Ein Jäger steht an einem Schweinegehege
Alle Fotos: Florian Lierzer

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Jagd

Ein Jäger erzählt, warum es für ihn OK ist, Tiere zu töten

"Wenn es mich nicht mehr berührt, wäre es eigentlich Zeit, zu hinterfragen, wie ich so abstumpfen konnte", sagt Lukas. Wir sind ihm in den Wald gefolgt.

"Die Alten lachen mich immer aus, wenn ich den trage", sagt Lukas, lacht selbst und deutet auf den Gehörschutz in seiner Hand. "Die sind mit 50 oder 60 halb taub, aber sowas würden sie nicht aufsetzen." Dann bricht Lukas, der Jäger, auf zur Jagd.

Es ist Dezember, draußen schneit es leicht, die Luft ist so kalt, dass man eigentlich lieber drinnen bleiben möchte. Lukas, groß, athletisch, Dreitagebart, packt sich in einen dicken Umhang ein, setzt seinen grünen Filzhut auf und hängt sich die Tasche mit dem Gewehr um, die er eben aus dem Waffenschrank geholt hat. Mit dem Auto geht es den Berg hinauf.

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"Um jemandem zu erklären, warum man jagt, muss man ihn in den Wald mitnehmen", sagt Lukas, während er seinen Kombi über die schmale Straße lenkt, auf der ihm während der ganzen Fahrt kein Mensch begegnen wird. Nur mit Worten lasse sich die Jagd schwer begreiflich machen und schwer erklären, warum einer durch den Wald geht und Schweine oder Rehe erschießt. Wenn man nicht verstehe, was dahintersteckt, sei das Jagen und Töten für niemanden nachvollziehbar. "Aber wenn du den Leuten Rehkitze zeigst, die halb verhungert sind, weil es einfach zu viele in ihrem Revier gibt, oder Bauern, die wegen der Wildschweine schon wieder einen Ernteausfall haben, dann wird das vielleicht verständlich."


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Er liebt die Tiere, und er tötet sie

Lukas ist 31, er hat in Wien Forstwissenschaften studiert und lebt jetzt wieder in der Steiermark. Von Beruf ist er Forstwirt, in seiner Freizeit Jäger. Er ist praktisch immer im Wald. Aber die Jagd sieht er nicht als Hobby, sondern als Aufgabe, vielleicht sogar als Berufung. Er liebt die Tiere genauso wie den Wald. Und er tötet sie, genauso wie er Bäume fällt.

Wir fahren in Lukas´ Revier. Das Gebiet ist so groß wie vierzig Fußballfelder, nur viel steiler. Die Grundeigentümer lassen ihn hier jagen, er soll den Tierbestand kontrollieren. Mit der Arbeit im Wald verdient er auch Geld, vor allem aber geht es ihm darum, einen Lebensraum zu schützen, sagt Lukas: "Für dieses eine Lebewesen ist es bestimmt nichts Gutes, zu sterben." Vor allem junge Tiere zu töten, sei schwer. Sie hätten etwas Kindliches, findet Lukas. "Aber für den ganzen Bestand, die Vegetation, ist es etwas Gutes." Bei zu vielen Tieren auf zu engem Raum gebe es Konkurrenz ums Futter – letzten Endes sei zu wenig für alle da, die Tiere kämen nur schwer über den Winter, oft seien sie krank.

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Das Dorf ist mittlerweile nicht mehr zu sehen. Nebel hat sich über das Tal gelegt. Auf den Wiesen, an denen Lukas vorbeifährt, weiden im Sommer Kühe, jetzt stehen sie alle im Stall.

"Natürlich ist es immer ein Lebewesen, das stirbt", sagt Lukas nach einer Weile, "aber ich kann versuchen, mit dem größtmöglichen Respekt gegenüber dem Tier zu jagen." Wenn er schießt und dann an die Stelle komme, an der das geschossene Tier liegt, sage er erst einmal Danke. Er hat sich viele Gedanken gemacht zum Jagen, zum Töten, zum Tod. "Es ist nicht selbstverständlich, dass ich dieses Tier habe töten dürfen", sagt er. "Denn natürlich will jedes Lebewesen leben – und diesem Leben sollte man mit Respekt begegnen."

Das Tier bekomme, so ist es Brauch unter Jägern, einen "letzten Bissen" – einen kleinen Zweig, den man ihm in den Äser, das Maul, steckt. Es bringe aber nichts, zu beschönigen oder zu verheimlichen, was hier geschehe, sagt Lukas. "Ja, es wird getötet. Und es berührt mich jedes Mal. Wenn es mich nicht mehr berührt, dass ich ein Lebewesen getötet habe, wäre es an der Zeit, zu hinterfragen, wie ich so abstumpfen konnte." Dass das nicht alle Jagenden so sehen, ist Lukas bewusst.

Ein Jäger im Wald

Lukas bei seiner Tätigkeit als Jäger im Wald

Er stoppt das Auto kurz in einer Kurve und deutet auf eine Stelle im Wald. Da sei er einmal mit ein paar Freunden auf der Jagd gewesen, als ihm mehrere Jagdgegner vors Gewehr liefen. "Sie haben alle Warnschilder ignoriert und sind einfach reinspaziert", erzählt Lukas und schüttelt den Kopf. Vermummt seien sie gewesen. Er habe versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, aber dafür habe es keine Bereitschaft gegeben. Schweigend hätten sie ihn dabei gefilmt, wie er versucht habe, sie aus der Gefahrenzone zu bringen. Man merkt noch beim Erzählen, wie sehr Lukas das aufregt: "Was soll man machen, wenn es einfach kein Interesse an einer Diskussion gibt?" Als er wieder losfährt, drehen die Reifen seines Wagens auf dem Eis durch.

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"Bei uns muss jeder unbedingt billiges Fleisch haben"

Lukas kennt die Argumente gegen die Jagd: wehrlose Tiere zu töten "aus Spaß an der Freude", den Waffenfetisch, die toxische Männlichkeit. Aber er will die Vorwürfe nicht für alle gelten lassen. Das Fleisch der erlegten Tiere isst er selbst oder gibt es Freunden. Das ist für ihn auch ein Statement gegen die Konsumgesellschaft, in der jeder und jede unbedingt billiges Fleisch haben müsse. Lukas geht jagen und hält ein paar Freilandschweine auf der Alm, erzählt er. "Aber auch ohne wäre es für mich undenkbar, im Supermarkt Fleisch zu kaufen." Wenn, dann kaufe er direkt beim Bauern, und dem blieben im gegenwärtigen Zuchtsystem vielleicht ein paar Euro pro Schwein übrig.

Ein Jahr lang hat Lukas auch mal vegetarisch gelebt, einfach weil er wissen wollte, wie das ist, wofür die Jagdgegner so vehement eintreten. In der Zwischenzeit jagte er weiter, ein bisschen sei ihm dadurch aber der Sinn und die Freude am Jagen verloren gegangen. Das Fleisch habe ihm zwar gefehlt, er könne aber auch gut ohne leben: "Die Welt dreht sich trotzdem weiter, auch wenn man kein Fleisch isst. Nur wäre es mir zu dogmatisch, Fleisch ganz zu verteufeln. Da gibt es Grautöne."

Lukas verlässt die asphaltierte Straße und biegt auf einen holprigen Schotterweg ab. Hier ziehen die Reifen des Wagens die ersten Spuren in den Schnee. Zehn Minuten später öffnet Lukas die Tür zu seiner kleinen Jagdhütte: ein Tisch, ein Bett, ein Ofen. Im Sommer schläft er oft hier, häufig mit Freunden, dann sitzen sie bis lange in die Nacht am Tisch. Manchmal mit Alkohol, oft aber auch ohne. Über Freunde ist er auch zur Jagd gekommen, erzählt Lukas, da war er etwa 20. Davor war er lieber mit dem Skateboard unterwegs als mit dem Gewehr. In vielen Gegenden in Österreich gehört die Jagd zur Tradition, oft jagt die ganze Familie – zumindest die Männer.

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Ein Jäger im Wald

Lukas ist einer von 130.000 Jägern in Österreich

Rund 130.000 Menschen jagen in Österreich, nur jede Zehnte ist weiblich, auch wenn heute jede fünfte Jagdprüfung von einer Frau abgelegt wird. Auf die Frage nach patriarchalischen Strukturen in der Szene zögert Lukas. Ob Frauen wirklich anerkannt werden, sei eine Generationenfrage, meint er: "Die Frau ist bei heute 70- oder 80-Jährigen ein Leben lang nur die Hausfrau und Mutter gewesen. Die tun sich da nicht leicht. Aber bei den Leuten in meinem Alter würde niemand sagen: Was macht die Frau da bei der Jagd?" Für viele seiner Kommilitoninnen gehöre der Jagdschein einfach dazu, Forstwirte sind meist auch Jäger.

Der Jagdschein liefert so etwas wie Status, ist die Voraussetzung, um dazuzugehören. Allerdings, sagt Lukas sei Jagen auch "ein Knochenjob". "Einen hundert Kilo schweren Hirsch in einem steilen Graben zu schießen und dann ins Tal zu bringen ist beinharte Arbeit."

"Das Wichtigste an der Trophäe ist die persönliche Geschichte dahinter"

In Lukas´ Hütte hängen viele Trophäen an der Wand. Aber keine Riesengeweihe, die man vielleicht aus dem Fernsehen oder aus dem Möbelhaus kennt. Es gehe für ihn beim Jagen nie um die Trophäe, sagt Lukas. "Die ist für mich nichts anderes als eine Erinnerung an eine persönliche Geschichte", sagt er und zeigt auf ein Geweih. "Den Bock da habe ich zum Beispiel mit meiner Ex-Freundin geschossen, den hier mit einem Freund bei minus zehn Grad und völlig durchnässt. Diese Geschichten machen einen Schuss aus."

Ein Jäger mit einem toten Tier

Lukas mit dem Pelz eines Fuchses, das er auf einer Jagd getötet hat

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Auf Jagdsafari nach Afrika fahren, um dort Wildtiere zu schießen, würde er nicht, sagt Lukas: "Da fehlt für mich völlig der Bezug zum Lebensraum. Die Verbindung eines Rehs mit dem Wald, in dem ich jeden Tag herum gehe – das passt für mich zusammen." Kritisiert werden auch immer wieder Jagden, bei denen Fasane in Volieren gezüchtet und dann kurz vor dem Abschusstermin freigelassen werden. Auch bei so etwas würde er nie mitmachen, sagt Lukas: "Das ist bei den meisten Jägern ein absolutes No-Go. Für mich ist das auch pervers. Ich gehe ja auch nicht in den Wald und erschieße dort mit dem Gewehr 200 Schweine."

"Das Gewehr ist mein Werkzeug"

Es sind Rehgeißen, auf die Lukas heute aus ist. Bis Ende Dezember dürfen sie in der Steiermark noch geschossen werden. Dann herrscht Schonzeit bis Mai. Lukas holt das Gewehr aus der Tasche. Die von der Kälte klammen Finger greifen den hölzernen Schaft. Kunststoff, wie er immer beliebter wird, komme für ihn nicht in Frage. Aus ästhetischen Gründen.

Lukas’ Beziehung zu seiner Waffe ist eher pragmatisch: "Wenn ich einen Baum fällen will, brauche ich eine Säge, wenn ich ein Tier schießen will, brauche ich ein Gewehr." Das Schießen selbst habe für ihn keine Bedeutung. Auf Schießplätze gehe er nur, um zu testen, ob die Kugel auch noch dort einschlägt, wo sie einschlagen soll. "Aber dort sieht man schon immer wieder Leute, in deren Nähe ich mich wirklich nicht wohl fühle. Die stehen da mit Militärwaffen und schießen den ganzen Tag – ist vielleicht ein schönes Hobby, aber nichts für mich."

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Über eine Million registrierte Schusswaffen gibt es in Österreich, Anfang 2018 waren etwas mehr als 300.000 Menschen als Waffenbesitzerinnen oder -besitzer gemeldet. Auch Lukas hat einige Gewehre für verschiedene Tierarten, aber die seien für ihn nicht mehr als Werkzeuge.

Kurz bevor er aufbricht, klingelt noch einmal Lukas’ Smartphone. The Who hallen durch den kalten Raum mit den hölzernen Wänden. Lukas drückt den Anruf weg und schaltet sein Telefon auf lautlos. Fürs Jagen nimmt er sich Zeit, das ist ihm wichtig. Ein gestresster Manager fahre vielleicht am Wochenende für ein paar Stunden aufs Land, der will genau dann etwas zum Schießen haben und trägt dafür diverse Hilfsmittel in den Wald wie Nachtsichtgeräte oder Zielfernrohre mit absurder Vergrößerung. Auch das ist für Lukas keine richtige Jagd, ihm nehme das zu viel vom Reiz.

Wenn es gut geht, mache er bei jedem vierten Mal einen Schuss, erklärt er, als er an einem gefrorenen Teich und einem verlassenen Haus vorbei über die Alm stapft. Realistischer sei jedoch jedes sechste, vielleicht sogar jedes zehnte Mal. "Wenn ein Reh 300 Meter weg steht, dann muss ich halt auf 100 Meter dran. Und wenn es dunkel ist, dann ist es einfach dunkel. Jagd hat sehr viel mit Handwerk zu tun, das kann man nicht mit Technik ersetzen."

Das Gute für Lukas: Er muss nicht jagen, er will es. Er ist kein Berufsjäger, der 100 Stück pro Jahr liefern muss. Wenn es ihm keinen Spaß mehr macht, geht er einfach nach Hause.

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Am Hochsitz am Waldrand geht Lukas vorbei. Der ist noch nicht ganz fertig gebaut, ein paar Holzplanken liegen herum, müssen festgenagelt werden. Aber Lukas ist ohnehin lieber auf der Pirsch, geht auf Forstwegen durch das Holz und versucht dem Wild dort zu begegnen, wo es ihm unterkommt. So sieht, riecht, spürt er auch mehr von dem Wald, seinem Wald, den er einmal so weitergeben will, wie er ihn von seiner Mutter bekommen hat. Den trockenen Schnee, das klebrige Harz, das matte Licht der Sonne zwischen den Wipfeln – all das saugt er auf der Jagd geradezu in sich auf.

Ein Jagdgewehr

Das Jagdgewehr von Lukas

"Wenn ich sehe, dass in meinem Wald nach langer Zeit wieder eine Tanne wächst, dann merke ich schon, da läuft etwas richtig", sagt Lukas. "Ich will, dass meine Kinder hier auch einmal einen Baum umschneiden und Geld damit verdienen dürfen, wie ich." Eine Tanne, die er heute pflanzt, ist erst in 120 Jahren so weit, gefällt zu werden. Vor allem in den ersten Jahren muss er sie vor den Rehen schützen, sagt Lukas, und zeigt auf abgebissene Triebe. Hier ist erst vor Kurzem ein Reh vorbeigekommen, im Schnee sieht man noch die Spuren.

Dann wird Lukas leise. Nichts ist mehr zu hören außer der Wind, der durch die Zweige weht. Der Schnee schluckt alle Geräusche. Dann, er ist schon über eine Stunde unterwegs, hält Lukas plötzlich inne. Hundert Meter entfernt steht ein Reh zwischen zwei Fichten, es kaut an einem der kleinen Bäumchen, die Lukas erst vor Kurzem gepflanzt hat. Langsam nimmt er das Gewehr von der Schulter und legt sich auf den Boden.

Er zielt, stützt den Lauf der Waffe am Rucksack ab. Seinen Atem wird schneller, in der kalten Winterluft gefriert er sofort: Weiße Wolken wehen vor das Fadenkreuz. Das Gewehr bleibt ruhig, jeden Moment kann der Schuss durch die Luft peitschen, das Reh zu Boden fallen. Aber da raschelt es im Wald, hinter einem Strauch kommt ein Kitz hervor und stakst auf seine Mutter zu. Sofort senkt Lukas das Gewehr. Lächelnd schaut er den beiden Tieren zu, bis sie verschwinden. Heute wird er nichts mehr schießen. Aber darum geht es ihm auch nicht. Nicht nur. Worum es ihm geht, ist der Wald, sind die Tiere, ist die Geschichte.

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