Ich wurde von einem MMA-Star beim 'Street Fighter' verprügelt
Bild: Christian Alt

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Ich wurde von einem MMA-Star beim 'Street Fighter' verprügelt

Auf der Suche nach ultimativen Kampftipps für Street Fighter 2 habe ich jemanden gefragt, der es wissen muss: einen professionellen MMA-Kämpfer. Der zeigt mir schon bei der Charakterwahl, dass er Ahnung von einer gepflegten Konsolenprügelei hat.

In der Schule hab ich nie wirklich auf die Fresse bekommen. Ok, einmal wollte mich eine Gruppe fünfzehnjähriger Moped-Fahrer aus einem Dönerladen zerren, weil ich ihren Anführer beleidigt habe – aber sonst war es, dort wo ich aufwuchs, sehr friedlich.

Mein Schlachtfeld war nicht der Schulhof, sondern das Battle.Net, Konsolen und PCs mit gecracktem Windows XP. Ich hab mich durch Horden von Orks geschnetzelt, habe tausende Headshots in Call of Duty verpasst, habe hunderte Einsatzpunkte in Battlefield eingenommen und Minesweeper konnte ich mit verbundenen Augen spielen. Aber in einem Spiel war ich so richtig schwach: Street Fighter 2.

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"Ich hab mich so gefreut, als du mich gefragt hast, ob wir 'Street Fighter' spielen wollen."

Während andere wie Konzertpianisten ihre Finger übers Pad gleiten lassen und eine präzise Attacke nach der anderen landen, drücke ich wie ein Affe auf dem Pad rum, bis was passiert. Das kann ich nicht so auf mir sitzen lassen. Ich brauche Hilfe.

Mein Coach: Andreas "Big Daddy" Kraniotakes, deutscher MMA-Star. Andreas ist deutscher MMA-Meister im Schwergewicht, kämpft seit 14 Jahren und hat wahrscheinlich schon mehr Leuten die Fresse poliert, als eine Mopedfahrer-Gang Mitglieder hat. Wenn er im Ring steht, dann sehen seine Gegner ganz schön alt aus.

Ausschnitte aus den Kämpfen von Andreas. Gif aus Material von YouTube

Warum ich mir ausgerechnet einen MMA-Kämpfer suche? Das ist die Sportart, die Street Fighter am meisten ähnelt. Regeln gibt es kaum. Bodenkampf ist erlaubt, Treten ist erlaubt, Boxen ist erlaubt, nur die ganz unfairen Moves darf man hier nicht bringen. Street Fighter bringt genau wie MMA Kämpfer aus der ganzen Welt zusammen, die ihren eigenen Stil kämpfen. Die Frage, die hinter MMA steht, ist die, die wir uns alle auf dem Schulhof gestellt haben: Welcher Kampfstil ist der beste? Wer würde gewinnen: Bruce Lee oder Jean-Claude van Damme? Dolph Lundgren oder Chuck Norris? Karate Kid oder Universal Soldier?

MMA soll darauf endlich eine Antwort liefern.

Die Charakterwahl: Als Hass-Gegner zum Sieg

Schon beim Auswählen der Kämpfer fällt auf, dass Andreas nicht nur Ahnung von MMA hat – er ist auch ein Profi im Street Fighter. "Ich hab mich so gefreut, als du mich gefragt hast, ob wir Street Fighter spielen wollen. Ich hab früher sehr sehr viel auf dem Super Nintendo gezockt." Er erklärt mir erstmal, welcher Charakter welchen Stil fährt. Ryu und Ken sind zum Beispiel klassische Karateka (mit der Ausnahme vom Super-Move Hadouken natürlich). Balrog ist ein Boxer. Dhalsims Stil kommt vom Yoga und Chun-Li macht mehr oder weniger Kung-Fu.

Ich entscheide mich in der ersten Runde für Blanka, das ist dieses grüne brasilianische Monster, das mit einem Blitzschlag den Gegen zu Boden schocken kann. "Blanka ist so ein Abfucker, das war immer mein Hass-Gegner früher. Dieser Blitzschlag!" Perfekt! Mein Plan: Ich werde auf Andreas so lange mit Blitzattacken einschlagen, bis er am Boden liegt.

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Überhaupt ist es wichtig – sowohl im MMA als auch im Street Fighter – die Vor- und Nachteile der einzelnen Stile gegeneinander abzuwägen. "Es gibt beim MMA auch nicht diesen einen Supermove, der alles weghaut. Man muss wissen, was der kann, um selbst zu reagieren." Das heißt konkret: Andreas sollte jetzt besser nicht Chun-Li wählen. Denn die hat keine Fernattacke und ist meinen Blitzen hoffnungslos ausgeliefert. Stattdessen wählt er Zangief. Und das nicht nur, weil Zangief ein bisschen so aussieht wie er. "Der hat einen ganz ähnlichen Kampfstil wie ich. Der ist langsam, versucht seine Gegner müde zu machen und dann zuzuschlagen."

So langsam werde ich nervös.

Die erste Runde: Echte Gewinner agieren statt zu reagieren

Es läuft schlecht. So richtig richtig schlecht. Andreas fliegt über das Pad, landet Suplex nach Suplex, rammt mir Knie in den Bauch und schließt mit einem Spinning Piledriver ab. Fuck. Nach noch nicht mal 10 Sekunden liegt Blanka am Boden.

Bild: Streetfighter; Capcom

"Du darfst nicht so viel reagieren", meint Andreas. "Beim MMA ist es auch so: Wer den Kampf führt, der gewinnt auch. Wenn du in Street Fighter blockst, also nach hinten drückst, dann kannst du nicht angreifen. Wenn du nur damit beschäftigt bist, dich zu verteidigen, dann kommst du auch nicht wirklich raus aus dem Loch."

Andreas weiß wovon er spricht. Seit er klein ist, macht er Judo. Eine perfekte Grundlage für MMA, weil es auch beim Judo um Vollkontakt geht. Aber mit Anfang 20 verliert Judo seinen Reiz. Andreas' Problem: die Judomäntel, genannt Judogi. "Jeder Move beim Judo basiert darauf, dass du deinen Gegner am Kragen packst. Ich hab mich dann irgendwann gefragt: 'Was ist denn, wenn mein Gegner gar keinen Mantel anhat?'"

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"Kämpfen bringt dir eine Sache bei: Disziplin zahlt sich aus, egal ob im Ring oder im Büro."

Irgendwann erzählte ihm ein Freund von einem Sport ohne Mantel: MMA. "Dann hab' ich einen Strauß Rosen gekauft, bin zu meiner Mama und hab' gesagt: Ich würde gern bei diesem Turnier mitmachen. Wenn ich gewinne, dann hör' ich auch wieder auf, versprochen." Natürlich hat Andreas gewonnen. Und natürlich hat er nicht aufgehört. "MMA hat mir eine ganz neue Art von Lebendigkeit gebracht. Eine Intensität, die ich so vorher nie gespürt hab."

Das war vor 14 Jahren. Als Entschädigung bekommt seine Mama noch einen Strauß Rosen.

Das Mindset MMA: Was tun, wenn man in die Ecke gedrängt wird?

Andreas macht mich nicht nur in der ersten Runde fertig. Er gewinnt Runde für Runde, Spiel für Spiel. Und zwar nicht nur mit Zangief. Auch Balrog, Guile, Dhalsim und sogar der Weirdo M. Bison geben mir auf's Maul. Ich brauche eine andere Strategie – und zwar schnell.

Ich frage Andreas, ob es irgendwelche psychologischen Tricks gibt. Denn: Die Moped-Gang damals bin ich auch nicht mit einem Uppercut losgeworden, sondern mit dem, was ich am besten kann: labern. "Kämpfen hat mehr mit Psychologie zu tun als man denkt. Gerade für dich ist das wichtig. Du stehst jetzt da hinten in der Ecke und kriegst nichts mehr hin. Beim Kämpfen kommt es darauf an, auch dann noch an das Gewinnen zu glauben, wenn man zehn Runden verloren hat."

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Ok, Gewinner-Mindset. Das klingt ein bisschen nach FDP, aber Wurscht. Ich muss das jetzt wuppen. Mit Dhalsim springe ich über meinen Gegner und versuche, von hinten Treffer zu landen. Aber Andreas dreht sich immer im richtigen Moment um und zimmert mir eine rein. Kein Suplex, kein Body Check, kein Ellbogen-Move landet da, wo er soll.

Psychologische Kriegsführung: Warum Höflichkeit beim Siegen helfen kann

Es wird Zeit für Plan B: Ich hole meine Geheimwaffe raus, es gibt jetzt Hadouken Reporter-Style: Ich stelle so viele Fragen, wie ich kann. Und für einen Moment scheint das zu funktionieren: "Was ich beim Kämpfen über mich gelernt hab? Ähm… Fleißig sein, weil wenn du nicht fleißig bist…ähm… ich muss mich mal kurz auf dich hier konzentrieren."

Ha! Ich nutze den kurzen Moment der Schwäche und… scheitere kolossal. Ich bin und bleibe einfach ein Körperklaus, der noch nicht mal die einfachsten Moves drauf hat. Andreas stört das nicht. Während ich mir einen auf dem Pad abwürge, erzählt er mir, dass Kämpfen sich nicht nur für den Ring lohnt. "Kämpfen bringt dir eine Sache bei: Wenn du Arbeit in ein Projekt steckst, dann wirst du dafür belohnt. Disziplin zahlt sich aus, egal ob im Ring oder im Büro."

Ich merke, ich bin schlecht vorbereitet. Disziplin, Fleiß, das bringt jetzt alles nichts mehr. Ich brauche dirty Tricks. Gibt es psychologische Tricks, die er benutzt? "Ich persönlich bin vor Kämpfen immer total freundlich. Ich lächle, halte dem Gegner die Tür auf, so dass der sich fragt: 'Will der überhaupt gegen mich kämpfen?' Ich bin da ein bisschen Old School. Der Gegner ist für mich nur eine Leinwand, die es mir erlaubt, mein Können zu zeigen."

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Wäre ich eine Leinwand, ich wäre grün, blau und blutrot.

Der letzte Triumph

Auch die nächsten Runden bekomme ich nur auf die Fresse. Ich frage Andreas, was er jetzt an meiner Stelle machen würde. "Ich würde mich fragen, ob ich im Training alles richtig gemacht hab'. Denn wenn ich das ausschließen kann, dann muss der Fehler im Kopf sein. Dann hole ich mir einen Mental Coach."

Ich hole noch mal alles aus mir raus und wähle Chun-Li. Und plötzlich läuft alles wie am Schnürchen. Es hagelt Rending Kicks, dann ein Ascension Kick und dann noch ein Spinning Bird Kick. Andreas liegt am Boden. Ich habe gewonnen! Zwar nur eine Runde von gefühlt 50, aber egal: Ich habe gewonnen und Andreas ist ein kleines bisschen beeindruckt. Ganz bestimmt.

"Solche Spinning Kicks galten beim MMA lange Zeit als ineffizient. Aber erst in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass man damit doch Kämpfe gewinnen kann und sogar KOs schafft."

Den Pokal hole ich an diesem Tag nicht mehr. Aber: Ich habe mir selbst bewiesen, dass in mir ein kleiner Kämpfer steckt – Chun-Li sei Dank. Andreas hat solche Situationen in seiner Karriere schon oft gesehen. "Ich würde noch nicht einmal zehn Euro auf einen Kampf wetten. Du weißt beim MMA nie, wer gewinnt. Stell dir einfach vor, du hättest deine mündliche Abiturprüfung. Aber halbnackt und du müsstest um deine körperliche Unversehrtheit bangen. Ach ja, 15.000 Leute schauen auch noch zu. So ist MMA. "

Und Street Fighter auch.