgucke, sind die wenigsten so jung wie Ibrahim. Im Schnitt ist man hier 50+ und trägt obenrum Kurzstoppel-Haarschnitt und untenrum Jogginghose. Frauen gibt es so gut wie gar keine. Und von den wenigen will erst recht keine über den Job reden.

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Lukas: „… und wenn ich dann zweimal um die Ecke gefahren bin, fangen sie an zu weinen."

Wenn du, so wie ich, versuchst, den gemeinen Taxifahrer ein bisschen auszufragen, so glauben überraschend viele, du seist von der Regierung, einem Geheimdienst oder gar von Aliens geschickt worden. Wer Fragen stellt, wird mit Gegenfragen konfrontiert, wie zum Beispiel der, nach dem eigenen Sternzeichen. Es fallen sinnige Sätze à la: „Es gibt die Zeitqualität und Zeitquantität." Was ist da bloß los? Nehmen Berliner Taxifahrer etwa die gleichen Drogen wie ihre Fahrgäste? Oder haben die wirklich schon so viel Scheiß erlebt, dass eine Unterhaltung über Spitzel und Spione für sie zum völlig normalen Aufwärmprogramm gehört?

Lukas zum Beispiel spricht sehr gern, ohne Punkt und Komma. Aber er will nicht fotografiert werden. Also durch den Rückspiegel knipsen, geht gerade noch so, für mehr ist er partout nicht zu haben. Leute hätten ihm schließlich schon gesagt, er solle vorsichtig sein, mit dem was er von sich preisgibt. Vieles klingt bei ihm nach Verschwörung. Mag daran liegen, dass er eigentlich Schriftsteller ist und dieser Tage an seinem viertem Buch, einem Roman, schreibt. In den 16 Jahren nach seinem Uni-Abbruch war dafür viel Zeit. Und auf so einer ledernen Rückbank passieren sowieso die richtig guten menschlichen Dramen. „Manche Mädchen steigen in mein Auto, verabschieden sich noch ganz tapfer von ihren Freundinnen, sagen sie würden bald wieder telefonieren, und wenn ich dann zweimal um die Ecke gefahren bin, fangen sie an zu weinen. Das ist so der Klassiker. Ich bin da auch nicht mehr peinlich berührt. Nur komme ich mir grausam vor, wenn ich dann gar nichts sage."

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Tatsächlich haben die meisten Fahrer schon nach kürzester Zeit einen Tunnelblick drauf und stören sich an nichts mehr. Alles schon gesehen, keine wirkliche Überraschung mehr. Drogenabstürze sind das Normalste der Welt. Paare vorm Swingerclub absetzen, gehört am Wochenende zum guten Ton. Wer Student und wer Finanzhai ist und nachts mal einen draufmachen will, kriegt man schnell mit. Das ist bereits am Geruch erkennbar, behaupten die nächtlichen Chauffeure.

Sefer: „Erst wird geschlagen und dann umarmt!"

Wenn du Taxifahrer nach ihren liebsten Gästen fragst, bekommst du am häufigsten Geschichten von „hübschen Frauen" zu hören. Fragst du sie nach den anstrengendsten, reden sie von „lauten Frauen". Wer weiblich und gut angetrunken ist, fasst schon mal auf dem Weg von einem Club zum nächsten den Fahrer an. Viel Trinkgeld hätten sie trotzdem nicht auf Lager. Toll seien aber auch die Hipster mit den T-Shirts, die bis zu den Knien gehen. Denn mit diesen XXL-Oberteilen würden sie auch ihr Erbrochenes auffangen. Oder es wird damit geprahlt, wie viel Geld man diesen Monat wieder allein für Drogen verprasst hat. 800 Euro—das würde speziell bei Typen aus der Medienbranche schon mal vorkommen.

Aber wo gräbt man diese reichen Irren aus? Touristen oder Chefetage am Potsdamer Platz?

Das Berghain ist irgendwie noch immer Dreh- und Angelpunkt aller Geschichten. Hier greift man anscheinend des Öfteren Leute auf, die heulend auf dem Bordstein sitzen. Nicht etwa, weil sie vom Türsteher abgeblockt wurden—nein, für einige scheint das, was im Club passiert (Stichwort: onanieren auf der Bühne), zu einem nachhaltigen Trauma geführt zu haben. „Ich fahre nicht gern zum Berghain", erklärt Sefer. „Da ist immer Stress." Hier kämen die richtigen Freaks heraus. Vier Jahre Berufserfahrung haben ihn gelehrt, dass man vor allem nicht pauschalisieren könne: „Manche Leute schlagen sich gegenseitig im Auto, bis Blut rauskommt, danach sind sie wieder Freunde und umarmen sich." Einen anderen Beruf könne er sich aber nicht vorstellen. „Ich bin über 50, da kriege ich keinen anderen. Vorher habe ich Ein-Euro-Jobs gemacht. Aber das ist besser. Auch viel besser als zu Hause rumzusitzen."

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Siad: „Mir ist das egal. Ich fahre alle."

Im Gegensatz zu Sefer liebt es Rafiq, die Leute aus dem Berghain zu chauffieren. „Die sind locker drauf." Aber auch rund um das Arena-Gelände und das Chalet gabele er entspannte Gäste auf. Das Q-Berlin bzw. Q-Dorf im Westen sorgte dagegen bis zu seiner Schließung letztes Jahr immer für schlechte Laune. „Aggressives Publikum." Jetzt gebe es da noch das Maxxim. Auch nicht angenehmer. Ständig Prügeleien. Schaulustige, die auch bei einem Autounfall anhalten und Fotos machen würden. Dieses „Kinderclub-Mäßige" ließe er lieber aus.

Seit sieben Jahren sammelt Rafiq seine Weisheiten über das Taxifahren. „Ich bin aus der Not heraus Fahrer geworden. Früher war ich beim Pizza-Service und die logische Steigerung davon war dann, Taxi zu fahren. Das ist sozusagen Formel 1." Wer bei ihm mitfahren möchte, muss eine Sache beachten: „Wenn du kotzt, wird das teuer." Also eine Art Kotzpauschale. Aber ansonsten gibt er sich zurückgelehnt: „Was hier im Taxi passiert, bleibt auch im Taxi."

Rafiqs Kollege Siad hat da so einige Stories auf dem Kasten, die vielleicht lieber nie sein Taxi verlassen hätten sollen. Ein Beispiel: Zwei Männer, die eine Frau begrabbeln und sie nach und nach ausziehen—bis sie letztlich in Gänze nackig im Rückspiegel zu sehen war. Paranoia-Attacken, Fremdgehen, Zusammenkommen, Schlussmachen und Mädels, die sich aus dem Auto hängen und ihr Shirt für das nächste vorbeifahrende Fahrzeug lüfteten—all das gehört für ihn zum Taxifahrer-Alltag. Siads Credo dabei: „Für mich ist das egal. Ich fahre alle." Zur Zeit riefe man ihn häufig zur Wilden Renate, zum Tresor, zum Sisyphos. Wenn er merke, dass seine Gäste nicht mehr ganz auf der Höhe seien, mache er gelegentliche Kotz-Stopps, fahre generell langsamer und vorsichtiger. Siad ist eben ein echter Gentleman.

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Roland: „Soll ich den einfach auf die Straße legen? Das ist ja schon Körperverletzung, verstehste?"

Auch Roland gehört zu denen, die hauptsächlich nachts fahren. Da ist es schließlich entspannter. Die Menschen müssten nicht zu Terminen hetzen, seien jünger, und generell irgendwie „easy". Roland bestätigt übrigens auch das Taxifahrer-Klischee: Duzen hat oberste Priorität. In diesen Autos gibt es keine Höflichkeitsgrenzen, hier findet das Leben statt.

Obwohl Roland erst seit sieben Wochen in der Branche mitmischt, wirkt er alt eingesessen. Dass man keine völlig Besoffenen von A nach B transportiert, hat er bereits verinnerlicht: „Es ist problematisch, wenn mir zwei einen Dritten hertragen, der gar nicht mehr alleine laufen kann und ich soll den dann nach Hause karren, die aber wollen nicht mitfahren. Das kann ich aber gar nicht machen. Soll ich den nachher noch drei Treppen hochtragen alleine? Oder einfach auf die Straße legen? Das ist ja schon Körperverletzung, verstehste? Die müssen mitkommen oder die Sache fällt aus." Leicht verständliche Regel, alles klar.

Was Roland für den Job prädestiniert: „Ich kann gut mit Betrunkenen umgehen, ich hab Pädagogik studiert." Außerdem habe er einfach eine wahnsinnige Freude am Autofahren. Dabei hört er laut FluxFM, so wie auch viele seiner Kollegen. Das Klischee, Taxifahrer würden nur Info- oder Klassikradio hören, kann ich somit in dieser Samstagnacht nicht bestätigen.

Roland bringt noch mal auf den Punkt: „… hast einen Taxifahrer erwischt, der 57 ist, und noch so einen Scheiß hört. Aber ich geh auch gerne zum Tanztee, hehe."

Und dann stehen wir vor meinem Haus. Die Nacht ist für mich vorbei. Ich steige aus. Das Taxi fährt weiter.

Rafiq: „Früher war ich beim Pizza-Service. Taxi zu fahren, ist Formel 1."

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