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Umweltverschmutzung

Ein Schweizer Chemiekonzern soll das Trinkwasser eines ganzen Tals verseucht haben

Das giftige 1,4-Dioxan wurde noch 60 Kilometer weiter gefunden, doch Lonza will nicht gegen Gesetze verstossen haben. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders.
Visp im Kanton Wallis | Foto: Lonza Ltd

Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Zürich.

Ob Fliesenreiniger, Plastikgabel oder Kopfschmerztablette – Produkte von Chemiekonzernen hat jeder von uns zu Hause. Aber kaum jemand will die Unternehmen und ihre Fabriken in der Nachbarschaft haben. Die Anklage, die jetzt im Kanton Wallis gegen den Basler Konzern Lonza erhoben wurde, dürfte daran wohl kaum etwas ändern. Die Staatsanwaltschaft Oberwallis wirft der Firma vor, an ihren drei Produktionsstätten in der Gemeinde Visp zwischen 2011 und 2017 grosse Mengen des potenziell krebserregenden Lösungsmittels 1,4-Dioxan in die Umwelt gelassen zu haben, schreibt Blick. Der Konzern selbst hat die Justiz erst auf sich aufmerksam gemacht und sagt jetzt: Das war alles rechtens.

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Laut Staatsanwaltschaft soll die Chemikalie einerseits an den Lonza-Standorten im Boden versickert und so ins Grundwasser gelangt sein, andererseits soll der Konzern den Stoff einfach in sein Abwasser geleitet haben. Da Kläranlagen 1,4-Dioxan nicht herausfiltern können, floss der Stoff auch in den Fluss Rhone. In der Folge mussten mehrere Trinkwasserbrunnen stillgelegt werden – bei Messungen wurde die Chemikalie im Grundwasser der gesamten Rhoneebene mit Werten weit über den zugelassenen Grenzwerten nachgewiesen. Sogar im 60 Kilometer entfernten Fully und im Genfersee konnte das in Deutschland als "Meeresschadstoff" klassifizierte 1,4-Dioxan gemessen werden – im Genfersee allerdings unter den erlaubten Höchstwerten.


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Das farblose und brennbare 1,4-Dioxan zersetzt sich in der Natur nur sehr langsam und wird meist bei der Herstellung von chemischen Produkten eingesetzt. Menschen kommen mit dem Stoff für gewöhnlich nur in Kontakt, wenn sie Kosmetika wie Shampoos benutzen, in denen er in äusserst geringen, ungefährlichen Mengen als Nebenprodukt auftauchen kann. "Lonza verwendet 1,4-Dioxan aufgrund seiner guten Lösungseigenschaften", sagt der Unternehmenssprecher Dominik Werner gegenüber MUNCHIES. Das Lösungsmittel werde bei zwei bis drei Produktionskampagnen pro Jahr eingesetzt. Laut der Webseite der Schweizer stellen sie in Visp unter anderem Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel her. Für die Staatsanwaltschaft scheint klar zu sein: Das kann nur Lonza gewesen sein. Denn der Konzern verwendet als einziger in der Gegend 1,4-Dioxan.

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Lonza will nicht gegen Gesetze verstossen haben

Lonza ist allerdings der Ansicht, dass man "keine strafbaren Verstösse gegen das Gewässerschutzgesetz begangen hat", sagt Werner. Das liegt daran, dass in der Zeit, in der die Verunreinigungen stattgefunden haben sollen, gar kein gesetzlicher Grenzwert für 1,4-Dioxan bestimmt wurde. Das geschah erst 2016, obwohl man lange zuvor bereits wusste, dass das Lösungsmittel nicht gerade gut für unser Ökosystem sein kann. Bei Lonza ist man dennoch der Meinung, dass "die Bevölkerung und die Umwelt zu keinem Zeitpunkt gefährdet" gewesen seien – obwohl viele Messungen die mittlerweile bestehenden Höchstwerte klar überschreiten. Kurioserweise soll Lonza selbst das Gros der Messungen, die zur Anklage führten, durchgeführt und bereits vor sechs Jahren an die Behörden gemeldet haben.

Die zuständigen Richter haben den Prozessbeginn auf Juni dieses Jahres festgelegt. Sollte Lonza verurteilt werden, wären die Schweizer als Wiederholungstäter überführt: Lonza muss sich bis heute mit den Nachwirkungen des von ihm verursachten Quecksilber-Skandals herumplagen. Zwischen 1930 und 1973 pumpte man rund 100 Tonnen Quecksilber in die Umwelt und verseuchte so die Böden und die Luft in und rund um Visp. Erst nach langen Verhandlungen erklärte sich Lonza bereit, die Sanierungskosten zum grössten Teil zu übernehmen.

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