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Bekenntnisse eines Organisators illegaler Pokerspiele

Mit 22 Jahren veranstaltete Gregor Pokerrunden im Hinterzimmer einer Kneipe - und verdiente damit rund 40 Euro die Stunde. Bis ihn das Milieu emotional ausbrannte.
Foto: Jan Auer

"Bevor ich selbst veranstaltet habe, ist mal ein Typ bei einer Runde völlig ausgerastet. Er ist aufgestanden, hat den Pokertisch mitsamt Spielchips umgeschmissen und lauthals rumgebrüllt. Das fand sein Gegenüber so scheiße, dass er aus dem Nichts eine Machete zog. Keine Ahnung, wo die auf einmal herkam. Passiert ist aber nichts. Es wird viel gebellt, aber wenig gebissen."

Was nach einer Szene aus einem Klischeefilm klingt, ist tatsächlich unserem Interviewpartner Gregor* im Hinterzimmer einer Kneipe beim Pokern passiert. Weil der Staat das berühmte Glücksspielmonopol innehat und seinen Teil vom Kuchen abhaben will, finden im zwielichtigen Rahmen illegale Pokerspiele statt. Die Veranstalter dieser Spiele können die sogenannten Rakes, die Gebühren der Spieler, selber einstreichen. Bei diesen Games tummelt sich allerhand Volk: Pokerprofis, Spielsüchtige, Arbeitslose, Studenten, Kleinkriminelle …

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Einer der Organisatoren war der damals 22-jährige Gregor. Neben seinem Studium verdiente er mit Cashgames gutes Geld, bis es ihm irgendwann zu viel wurde.

VICE Sports: Illegale Pokerrunden zu veranstalten, ist nichts, was allzu viele Menschen in ihre Biografie schreiben können. Wie bist du dazu gekommen?
Gregor: Ich war schon zwei Jahre in der Pokerszene unterwegs, habe selbst in Untergrund-Partien gespielt. Aber ich war zu schlecht, um damit verlässlich Geld zu verdienen. Im Studium war ich auch noch nicht weit, also hab ich mit einem Partner angefangen, Spiele zu veranstalten, um endlich mein eigenes Ding zu machen. Wir kannten genug Spieler und wussten, wie wir ein gutes und faires Game aufziehen. Hauptsächlich ging es damals aber ums Geld.

Wie lief ein normaler Abend ab?
Meistens ging es um 20 Uhr los. Gespielt wurde, bis die Kunden keine Lust mehr hatten. Das ging häufig so bis 4, aber auch mal bis 10 Uhr vormittags. Manch einer kam erst um 5 Uhr morgens dazu, andere sind erst gegangen, wenn sie zum fünften Mal eingepennt sind und wir sie wecken mussten, weil sie dran waren. Viele blieben, bis sie pleite waren und ihnen keiner mehr Geld leihen wollte.

Um was für Beträge ging es da?
Wir haben Cashgame gespielt. Die Blinds (der Mindesteinsatz für die ersten beiden Spieler pro Runde; Anm. d. Red.) lagen bei 1 und 2 Euro, Minimum Buy-In 50 Euro. Nach oben gab es kein Limit. Es ging immer verhalten los, am Ende lagen da aber schon so 3.000 Euro und mehr auf dem Tisch. Wenn die Kunden höher spielen wollten, wurde auch mal 2 Euro/5 Euro oder sogar selten 5 Euro/10 Euro Blinds gespielt, da ging's dann richtig ab. Die richtige Mischung aus furchtlosen Spielern und Leuten mit tiefen Taschen ergab regelmäßig Pötte, in denen über 1.000 Euro den Besitzer wechselten. Für Außenstehende klingt das verrückt, aber wer einen Abend lang 'ne Glückssträhne hatte, der konnte sich am nächsten Morgen ein gebrauchtes Cabrio kaufen. Am Ende waren es aber immer dieselben paar Leute, die die fetten Scheine mit nach Hause genommen haben. Auch, weil die meisten Zocker noch so viel gewinnen können, gegangen sind sie erst, wenn alles wieder weg war. Die hätten das Geld genauso gut anzünden können. Glück schadet zwar nicht, aber Poker ist und bleibt ein Skillgame. Wer besser spielt, der gewinnt.

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Da ging es ja hoch her…
Auf jeden Fall. Gerade bei Arbeitslosen oder Geringverdienern fragt man sich dann schon, wo die jetzt schon wieder die Kohle herhaben. Hin und wieder kriegt man auch kriminelle Scheiße mit. Einmal kam ein Typ rein und wollte gefälschte Fünfhunderter für 250 Euro pro Schein verticken. Die sahen auch echt gut aus, aber sowas mache ich nicht. Andere wohl schon…


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Was für Spieler kamen denn zu deinen Runden?
Wichtigste Basis waren verlässliche Leute, die sich überhaupt nur in diesem Milieu bewegen konnten, weil sie sich meiner Professionalität bewusst waren: Das waren Pokerprofis, Topverdiener, Studenten und generell Menschen mit Gehirn. Die brauchten Gegner, an denen sie verdienen konnten, also hab ich zusätzlich Automatenzocker, Idioten, Säufer und Kleinkriminelle rekrutiert. Die einen nahmen die anderen aus und ich profitierte davon, dass ständig neues Geld auf den Tisch kam.

Gab es auch mal Spieler, die sich scheiße verhalten oder Stress gemacht haben?
Ich war für alle eine Autoritätsperson, also gab es nie wirklich Probleme. Vor allem ein Typ hatte eine echt große Fresse, der hat dann irgendwann mal nach Spielende von einem anderen Kunden vor der Tür Prügel bekommen. Aber das passiert eben, wenn du solche Persönlichkeiten da hast, die rasten halt manchmal aus. Das hatte wirklich nichts mit dem Spiel zu tun und wäre auch passiert, wenn die sich im Heidepark getroffen hätten.

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Wo wir schon bei Stress sind: Was passiert, wenn die Polizei kommt?
Das ist bei mir zum Glück nie passiert. Ein Typ, der ein paar Straßen weiter ein Spiel organisiert hat, bekam nach Spielende mal Besuch von der Polizei. Im Verhör hat er aber dichtgehalten und nur ein paar falsche Vornamen von angeblichen Beteiligten genannt. Soweit ich weiß, ist das dann fallengelassen worden. Aber man sollte schon vorsichtig sein und nicht gerade Flyer auf der Straße verteilen.

Wie viel hast du so verdient? Was waren deine Einnahmen und Ausgaben?
Das Kneipenhinterzimmer hat erst 25 Euro, später 50 Euro pro Abend gekostet. Dazu rund 20 Euro für Zigaretten und 80 Euro für Essen, insgesamt also 150 Euro. Um Geld zu sparen, haben wir selbst Karten gedealt. Im Spiel haben wir 5 Prozent von jedem Pot genommen bis maximal 10 Euro, da kamen 70 bis 110 Euro pro Stunde zusammen. Nach einem siebenstündigen Game kamen mein Partner und ich auf jeweils etwa 300 Euro Gewinn. Über 40 Euro die Stunde, netto.

Das "Executive-Game" der Sopranos in einem Hotelzimmer:

Wie hat sich das Veranstalten auf dein Privatleben ausgeübt?
Am Wochenende haben wir jeden Tag Games laufen lassen, da gab es kein Privatleben. Die restliche Zeit habe ich rumgelungert. Ich hab veranstaltet, wann es möglich war und den Rest der Zeit hab ich als Freizeit genutzt. Ich hab aber nicht wirklich was Produktives gemacht. Priorität hatte immer das Veranstalten.

Hast du deshalb aufgehört?
Auch. Ich hab nach zwei Wochen gemerkt, dass es zwar gutes Geld ist, aber es fing an mich anzuwidern, jeden Tag in diesem Milieu abzuhängen und selbst ein Teil davon zu werden. Dazu war mein Partner verantwortungslos und ständig vollgekokst oder im Puff, während ich alleine das Spiel schmeißen musste. Das ging alles an die emotionale Substanz. Nach drei Monaten war Schluss, ich wollte diesen Laden nicht mehr betreten.

Wie denkst du über die Zeit nach?
Erstmal: Ich halte das nicht für illegal, was ich gemacht habe. Das ist vom Gesetz so definiert, aber ich stimme dem Gesetz nicht zu. Darüber hinaus war die Zeit eine Lektion für mich, dass man Geschäfte nur mit vertrauenswürdigen Menschen machen sollte. Mittlerweile habe ich gelernt, dass Geld nicht alles ist. 40 Euro pro Stunde sind es mir nicht wert, in fünf Jahren selbst in das Milieu abzustürzen, aus dem viele Spieler kamen.

Was machst du heute?
Ich war vor Kurzem in einer ziemlich engen finanziellen Situation. Ich hatte erdrückende Schulden und hab mir Sorgen gemacht, was ich am nächsten Tag essen soll. Zurück zum Veranstalten bin ich trotzdem nicht. Mittlerweile ist aber alles OK. Mein Studium habe ich abgebrochen, ich verdiene als Online-Pokerspieler mein Geld. Später möchte ich ein Geschäft aufmachen. Was für eins verrate ich hier lieber nicht, sonst erkennt mich vielleicht jemand wieder.

*Name von der Redaktion geändert.