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Das teuerste Experiment Deutschland ist gerade in Hamburg gestartet

In einer 1,2 Milliarden Euro teuren Röhre schlummert der wohl wichtigste Laser des Landes. Die Anlage erlaubt der Wissenschaft ganz neue Einblicke.
So sah der XFEL 2013 aus | Bild: Simon BierwaldFlickr | Lizenz: CC BY 2.0

Am heutigen Freitag beginnt im Norden Hamburgs ein lang ersehntes Experiment: Der European XFEL, der stärkste Röntgenlaser der Welt, nimmt nach achtjähriger Bauzeit am 1. September seinen Betrieb auf. Unter der Erde, zwischen Hamburg-Bahrenfeld und dem Schleswig-Holsteinischen Schenefeld, erstreckt sich über 3,4 Kilometer dieses Wunder der Technik. Die Baukosten für die Apparatur betragen 1,2 Milliarden Euro. Doch was steckt hinter diesem enormen Betrag und wozu wird die Anlage dienen, deren technische Möglichkeiten wie Science-Fiction klingen?

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Wer hat so viel Geld in diese Anlage gesteckt?

Insgesamt elf Staaten haben zusammen Geld in die Hand genommen, um den XFEL zu bauen. Am meisten investiert hat Deutschland und 58 Prozent des Geldes beigetragen. Dahinter folgt als zweitgrößter Geldgeber Russland mit 27 Prozent. Die übrigen Länder haben jeweils ein bis drei Prozent der Kosten getragen.

Mit seinen Baukosten ist der European XFEL das teuerste Forschungsprojekt Deutschlands – und schnappt sich diesen Titel damit mit einem Abstand von 0,2 Milliarden Euro vom Greifswalder Fusionsreaktor Wendelstein 7-X, der 19 Jahre lang gebaut wurde. Lange wird sich der Röntgenstrahler aber nicht auf dem Thron behaupten können. Der Teilchenbeschleuniger FAIR in der Nähe von Darmstadt wird 1,3 Milliarden Euro kosten und soll 2025 in Betrieb gehen.

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Wie funktioniert der Röntgenlaser?

Die Funktionsweise lässt sich grob in drei Schritte gliedern. Zuerst einmal löst ein Laser Elektronen aus einer Metallplatte. Die werden von einer elektromagnetischen Welle erfasst und beschleunigen in einem fast zwei Kilometer langen sogenannten Linearbeschleuniger fast auf Lichtgeschwindigkeit. Auf diesem Weg sammeln sie immer mehr Energie. Das besondere dabei: Der Beschleuniger besteht aus dem seltenen Material Niob, das bei -271 Grad Celsius seinen Widerstand verliert und supraleitend wird. Daher wird der Beschleuniger exakt auf -271 heruntergekühlt.


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Im zweiten Schritt werden dann die Elektronen durch Magnete zum Slalom gezwungen. Der Slalomkurs sorgt dafür, dass die Elektronen Lichtblitze abstrahlen. Im dritten und letzten Schritt wird es dann für die Forscher spannend, die am XFEL ihre Experiment durchführen: Denn jetzt treffen die Lichtblitze auf die diversen Apparaturen am Ende des XFEL. Dort können Wissenschaftler ihre Experimente durchführen. So gibt es unter anderem Geräte, mit denen Materie in extremen Zuständen und Strukturen von Teilchen untersucht werden kann.

Elektromagnetische Felder beschleunigen die Elektronen in supraleitenden Resonatoren aus Niob Bild und Text: DESY

Die ultrakurzen und ultrahellen Röntgenlaserbiltze am European XFEL ermöglichen die Untersuchung von ultraschnellen Prozessen, zum Beispiel in der Chemie. Mit dem Röntgenlaserstrahl synchronisierte optische Laser (rot) setzen den Prozess in Gang und aktivieren die Probe, hier in einer Flüssigkeit gelöst dargestellt. Die Untersuchung mit dem Röntgenlaserstrahl (blau) erfolgt direkt darauf, das gestreute Röntgenlicht wird im Detektor aufgenommen (rechts). Aufeinanderfolgende Pulse nehmen verschiedene Phasen der chemischen Reaktion auf. Die Bilder können anschließend zu einem Zeitlupen-Molekülfilm zusammengesetzt werden. Bild und Text: DESY

Was ist so besonders an dem XFEL?

Er ist viel leistungsstärker als jeder aktuelle Röntgenlaser der Welt. Der bisher stärkste Röntgenlaser, der LCLS im kalifornischen Stanford, erzeugt nur 120 Lichtblitze pro Sekunde – beim XFEl sollen es bis zu 27.000 Lichtblitze in der Sekunde werden. Das hilft, um sehr schnelle Prozesse wie chemische Reaktionen besser aufnehmen zu können.

Pressebild: DESY

Pressebild: DESY

Das FXE-Instrument erlaubt die Untersuchung von ultraschnellen Prozessen wie beispielsweise die Entstehung von Zwischenprodukten bei chemischen Reaktionen. Mit den ultrakurzen Lichtblitzen erzeugt das Instrument dicht aufeinanderfolgende Bilder der reagierenden Moleküle, die sich zu einem Molekülfilm eines zuvor unbekannten zusammensetzen lassen. FXE ist eines von zwei Instrumenten, die ab Herbst den Nutzern zur Verfügung stehen. Bild und Text: DESY

Und was erhofft man sich davon?

In erster Linie könnte der XFEL wichtige Fragen der Grundlagenforschung klären. Fragen, die bisher nicht so präzise erforschbar waren. So soll es mit dem Super-Röntgenstrahler zum Beispiel möglich sein, den genauen Ablauf chemischer Reaktionen mit einem speziellen Detektor genau aufzunehmen. Der soll im Bruchteil einer Sekunde tausende von Bildern machen.

Durch die extrem kurzen und starken Lichtblitze des Röntgenstrahlers können die Bewegungen von Teilchen während chemischen Reaktionen abgelichtet werden. Die vielen Einzelaufnahmen werden dann zu einem Film zusammengesetzt. So wird der XFEL zu einer Art Daumenkino, das extrem detaillierte Einblicke in chemische Prozesse liefert.

Was für einen Nutzen hat der XFEL für die Wissenschaft?

Der neue Röntgenlaser erlaubt es, chemische Reaktionen auf atomarer Ebene zu filmen oder sehr detailreiche 3D-Bilder von DNA-Abschnitten und Viren anzufertigen. Das könnte die Forschung in diesem Gebiet beschleunigen, zum Beispiel im Kampf gegen Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson. Zu den Forschern, die schon bald den XFEL nutzen dürfen, gehören der Australier Anton Barty und der Pole Wojciech Gawelda. Barty will Bilder von Biomolekülen machen, Gawelda chemische Reaktionen filmen.