Schluss machen

Nur weil du Berufsanfänger bist, musst du dir nicht alles gefallen lassen

Warum du dir als Praktikant zum Kaffeekochen nicht zu schade sein solltest – und wann es Zeit ist, zu gehen.
Berufsanfänger
Symbolbild: imago | Panthermedia | bearbeitet

Eine Fernsehproduktionsfirma irgendwo im Industriegebiet von Köln, ein langer Flur, ein Büro trister als das von Stromberg. Gabi und Katrin sitzen wahrscheinlich heute noch hier. Und vor acht Jahren saß da auch noch Till, 20. Er hatte gerade Abi gemacht und wollte Fernsehproduzent werden. Es war seine erste Station in seinem ersten Praktikum: die sogenannte Vorproduktion. "Das war am Anfang ziemlich scheiße", sagt er heute. Trotzdem blieb er volle drei Monate lang.

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Till versuchte sich einzubringen, Fragen zu stellen, zu erfahren, was ein Fernsehproduzent macht –Praktikant zu sein eben. Davon hielten Gabi und Katrin, die eigentlich anders heißen, jedoch nichts. "Die quittierten jede Frage mit einem Schnaufen." Till ist heute 27 und wenn er an das Praktikum denkt, sagt er: "Da kommt gerade richtige Wut hoch."

Einmal wollte Till wissen, was ein Fernsehproduzent verdiene. Gabi antwortete nicht, stattdessen soll sie gesagt haben: "Ich hoffe, dass deine Kinder nicht so werden wie du." Till wurde von oben herab behandelt, durfte seine Ideen nicht äußern, wurde klein gehalten. "Ich habe mich irgendwann nichts mehr getraut," sagt er. Nach der Vorproduktion wechselte Till in die Produktion. Sein neuer Vorgesetzter behandelte ihn mit mehr Respekt, gab ihm mehr Verantwortung, kommunizierte offen. "Das hat mir wieder Selbstvertrauen gegeben." Erst jetzt wurde ihm klar, dass er zuvor nicht korrekt behandelt wurde. Zum Ende seines Praktikums sammelten die Kollegen Geld für ihn, zum Abschied. Von Gabi und Katrin habe er besonders viel erhalten, erzählt Till. "Als Wiedergutmachung, oder so."


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Wie viele Praktikantinnen und Praktikanten es zurzeit in Deutschland gibt, ist schwer zu sagen. 2011 waren knapp 70.000 sozialversicherungspflichtige Praktikanten und Volontäre beschäftigt. Seit den 90er Jahren nimmt die Zahl stetig zu. Laut einer Umfrage der Personalberatung CLEVIS verdienen Praktikanten im Schnitt fast 1.100 Euro im Monat, befragt wurden allerdings auch nur Studierende zwischen 23 und 25 Jahren. Dank des Mindestlohns, der mittlerweile bei über neun Euro die Stunde liegt, werden viele Praktikanten seit 2015 besser entlohnt. Doch für Studierende, die ein Praktikum unter drei Monaten absolvieren oder im Rahmen des Studiums ein Pflichtpraktikum machen, gilt das nicht. Rund ein Drittel der Praktikantinnen und Praktikanten verdient deshalb unter 400 Euro monatlich.

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Den meisten Praktikanten ist das aber leider egal. Der CLEVIS-Umfrage nach wollen Praktikanten hauptsächlich lernen und sich auf ihren späteren Beruf vorbereiten. Überstunden und schlechte Bezahlung seien Bedingungen, die dafür in Kauf genommen werden. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung definiert ein Praktikum wie folgt: "Das Praktikum dient der Ergänzung der theoretischen Ausbildung, der Berufsorientierung und dem Sammeln erster beruflicher Erfahrungen." Das ist ja alles schön und gut – aber oft gibt es gar keinen anderen Einstieg mehr ins Berufsleben als ein Praktikum. Und wenn es beim ersten nicht klappt, muss man mehrere machen. Da können Jahre ohne feste Bezahlung vergehen. Das ist vor allem für Jugendliche, die in Armut aufwachsen, ein Problem.

Was ist normal und wann sollte ich mich beschweren?

Elfrun Otterbach arbeitet in der Personalabteilung einer Digitalagentur und findet längere Praktika müssen gut bezahlt werden: "Wir zahlen für ein freiwilliges Praktikum den Mindestlohn und wünschen uns, dass Praktika drei Monate oder länger dauern." Der Lerneffekt sei über einen längeren Zeitraum einfach größer, zumal ein neuer Mitarbeiter seine Zeit braucht, um sich einzuarbeiten. Außerdem sollten sich Praktikanten nicht vorkommen wie eine billige Arbeitskraft.

Manchmal weiß man nach einem Praktikum eben auch nur, dass dieser Job nicht der richtige für einen ist. Aber was, wenn es so schlecht läuft wie bei Till? "Wenn man sich eingeschränkt, beleidigt oder angegriffen fühlt, sollte man das Gespräch suchen – egal, wie lange man bereits in dem Unternehmen ist," sagt Otterbach. Das sei ein menschliches Bedürfnis, egal ob im privaten oder im beruflichen Kontext. Und da ist es auch egal, ob man nun Chefin oder Praktikantin ist. Respekt und Umgang auf Augenhöhe seien eine Grundvoraussetzung für eine gelungene Zusammenarbeit.

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Wer hilft mir, wenn es schlecht läuft?

Falls es zu unangenehmen Zwischenfällen kommt, sollte es immer Ansprechpartnerinnen oder Ansprechpartner innerhalb eines Unternehmens geben. "Wir haben zwei Vertrauenspersonen, an die sich jeder Mitarbeiter wenden kann, wenn er ein Problem hat," sagt Elfrun Otterbach. Beschwere dich nicht gleich beim Chef, sondern taste dich vor. Informiere dich: Gibt es einen Praktikumsbeauftragten in deinem Unternehmen? Oder eine Person, der du vertraust? Das kann auch ein Kollege sein, oder eine der Personen, die im Bewerbungsgespräch dabei waren.

Personalerin Otterbach rät: "Wenn man ein Praktikum abbrechen möchte, weil Erwartungen nicht erfüllt werden, weil man den ganzen Tag nur rumsitzt, Kaffee kocht und seine Zeit verschwendet, würde ich zuerst ein Gespräch suchen und schauen, was man ändern kann." Wünsche solle man immer äußern. Und wenn es ein Problem gibt, sei es wichtig, direkt einen Lösungsvorschlag anzubieten. Aber: "Ein Praktikum oder eine Ausbildung durchzuführen, nur um sie durchzuführen, ist nicht gut. Man sollte vorab formulieren, was man erwartet und das direkt im Vorstellungsgespräch äußern." Falls diese Erwartungen nicht erfüllt werden, darf man auch als Praktikant Forderungen stellen.

Müssen Praktikanten auch am Wochenende arbeiten?

Jennifer, 24, absolvierte ein Jahr lang ein Praktikum in einem Krankenhaus im Ruhrgebiet, um danach eine Ausbildung zur Krankenschwester zu machen. Ihre Vorgesetzten hätten sich ihr gegenüber nicht immer korrekt verhalten, erzählt Jennifer. Sie habe zum Beispiel auch am Wochenende arbeiten müssen. Allerdings hat sie sich auch nicht gewehrt: "Ich habe dem zugestimmt. Also liegt es nicht nur am Arbeitgeber."

Rechtsanwalt Michael Krüger erklärt: "Grundsätzlich darf die Arbeitszeit im Praktikum acht Stunden am Tag nicht überschreiten." Diese Höchstdauer ergibt sich aus dem Arbeitszeitgesetz und "daraus ergibt sich auch die Pflicht zu Sonn- und Feiertagsruhe". Aber: Ausnahmen gelten zum Beispiel für Tätigkeiten in speziellen Einrichtungen. Darunter fallen Krankenhäuser, Zeitungsredaktionen, Gastronomie- und Messebetriebe. Als Grundlage für alles gelte der Praktikumsvertrag, in dem auch die Aufgaben festgelegt werden sollten. Umso allgemeiner die Formulierungen gehalten werden, desto kreativer dürften Vorgesetzte werden. Jennifer durfte, da sie in einem Krankenhaus arbeitete, also am Wochenende eingesetzt werden. Ein Spezialfall.

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Sei dir zum Kaffeekochen nicht zu schade

Es gibt Praktikumsaufgaben, die einfach widerlich sind. Bettpfannen putzen, Hotelbetten abziehen. Sie gehören allerdings zum Job. Das Kaffeekochen steht allerdings in keiner Jobbeschreibung. Trotzdem solltet ihr euch dagegen nicht wehren, wenn es nicht ständig passiert, sagt Rechtsanwalt Krüger: "Grundsätzlich sind Tätigkeiten wie Kaffeekochen oder Einkaufen nicht Teil der Praktikumsaufgaben. Werden derartige Aufgaben von den Kollegen jedoch ebenfalls gelegentlich wahrgenommen, sollte sich auch der Praktikant im Interesse eines positiven Betriebsklimas dazu nicht zu schade sein."

Trotz einiger Strapazen ist Jenny heute Krankenschwester, ihr Praktikum bereut sie nicht. Es hat sie in ihrem Berufswunsch bestätigt. "Die Arbeit mit den Patienten hat mir gezeigt, dass ich mir nichts anderes vorstellen kann." Die Anerkennung war ihr wichtiger, als sich über irgendetwas zu beschweren. Heute zieht sie daraus zumindest Konsequenzen für ihren eigenen Umgang mit Praktikanten: "Ich versuche es heute besser zu machen, als meine Chefs damals. Ich bin selbstbewusster."

Auch Till arbeitet noch in der Medienbranche und sieht sein Praktikum als Bereicherung, nicht als Fehler. Er konnte herausfinden, wo seine Stärken liegen, auch wenn er besonders am Anfang nicht gut zurechtkam. Würde er heute anders reagieren? "Ich weiß jetzt, wer ich bin und reagiere entspannter, wenn es unangenehm wird. Aber solche Situationen bleiben schwer."

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Geh, wenn es dir nicht mehr passt

Silvia ist 32 Jahre alt und hat vor anderthalb Jahren ihr Verlagsvolontariat abgeschlossen. Sie sei gut bezahlt worden, sagt sie, habe ein ordentliches Gehalt erhalten, musste aber auch sehr viel leisten. Alles in allem sei sie zufrieden. Es gibt allerdings ein Problem: Seit anderthalb Jahren warte sie auf ihr Zeugnis. Für Aufsehen möchte Silvia allerdings nicht sorgen, sich nicht auflehnen, nicht zu viel fordern, keinen Aufruf auf Twitter starten. "Ich habe Angst, dass die mir etwas Schlechtes reinschreiben, wenn ich zu laut werde." Sie schickt weiter E-Mails. Sie ruft weiter an. Aber das Zeugnis kommt nicht.

"Das Unternehmen ist rechtlich verpflichtet, ein wohlwollendes Zeugnis auszustellen. Wir bieten unseren Trainees und Praktikanten an, schon einmal zusammenzufassen, was sie während ihrer Zeit bei uns gemacht haben und was ihnen besonders wichtig ist. Damit schaffen sie eine Grundlage für das Zeugnis", sagt Elfrun Otterbach. Aber hier stehen sich Ideal und Realität gegenüber. "Wird ein Zeugnis nicht oder nicht zeitnah zum Ende erstellt, sollte der Auszubildende den Arbeitgeber schriftlich hierzu auffordern und eine angemessene Frist von zwei bis drei Wochen setzen," sagt Anwalt Michael Krüger. Wenn keine Reaktion erfolgt, so Krüger, solle man sich an das Arbeitsgericht wenden. Selbiges gilt im Falle einer schlechten Bewertung, zumindest dann, wenn sie nicht korrekt ist. Der ehemalige Arbeitgeber muss das Zeugnis in so einem Fall korrigieren.

Auch als Berufsanfänger darf man für sich einstehen und muss sich nicht alles gefallen lassen. Praktikanten haben Rechte, die sich aus ihren Arbeitsverträgen ergeben. Wen das Praktikum so gar nicht dem entspricht, was man sich vorgestellt hat, kann man auch als Praktikant kündigen. Das unterstreicht auch Elfrun Otterbach: "Ein abgebrochenes Praktikum kommt in einem Vorstellungsgespräch in der Regel nicht schlimm an. Es kommt selten vor und ist außerdem auch nicht im Lebenslauf ersichtlich."

Also: Geh, wenn es dir gar nicht passt. Mut zur Lücke.

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