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Berlin

AfD-Politiker stellt "Kleine Anfrage" zum BVG-Sneaker, weil die BVG Ossis disst

So etwas nennt man wohl Verschwendung von öffentlichen Mitteln.
Fotocollage: Screenshot facebook.com/weilwirdichlieben || Imago | ITAR-TASS

Aufmerksamkeit ist die Währung des 21. Jahrhunderts. Instagram-Stars wollen sie ebenso wie Sportartikelhersteller oder rechte Politiker. Adidas und die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben dafür beispielsweise vor knapp einem Monat einen Schuh herausgebracht, mit dem man ein Jahr lang umsonst Bus und Bahn der BVG fahren kann. Der Marketing-Gag ging auf, selbst in den USA berichteten Medien über den 180-Euro-Treter. Natürlich will die AfD auch ein Stück vom Medienpräsenz-Kuchen abhaben – und wittert einen großen Skandal. Aber von Anfang an. Als die 500 limitierten Schuhe an einem Dienstagmorgen verkauft wurden, saßen Sneakerheads schon seit Sonntagabend auf Campingstühlen eingemurmelt in Schlafsäcken vor einer der beiden Berliner Verkaufsstellen. Die BVG postete ein Foto von der meterlangen Schlange – und schrieb dazu mit ihrer gewohnt provokanten Social-Media-Tonalität: "Vor 30 Jahren waren es Südfrüchte, jetzt sind es BVG-Schuhe." Das war für den Berliner AfD-Abgeordneten Gunnar Lindemann zuviel.

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"Man könnte das durchaus als Verhöhnung der ehemaligen DDR-Bürger interpretieren, die nach einem langen, arbeitsreichen Tag stundenlang vor den Geschäften standen, um selten zu bekommende Waren zu ergattern", so der Ostberliner AfD-Politiker auf Facebook. Und mehr noch: Weil unter dem Post ein User eine Verschwörung witterte, schwor Lindemann Gerechtigkeit für alle Sneakerheads und Berliner Bürger.

In einem Kommentar unter dem BVG-Post berichtete ein User, dass die 150 verkauften Schuhe im Adidas-Store schon vorab über eine Liste an Käufer an der Hintertür vergeben worden seien. Die Wartenden gingen demnach leer aus. Limitierte Sneaker, die für ein Vielfaches des Einkaufpreises später im Internet landen? Für Lindemann ein neues Phänomen: Er vermutete, dass Geschäftemacher offenbar das schnelle Geld wittern würden, um zum Beispiel Sammler abzuzocken. Zudem habe er gehört, dass "ein geheimnisvoller 'Ali', der nicht einmal Mitarbeiter des adidas-Geschäfts gewesen sein soll, offenbar mit Zustimmung und Unterstützung des Personals der 'Herr über die Warteliste' gewesen sein, und den fragwürdigen Verkauf am Hintereingang 'koordiniert' haben" soll. Die Infos stammen aus einem Text von n-tv.

Ein Facebook-Post, ein Kommentar darunter und ein Medienbericht reichten aus, dass er eine Kleine Anfrage an die Landesregierung stellte. Lindemann fragte die BVG darin so ziemlich alles, was es über den Verkauf der Schuhe zu wissen geben könnte. Der Senat konnte aber gar nicht antworten, sondern erklärte, dass er selbst die BVG (die dem Land Berlin gehört) erstmal fragen müsse. Die BVG antwortete daraufhin, dass Kooperationspartner Adidas den Verkauf steuerte. Adidas ließ verkünden, dass der Verkauf von limitierten Turnschuhen mit Hilfe von Wartelisten ein gelerntes und gängiges Vorgehen sei und keine Schuhe an der Hintertür verkauft worden seien. Von Ali wisse Adidas nichts. "Die Sneakerszene organisiert sich diesbezüglich selbst und führt regelmäßige Checkzeiten durch, um einen fairen Verkauf zu ermöglichen", so der Sportartikelhersteller.

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Warum aber landeten auf Ebay insgesamt "8 Paar der 'BVG-Sneaker' zu einem Stückpreis von 1499,99 €", fragte Lindemann, der offensichtlich noch nie vom "Yeezy Boost" gehört hat. Auch diese Frage schmetterte die BVG ab: "Die BVG trägt keine Verantwortung für den Verkauf der Schuhe oder daran, was die Käufer mit den gekauften Sneakern machen."


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Aber da war trotzdem noch der miese Südfrüchte-Diss gegen alle DDR-Bürger, die Lindemann offenbar für humorlos hält. Die BVG erklärte wenig verwunderlich dazu, dass es sich um eine Marketing-Aktion handele, welche mittels der Analogie der Südfrüchte für Aufmerksamkeit sorgen sollte und sich an der Sprache der Zielgruppe orientiere. "Eben jene Freude, die die Bürger damals empfunden haben, als sie die seltenen Früchte erwerben konnten, haben wir aufgegriffen, um die Freude an dem Verkaufsstart der limitierten Schuhe zu verdeutlichen", so die BVG. Mit Provokation im Internet sollte sich die AfD ja eigentlich auskennen.

Zuletzt vermutete Lindemann die Verschwendung von Steuergeldern. Immerhin seien die Schuhe mit dem integrierten Jahresticket ja von den Berliner Bürgern subventioniert worden, so Lindemann. Der Senat sah in der Aktion eine gelungene Marketing-Aktion. "Aufgrund der Tatsache, dass voraussichtlich nur wenige dieser Schuhe tatsächlich als Fahrausweis genutzt werden und in Anbetracht der weltweiten medialen Aufmerksamkeit, die diese Marketingaktion gebracht hat, halten wir diese Maßnahme für mehr als wirtschaftlich sinnvoll", fasst die BVG zusammen.

Es stellt sich jedoch die kleine Frage, ob Lindemann wegen einiger Sneaker nicht selbst Steuergelder verprasst hat. Die Kleine Anfrage ist eine wichtige Kontrollinstanz für die Abgeordneten – aber sie ist teuer. Wie teuer, zeigte eine Anfrage aus dem Jahr 2012. Ein Abgeordneter der Berliner Piraten, fragte damals, ob der Flughafen BER im Boden versinke. Obwohl die Antworten nur einen Anruf kosteten, verkündete der Senat: "Es sind Kosten im niedrigen dreistelligen Bereich entstanden". Etwas teurer dürfte der ganze Rummel um die BVG-Schuhe sein. In der Zeit, in der Senatsmitarbeiter die Antwort recherchieren, können sie außerdem keine anderen Anfragen beantworten. Wollte die AfD nicht "für den kleinen Mann gegen die da oben" um Gerechtigkeit kämpfen? Jetzt kämpfen sie also für die Rechte von hippen Großstadtkids, die Sneaker sammeln. Klingt, als ob sie zum eigenen Feindbild mutiert – und das nicht mal in gut.

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