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YouTube überschwemmt Nutzer mit Werbung zu Polens Holocaust-Gesetz

Das Video sieht aus wie Werbung für einen neuen Ego-Shooter. Tatsächlich kämpft die polnische Regierung gerade mit einer großen Social-Media-Kampagne für ihr umstrittenes Gesetz.
Screenshot: YouTube

"Ist das Werbung für ein neues Weltkriegs-Videospiel?", das fragen sich wohl gerade viele Nutzer, die eine aktuelle YouTube-Werbung sehen, die in den letzten Tagen anscheinend zahlreichen Usern weltweit angezeigt wird. Doch hier wird kein neuer Ego-Shooter beworben, der während des Zweiten Weltkriegs spielt – es handelt sich um Werbung für Polens umstrittenes Holocaust-Gesetz.

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Mehreren Mitgliedern unserer Redaktion in Berlin und Brooklyn wurde das Video zufällig angezeigt. Zwei Redakteuren wurde der Clip mehrfach innerhalb weniger Tage ausgespielt. Auch auf Reddit ist bereits eine Diskussion über den Clip entbrannt. Ein Redditor bezeichnet das Video beispielsweise als "geschmacklose Werbung" ein anderer als "Propaganda" der polnischen Regierung. Vieles deutet darauf hin, dass die polnische Regierung viel Geld dafür in die Hand genommen hat, damit die Ad Millionen Nutzern ausgespielt wird.

Worum geht es in dem Video?

Anfang Februar hat Polen ein Gesetz verabschiedet, das eine internationale Debatte auslöste. Das Gesetz sieht Geldstrafen oder Haftstrafen von bis zu drei Jahren vor, wenn jemand unter anderem "öffentlich und entgegen den Fakten" dem polnischen Volk oder Staat die Verantwortung oder Mitverantwortung für von Nazi-Deutschland begangene Verbrechen zuschreibt. Dazu zählt beispielsweise auch, wenn in Berichten fälschlicherweise von "polnischen Konzentrationslagern" die Rede ist. Vor allem zwischen Israel und Polen ist wegen des Gesetzes ein Streit entfacht, der sich inzwischen zu einer diplomatischen Krise entwickelt hat.

Unter dem Hashtag #GermanDeathCamps hat die polnische Regierung eine Social-Media-Kampagne zum neuen Gesetz gestartet, die auf verschiedenen Kanälen ausgespielt wird. Auch der Twitter-Account des Büros des polnischen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki postete das Video am 8. Februar, es wurde über 200 Mal geteilt und über 90.000 Mal angeschaut. Auf YouTube hat das Video sogar über 12 Millionen Views. Der 30-sekündige Clip enthält Ausschnitt des Animationsfilms "The Unconquered". Der Kurzfilm wurde vom polnischen Institut für Nationales Gedenken produziert und von Sean Bean gesprochen.

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Die israelische Zeitung Haaretz berichtet, dass die Kampagne der polnischen Regierung auch auf Google, Facebook und Twitter als sogenannter Sponsored Content ausgespielt wird, also als Werbeposts, für die Reichweite gekauft wurde. Auch auf der Games-Seite PlayNation wurde Werbung geschaltet. Hier wirbt ein Zitat von Premierminister Morawiecki für das Gesetz – einen Screenshot der Webung postete ein irritierter Mitarbeiter von PlayNation auf Twitter.

Was lässt sich Polen diese Kampagne kosten?

Dass wir den Clip als vorgeschaltete Werbung vor YouTube-Videos sehen, beweist, dass die polnische Regierung Geld dafür ausgegeben hat. Wie viel das ist, lässt sich nicht nachvollziehen, aber die hohen Aufrufzahlen des Videos könnten ein Indiz dafür sein, dass hier eine größere Geldsumme geflossen ist. Ein YouTube-Experte erklärte im Gespräch mit Motherboard, dass mehr als 12 Millionen YouTube-Views innerhalb weniger Tage sehr ungewöhnlich für einen Kanal seien, der gerade mal 10.000 Abonnenten hat. Dass das Video viral gegangenen sei und deshalb so viele Klicks habe, hält der Experte, der mit dem Verkauf von Social-Media-Klicks sein Geld verdient, für unwahrscheinlich. Erklären ließen sich die vielen Aufrufe viel eher durch eine massive Werbekampagne.


Ebenfalls auf Motherboard: Die Mathematik eines Massenaufstands


Klicks auf ein Video kann man beispielsweise über das Tool Google Ad Words pushen, also über bezahlte Video-Anzeigen. Das Video taucht bei solcher Werbung in der rechten Spalte neben einem YouTube-Clip auf. Um innerhalb von sieben Tagen 12 Millionen Views zu generieren, bräuchte man täglich 1,7 Millionen Views. Das eingebaute Rechentool von Google Ad Words sagt als Faustregel: Um täglich rund 1,7 Millionen Aufrufe zu generieren, bräuchte man ein Tagesbudget von 20.000 Euro. Das macht in sieben Tagen rund 140.000 Euro.

Eine außergewöhnlich hohe Reichweite hat auch der Tweet des polnischen Ministerpräsidenten Morawiecki – die Zahl an Retweets und Favs erscheint zu hoch im Verhältnis zu seiner Followerschaft und ist deutlich höher als das sonstige Engagement des Accounts. Ein Hinweis darauf, dass auch für Twitter-Reichweite Geld ausgegeben wurde.

YouTube teilte Motherboard in einer E-Mail mit, dass sie keinen Kommentar zu bestimmten Kampagnen oder Werbepartnern abgeben, aber dass sie strenge Regeln für Werbeinhalte haben, die auf YouTube geschaltet werden. Offenbar befindet sich die Werbung für das polnische Holocaust-Gesetz innerhalb dieser Richtlinien.