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Popkultur

Wie eklig ist es, seine Schuhe in der Wohnung anzulassen?

Unter deinen Schuhen wimmelt es von Bakterien, aber machen sie dich wirklich krank? Hier ist die finale Antwort – und ein wichtiges Update zur Fünf-Sekunden-Regel.
Foto: Linda Raymond | Getty

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Du warst immer schon ein kleiner Reinheitsfanatiker, vielleicht sogar mit dezenter Bakterienphobie, wenn du ehrlich bist. Im Kampf gegen die unsichtbaren aber potenziell todbringenden Krankheitserreger hast du dich mit einer gutsortierten Auswahl an Desinfektionsmitteln und antibakteriellen Seifen eingedeckt. Aber dann steht ein Gruppenreferat an, alle Arbeitsräume der Uni sind besetzt, die Bude des einen Kommilitonen hast du schon gesehen und möchtest nie wieder dorthin, allein beim Gedanken juckt es dich am ganzen Körper. Die andere hat eine Mitbewohnerin, die sich gerade als Neo-Gabber-Produzentin versucht – aus Prinzip bei voller Lautstärke und ohne Kopfhörer, für das Feeling.

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Also lädst du die beiden zu dir ein und direkt nach der Begrüßung latscht er mit seinen fast neuen Reebok Classics durch den Flur in Richtung Küche, um das mitgebrachte Bier kaltzustellen. Sofort entweicht dir ein markerschütterndes "SCHUHE AUS!"

Bevor er überhaupt reagieren kann, bombardierst du ihn mit einem Vortrag darüber, dass es auf Schuhen von E. coli., Staphylokokken, C. difficile, Toxinen, Keimen, Viren und anderem Ungeziefer ja wirklich nur so wimmelt. Betreten zieht dein Studienkollege die Schuhe aus und es kommen zwei durchlöcherte Socken zum Vorschein. Beschämt schlurft er ins Wohnzimmer, wo sich die Kommilitonin in vorauseilendem Gehorsam schon von ihrem Schuhwerk getrennt hat.


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Musst du dir wirklich solche Sorgen um Bakterien machen?

Ja, deine Schuhe sind tatsächlich voll mit Bakterien, Viren, Keimen und Parasiten. Das ist allerdings ziemlich egal. Solange du nicht in einem sterilen Labor lebst, gilt das Gleiche nämlich für dein Haus – und für dich.

2016 verursachten Forscher der University of Arizona panische Schnappatmung bei zahlreichen Reinheitsfanatikern, als sie anhand einer Studie zeigten, dass unter der Durchschnitts-Schuhsohle 421.000 Bakterien kleben, von denen auch noch 90 Prozent beim ersten Kontakt direkt auf den Boden übertragen werden. Eine weitere Untersuchung der University of Houston von 2017 zeigte dann auch noch, dass über 26 Prozent der getesteten Schuhe mit C. difficile befallen waren – einem Stäbchenbakterium, das potenziell tödlichen Superdurchfall verursachen kann.

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Auch wenn diese Studien den Anschein erwecken, dass Schuhe Überbringer des Todes sind, so erzählen sie nicht die ganze Geschichte. Also beruhige dich mal bitte und zieh dir deine Schuhe wieder an. Das findet übrigens auch Amesh Adalja, oberster Gelehrter am John Hopkins Center for Health Security und Experte für Ansteckungskrankheiten.

"Einfach nur die Schuhe auszuziehen hilft nicht wirklich dabei, die mikrobielle Belastung im Haus substanziell zu verringern – allerdings würde man das auch gar nicht wollen, weil die allermeisten Mikroorganismen, also 99 Prozent von ihnen, keinen Schaden anrichten", sagt Adalja zu VICE. "Ich finde, dass viele Menschen viel zu sehr darauf achten, alles möglichst steril zu halten. Diese Leute realisieren nicht, dass sich auf ihren Böden bereits zahlreiche Mikroorganismen wie Bakterien und Viren tummeln."

Auch wenn manche dieser Bakterien unter gewissen Umständen Krankheiten auslösen können, befinden sie sich dort mit vielen mehr, die unsere Abwehr stärken und unserer Verdauung helfen. 2014 stellten sich Forscher für eine Studie eine Erde ohne Bakterien vor. Ihr Ergebnis war eine düstere, von Viren geplagte Welt der Verstopfung und unverarbeiteten biologischen Abfälle. Adalja weist außerdem darauf hin, dass es keineswegs mit dem Ausziehen der Schuhe zu verhindern sei, Bakterien in die Wohnung zu tragen.

"Auf Socken befinden sich zahlreiche Krankheitserreger", sagt Adalja". "Soll man die auch ausziehen? Und dann sind da noch Bakterien auf den Füßen selbst. Was soll ich dagegen tun? Mir die Haut abziehen? In meinen Augen basieren diese ganzen Maßnahmen auf falschen Vorstellungen. Unser Planet wird von mikrobiellen Organismen beherrscht. Es gibt keinen Grund, alles übermäßig steril zu halten."

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Eine aktuelle Studie zu den am meisten von Bakterien befallenen Orten einer Wohnung nannte vor allem Bereiche, die eher wenig in Kontakt mit deinen Schuhen oder Füßen kommen dürften. Die Untersuchung von NSF International identifizierte Küchenspülen, Schneidebretter, Spülschwämme und Trockenablagen, sowie Zahnbürstenbecher als prädestiniert für große Bakterienansammlungen – inklusive Salmonellen und E. coli.

Einige der Bakterien, die du mit deinen Schuhen reinschleppst, sind also gut?

Bakterien tummeln sich fast überall und das ist auch gut so. In der eingangs erwähnten Studie zu einer von Mikroben befreiten Welt kamen die Forscher zu dem Schluss, dass Leben ohne Bakterien zwar möglich sei, aber "unvorstellbar schlecht". Solange also dein Immunsystem nicht durch eine Erkrankung stark beeinträchtigt ist, musst du deine Küche nicht mit Bleiche schrubben.

"Wenn man verschiedene Proben in einer Wohnung nimmt", sagt Adalja. "Findet man dort all die unheimlichen Bakterien, die man sich vorstellen kann. Das heißt aber nicht, dass man sich auch daran ansteckt." Adalja sagt, dass unser Immunsystem, inklusive unserer Haut, unglaublich gut darin sei, uns gegen diese Erreger zu schützen. Menschen mit AIDS, einer frischen Organtransplantation oder solche, die gerade eine Chemotherapie durchmachten, seien natürlich anfälliger.

Adalja empfiehlt normale, gründliche Hygiene gepaart mit gesundem Menschenverstand. Wenn du dich schneidest, dann desinfiziere die Wunde, Pflaster drauf und das war's. "Es ist nicht so, als würde man sich an seiner Couch anstecken", sagt er. "Es ist große Zeitverschwendung, sich so sehr um das eigene Zuhause zu sorgen, wenn man draußen pausenlos mit Bakterien zu tun hat. Überhaupt sind Menschen sehr widerstandsfähig gegen sie."

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Was ist, wenn in meiner Wohnung ein Kind rumkrabbelt? Muss ich dann Angst haben?

Du tust dem Immunsystem deines lieben Sprösslings keinen Gefallen, wenn du ihn in einem übersterilen Umfeld aufwachsen lässt. Adalja sieht genau darin auch einen Grund für die voranschreitende Antibiotikaresistenz.

"Dreckige Kinder" würden außerdem gesünder aufwachsen. "Wir wissen von der sogenannten Hygiene-Hypothese – je sauberer und steriler die Umgebung der Kinder ist, desto eher leiden sie als Jugendliche und Erwachsene unter Autoimmumerkrankungen, Allergien, Asthma und Ekzemen", sagt er.

Adalja hat so wenig Angst vor Bakterien auf dem Boden, dass er die Fünf-Sekunden-Regel für sich auf 15 Minuten erweitert hat. "Du legst ein Stück Wurst auf einen Teller. Glaubst du nicht, dass Bakterien in der Luft sind, die darauf landen? Solange dir die Wurst nicht in etwas fällt, das giftig ist oder sichtbar dreckig ist, sehe ich keinen Grund dafür, Essen wegzuschmeißen."

Der einzige Grund dafür, seine Schuhe im Haus auszuziehen, ist für Adalja ästhetischer Natur – wenn man zum Beispiel keine schlammigen Schuhabdrücke auf dem weißen Teppich hinterlassen möchte. Aber wer hat heute noch einen weißen Teppich? Das hier ist nicht das Miami der 1980er und du bist nicht Scarface.

Ich bin immer noch paranoid. Unter welchen Umständen könnten mich Schuhbakterien krank machen?

Wenn du gerade durch ein E. coli-verseuchtes Salatfeld gewandert bist, nur um direkt danach bei deiner Freundin zu Hause den Moonwalk zu üben und ihr euch daraufhin entscheidet, heute mal direkt vom Boden zu essen, könnte einer oder eine von euch krank werden.

Aber solange du nicht den lieben langen Tag durch Gülle stapfst oder nach einem anstrengenden Tag in der Rattengiftfabrik die Füße mitsamt Schuhen auf den Esstisch legst, dürfte sich das Worst-Case-Szenario darauf beschränken, dass du den Kaugummi, in den du auf der Straße gelatscht bist, in den guten Ikea-Teppich einarbeitest.

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