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Drogen

Wer den neuen Rauschgiftbericht des BKA liest, muss Drogen legalisieren

Oder zumindest einsehen, dass die deutsche Drogenpolitik gescheitert ist.
Foto: Grey Hutton

Die Kurzzusammenfassung des neuen BKA-Drogenberichts könnte lauten: Wir leisten gute Arbeit, die absolut nichts bringt. Am Mittwoch hat das Bundeskriminalamt das "Bun­des­la­ge­bild Rausch­gift­kri­mi­na­li­tät" für das Jahr 2017 vorgestellt. Der Bericht zeigt, dass die deutsche Drogenpolitik auch ohne LSD auf der Zunge an Realitätsverlust leidet. Denn obwohl die Polizei versucht, die Drogenkriminalität zu bekämpfen, wächst und gedeiht sie wie der Schlafmohn auf afghanischen Opiumfeldern.

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Das Erfreulichste an dem Bericht ist, dass zum ersten Mal wieder weniger Menschen an Drogenkonsum gestorben sind – 1.272 gegenüber 1.333 im Vorjahr. In den vergangenen vier Jahren, war die Zahl der Drogentoten kontinuierlich gestiegen. Doch davon abgesehen sollte das Papier vor allem die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler, motivieren, ihre Drogenpolitik zu überdenken oder sogar manche Drogen zu legalisieren.

Das sind die wichtigsten Gründe:

Die Drogenkriminalität steigt weiter

"Im siebten Jahr in Folge ist die Anzahl der Rauschgiftdelikte angestiegen", lautet das Fazit, das das BKA aufgrund der eigenen Zahlen ziehen muss. Mit anderen Worten: Seit (mehr als) sieben Jahren setzen die Polizeibehörden die Vorgaben der Politik um, verfolgen vom kleinen Gelegenheitskiffer bis zum Großdealer jeden, der etwas mit Drogen zu tun hat. Und dennoch wird seit sieben Jahren die Drogenkriminalität mehr und nicht weniger.

Große Fahndungserfolge bringen nichts

Drogenfahnder hatten 2017 eigentlich öfter guten Grund, mit dem ein oder anderen Bierchen auf ihre Erfolge anzustoßen. Im März zogen Zollfahnder im Hamburger Hafen auf einmal 1,6 Tonnen Kokain aus dem Verkehr. Mehr als je zuvor. Doch schon damals sagte der Zollbeamte René Matschke dem NDR, der Fund in einem Schiffscontainer aus Paraguay mache nur einen kleinen Teil des deutschen Kokainhandels aus. Das Straßengeschäft lief einfach weiter. Auch die Preise blieben in Deutschland 2017 stabil und mit ihnen der Nachschub aus all den anderen Schiffsladungen, die den Beamten entgingen. Gleichzeitig stiegen 2017 die Kokain-Handelsdelikte um 18,3 Prozent auf 3.559 Fälle, schreibt das BKA im aktuellen Bericht. Der Hamburger Fund unterstreiche nur, wie viel Kokain in Europa und Deutschland im Umlauf sei.


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Das gleiche Bild zeigt sich bei Heroin, von dem europaweit mit vier Tonnen fast doppelt so viel wie im Vorjahr sichergestellt wurde. Der Nachschub versiegte offenbar dennoch nicht, die Polizei nahm erneut mehr Heroin-Dealer als im Vorjahr fest. Ihre Ware beziehen die vor allem aus Afghanistan. Laut einem Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung wuchs die Opiumanbaufläche dort 2017 um geschätzte 63 Prozent auf 328.000 Hektar an, eine Fläche, fast viermal so groß wie Berlin.

Auch bei Amphetaminen musste das BKA feststellen, dass die Polizei mehr Dealer als im Jahr zuvor ermittelte: Die Handelsdelikte stiegen um 18,7 Prozent. Die Dealer verkauften also munter weiter, obwohl die Polizei mit 1.669 Kilo Amphetamin gleichzeitig eine Rekordmenge ihrer Handelswahre beschlagnahmte.

Bei Ecstasy gingen die eingezogenen Mengen zwar um 70 Prozent zurück, das liegt laut dem Bericht aber vor allem daran, dass im Vorjahr drei extrem große Lieferungen sichergestellt worden waren. Die Verkaufsdelikte stiegen auch hier um 13,1 Prozent.

Doch eine Substanz übertrifft diese Zahlen noch: Cannabis.

Die Polizei muss sich mit Bagatelldelikten beschäftigen

Wegen keiner anderen Droge ermittelt die Polizei so oft wie bei Cannabis-Delikten. Dabei spielt es keine Rolle, dass viele Patienten in Deutschland medizinisches Gras seit März 2017 ganz legal auf Rezept beziehen. Wie im Vorjahr nahm die Polizei laut der neuen Statistik unter allen Verkäufern illegaler Drogen vor allem Cannabis-Dealer fest (60 Prozent aller Rauschgifthandelsdelikte) und musste sich allein in diesem Bereich mit 30.031 Tatverdächtigen befassen.

Zu einer noch absurderen Zahl türmen sich die illegalen Cannabis-Konsumenten, die bei der Polizei Papierkram verursachen – und das, obwohl es sich bei vielen Fällen um Bagatelldelikte handeln dürfte. Unter konsumnahen Delikten listet das BKA Besitz, Erwerb und Abgabe von Betäubungsmitteln und führt darunter 166.236 Fälle auf, die mit Cannabis zu tun haben. Das sind 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Doch anstatt zum Beispiel in Aufklärung zu investieren, macht die Politik weiterhin aus Freizeitkiffern Kriminelle, die teilweise mit Vorstrafen leben müssen, weil sie ein paar Joints geraucht haben.

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In Deutschland hat die Polizei 2017 zwar insgesamt 20 Prozent weniger Cannabis-Indoor-Plantagen hochgenommen, der Anteil der professionell geführten Plantagen stieg allerdings ebenso wie die Gesamtzahl der Pflanzen. Auch hier scheint es die Profis also nicht zu beeindrucken, dass die Polizei mit hohem Aufwand versucht, die illegale Cannabisszene auszuräuchern.

Ein weiterer Faktor, der den Job deutscher Drogenfahnder ziemlich frustrierend machen muss: Das meiste Gras kommt gar nicht aus Deutschland. Der Rauschgiftbericht nennt Marokko als Hauptherkunftsland für Haschisch und Albanien als primäres Anbaugebiet für in Deutschland sichergestelltes Marihuana. Zwar hätten albanische Behörden den Cannabisanbau teilweise bekämpfen können und die Erfolge medienwirksam präsentiert, heißt es im Bericht: "Unbestritten wurde der illegale Cannabisanbau dort aber in schwer zugängliches Territorium verlagert, so dass dort eine Cannabisrekordernte von geschätzten 1.000 Tonnen erzielt werden konnte. Vor diesem Hintergrund wurden erneut hohe Ernteerträge für 2017 erwartet." Das heißt, selbst wenn man die Drogen, die nach Deutschland kommen, in ihren Herkunftsländern bekämpft, passen sich die Produzenten einfach an.

Drogen finanzieren die organisierte Kriminalität

Über die Drogenproduzenten und andere, die an Drogen verdienen, denkt offenbar auch Marlene Mortler nach. "Die Einnahmen bieten vielen weiteren kriminellen Bereichen erst die Grundlage, sie sind Quelle für Leid und Ausbeutung", schreibt sie im Vorwort des Berichts. Und auch der BKA-Präsident Holger Münch pflichtet ihr bei, wenn er schreibt: "Drogenhandel ist ein lukratives, internationales Geschäft – auch für die Organisierte Kriminalität." Noch deutlicher kann man kaum sagen, dass man etwas ändern müsste, um wirklich etwas gegen organisierte Drogenkriminalität zu tun. Doch genau das machen weder Mortler noch Münch. Denn, man erinnere sich, die Drogenkriminalität in Deutschland steigt seit sieben Jahren.

Die deutsche Drogenpolitik muss ihre Vorurteile ablegen

Law-and-Order-Politiker werden den Rauschgiftbericht des BKA als Erfolgsbilanz lesen und sagen, die Drogenkriminalität steige in der Statistik nur, weil der Polizei immer mehr Drogendealer, Konsumenten und auch die Drogen selbst ins Netz gehen. Also alles super, oder? Nicht ganz. Denn erstens sagt der Fahndungserfolg der Polizei nichts über den gesamten Umfang des kriminellen Marktes aus. Zweitens berichtet das BKA selbst, dass sowieso immer neue Drogen nachkommen. Daher ist es weitgehend wirkungslos, die Drogenkriminalität hier vor Ort zu bekämpfen. Doch auch in den Herkunftsländern kann man so nur wenig bewirken: Albanische Cannabis-Bauern verlagern ihre Plantagen einfach und in Afghanistan steigt die Heroinproduktion weiter.

Man muss also nicht in die USA schauen, um zu erkennen, dass der War on Drugs nicht durch Strafverfolgung zu gewinnen ist. Doch der politische Wille, Alternative Wege zu beschreiten, scheint nicht besonders ausgeprägt zu sein. Drug-Checking, das zum Beispiel in der Schweiz und in Österreich dafür sorgt, die Zahl der Drogentoten zu verringern, ist in Deutschland nach wie vor illegal. Und einer wirklich effiziente Aufklärung mangelt es an finanziellen Mitteln. Diese könnten aus Steuergeldern kommen, zum Beispiel aus staatlich regulierten Verkäufen von Cannabis.

Doch bis es so weit ist, werden wir uns weiter die dogmatischen Null-Argumente von Politikern anhören, die sich verzweifelt an konservative Wertrelikte klammern, bis die Finger knacken. "Es geht nicht darum, Statistiken zu verschönern, sondern darum, einer gefährlichen Droge entgegenzutreten", schreibt Marlene Mortler zum aktuellen Bericht über Cannabis. Und tatsächlich kann man ihr die Kompetenz nur schwer absprechen, wenn es um geschönte Statistiken geht. 2017 verbreitete sie selbst falsche Zahlen über jugendliche Cannabiskonsumenten in den USA, denen dort sogar die Gesundheitsbehörde von Colorado widersprach.

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