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Drogen

Wie ich immer wieder am Entzug scheiterte und ihn doch noch geschafft habe

Rückfälle sind ein Teil des Heilungsprozesses. Das habe ich auf die harte Tour gelernt.
Ein Konsument bereitet Heroin vor
Foto: The Canadian Press

Wirklich ernst meinte ich es wohl nicht, als ich meinen ersten Entzug vom Heroin begann. Ich tat es vor allem meiner Mutter zuliebe. Dass ich ihr damit falsche Hoffnungen machte, dachte ich damals natürlich nicht.

Es war ein ambulanter Entzug. Die Art, bei der man morgens auf der Matte steht und ein paar Stunden später wieder abhaut. Die Art, die – wie dir jeder fortgeschrittene Drogenkonsument bestätigen wird – total sinnlos ist. Wenn ich nicht in einer Zwangsjacke hingebracht und abgeholt werde, konsumiere ich noch davor und sobald ich wieder aus der Tür bin. Ich mache mir noch nicht mal die Mühe, erst mein Auto vom Parkplatz zu fahren.

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Am ersten Tag traf ich dort früh und guter Dinge ein. Ich hatte mir einen Beutel synthetischen Urin umgebunden – unter die Klamotten natürlich, damit er auch warm ist. Niemand in der Klinik beobachtete einen beim Pinkeln. So bestand ich dank meiner fabrikneuen Pisse jeden Test mit wehenden Fahnen.

Auf diese Art mogelte ich mich Montag bis Freitag durch meinen ersten Entzug, arbeitete an den Wochenenden weiter als Kellnerin im berühmten Rainbow Bar and Grill in West Hollywood und hing ansonsten in meiner Wohnung ab. Kurz gesagt: Ich verschwendete die Zeit und Hoffnungen aller Menschen um mich herum. Nach ein paar Wochen brach ich den Entzug ab.

Nachdem ich nun den Hauch eines Vorgeschmacks auf ein Leben ohne Drogen bekommen und die erfolglosen Entzugsversuche anderer mitangesehen hatte, fing ich erst richtig an. Ich dachte mir: "OK, ich habe es versucht und es hat nicht geklappt. Vielleicht sollte ich dieses Leben einfach als Dauerzustand akzeptieren."

Die Abwärtsspirale

Ich hörte auf, Heroin zu rauchen, und begann, es zu spritzen. Jetzt kam ich mir vor wie ein richtiger Junkie. Auf eine verdreht-romantische Art fühlte es sich gut an, eine Identität zu zementieren, die ich ohnehin als für mich vorherbestimmt ansah. Von hier an rutschte jeder Teil meines Lebens tiefer und tiefer in die Dunkelheit. Leider fehlte mir jeglicher Selbsterhaltungsinstinkt. Ich fing an, meinem intravenösen Cocktails andere Drogen beizumischen, um die Sache spannender zu machen. Mit Erfolg.

Ich erlebte drogeninduzierte Psychosen, die über Tage andauerten, mich dazu inspirierten, zwei Stockwerke hohe Maschendrahtzäune zu erklimmen und mich stundenlang in Büschen zu verstecken. Ich floh vor nicht existenten Männern, die mich vermeintlich durch Hollywood jagten. Meine Highs wurden höher und meine Lows tiefer. Immer öfter dachte ich nachts vor dem Einschlafen – mittlerweile schlief ich nur noch etwa jede dritte Nacht –, dass ich am nächsten Morgen vielleicht aufwachen würde, vielleicht aber auch nicht. Mir war beides recht.

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Einen Wendepunkt auf meiner unterbewussten Selbstmordmission erlebte ich kurz nach Weihnachten. Ich entdeckte mehrere E-Mails meiner Mutter, die ich seit Ewigkeiten nicht gelesen hatte. Und ich bekam sie einfach nicht mehr aus dem Kopf. Eines Abends, nachdem mein damaliger Freund wie üblich und ahnungslos zur Arbeit gegangen war, erfasste mich ein Tsunami der Angst. Ich wollte nachts nicht mehr nach Downtown zum Dealer fahren, ich wollte diese Sid und Nancy-Routine nicht mehr, ich wollte mich nie wieder freiwillig in diese paranoide Schizo verwandeln.

Ich rief meine Mutter an. Auf ihr "Hallo" antwortete ich sofort: "Bitte, hol mich ab." Ich legte auf und machte mich an mein Ritual. Die Unterseite eines Löffels erhitzte ich mit einer Flamme und schaute zu, wie das Gebräu köchelte und schmolz. Ich fand eine Vene und tat mein Bestes, dieses letzte Mal so sehr zu genießen, wie es ging.

Es dauerte keine Stunde und meine Mutter, mein Stiefvater, meine Schwester, mein Schwager und zwei enge Freunde der Familie standen mit einem Umzugswagen vor meiner Tür. Wir packten hastig meine übrig gebliebenen Besitztümer zusammen. Wir waren in einer solchen Eile, weil ich nicht wusste, ob ich je gehen würde, wenn mein Freund jetzt zurückkäme. Ich hinterließ ihm etwas Drogengeld, einen Brief und eine leere Wohnung. Damit mich niemand finden konnte, übernachteten wir in einem Motel. Erleichtert, bei meiner Mutter zu sein, erleichtert, dass etwas anderes vor mir lag, schlief ich ein. Wie naiv ich doch war.

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Der Dämon verlässt mich – kurzzeitig

Als ich aufwachte, trafen mich die Entzugserscheinungen wie ein Vorschlaghammer. Meine Mutter und mein Stiefvater brachten mich zur Notaufnahme einer Klinik der protestantischen Adventgemeinde. Die Fahrt dauerte eine Stunde und meine Mutter musste währenddessen meine Beine festhalten aus Angst, dass ich bei meinen Krampf- und Strampelanfällen ein Autofenster raustrete. Die Ärztinnen verabreichten mir Beruhigungsmittel und Medizin gegen die Krämpfe. Das hielt mich allerdings nicht davon ab, mich stundenlang im harten Krankenhausbett hin und her zu werfen. Als ich wieder zu mir kam, hatte ich mir die Haut an den Schultern wundgescheuert. Es hatten sich Krusten gebildet. Eine Woche blieb ich auf der Station, ohne auch nur eine Minute zu schlafen. Es kam mir vor, als würde ich einen brutalen Exorzismus durchleben. Als die Ärzte sich sicher waren, dass der Dämon mich verlassen hatte, entließen sie mich in die Therapie.

Bei meiner Ankunft in der Adventisten-Entzugsklinik hatte ich furchtbare Angst. Dieses Mal war alles anders. Ich wollte das für mich, ich war aus eigenen Stücken hier. Selbst zu entscheiden, dass man einen Entzug braucht, ist etwas ganz anderes als einen Entzug zu machen, um andere zu beschwichtigen oder eine Strafe abzumindern. Dich in Behandlung zu geben, ist die bittere Erkenntnis, dass du es alleine nicht schaffst, so zu leben, wie du leben willst.

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Meine Mutter und ich umklammerten uns schluchzend über meinen Koffern, während meine Therapiekolleginnen und -kollegen neben uns ihr Mittagessen aßen. Ein freundlicher Mitpatient versicherte ihr: "Sie ist hier am richtigen Ort." Wir glaubten ihm beide. Meine Mutter nahm die Worte als Signal und ging. Ich blieb noch einen Moment stehen, fühlte mich ausgesetzt, ausgezehrt und versank in meiner Scham.

Als ich meine erste Gruppentherapiesitzung betrat, hatte diese schon angefangen. Ich scannte den Raum und war verwundert, wie attraktiv und normal alle aussahen. Nacheinander lasen sie ihre Hausaufgaben vor. Alle weinten.

Danach ging das allabendliche Zwölf-Schritte-Programm über die Bühne, zu dem auch knapp 100 Menschen von außerhalb kamen. Von den Anonymen Alkoholiker waren alle wortgewandt, gut gekleidet und erfolgreich bei ihren Weiterbildungs- oder Berufs-Bestrebungen. Sie entsprachen überhaupt nicht dem Bild von Ex-Abhängigen und Ex-Alkoholikerinnen, das ich mir in meinem Kopf zusammengereimt hatte. Das gab mir Hoffnung.

Ich schloss schnell Freundschaften. Man baut leicht enge Bindungen zu Menschen auf, die ähnlich betroffen, verletzlich und in einem Krisenzustand sind. Einige dieser Freundschaften waren wohltuend und unterstützend, andere waren Versuche, alle potenziellen Endorphine abzugreifen, die meine beraubten und verzweifelten Lustsensoren kriegen konnten. Aber egal, mit welchen Menschen ich mich umgab: Ich tat mein Bestes. Ich stürzte mich in meine Aufgaben und Therapien. Ich hing allen Vortragenden bei den abendlichen Meetings an den Lippen und vertraute mich meinen Ansprechpartnern an. Ich war überzeugt: Wenn ich alles tat, was von mir verlangt wurde, würde ich wieder gesund werden.

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Nachdem ich von meiner stationären Behandlung entlassen worden war, weil meine Vertrauenspersonen der Meinung waren, dass ich dazu bereit sei, und ich mich außerdem überheblich stabil fühlte, zog ich zu meiner Mutter, zurück in mein altes Kinderzimmer. Jeden Morgen fuhr ich eine Stunde zu der ambulanten Behandlung, die mir empfohlen worden war. Jeden Abend besuchte ich freiwillig die Meetings der Anonymen Alkoholiker. Ich gab über Facebook meine Abstinenz bekannt und meldete mich bei alten Freundinnen und Freunden, um ihnen die frohe Kunde persönlich mitzuteilen. Ich fuhr zu Treffen mit meinen Entzugskumpels und arbeitete fleißig an den Zwölf Schritten. Und dann, eines Tages auf dem Weg zu einem Treffen, fuhr ich einfach an meiner Ausfahrt vorbei.

Nach dem Entzug ist vor dem Entzug

Anstatt die nächste Ausfahrt zu nehmen und umzukehren, wie es eine normale Person tun würde, ließ ich Dr. Jekyll gehen und Mr. Hyde übernahm das Steuer. Es gab kein inneres Ringen, kein Für und Wider. In einem Moment bin ich auf dem Weg zu einem Abstinenzlertreffen und mit einem Schlag wie ferngesteuert. Bevor ich mich versah, lehnte ich an dem altbekannten Tor in Downtown-L.A. und hoffte, dass mein Dealer mich erblicken würde. Seine Nummer hatte ich nicht mehr, seit ich im Enthusiasmus der Enthaltsamkeit mein Handy mit einem Hammer zerstört hatte. Doch es dauerte nur ein paar Minuten und er kam raus, gab mir, weswegen ich gekommen war, und ich war wieder auf dem Heimweg. Alles, wofür ich gearbeitet hatte, löste sich in Rauch auf.

"Rückfälle sind Teil des Heilungsprozesses", heißt es. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass man das nur sagt, damit Süchtige im Falle eines Rückfalls nicht sofort alle Hoffnung verlieren. Stattdessen zeigt man Verständnis und sagt, wie normal das doch sei. Vielleicht funktioniert das bei manchen, bei mir tat es das nicht.

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Ich war extrem enttäuscht von mir und schämte mich, dass ich allen was vorgemacht hatte. Dieser Rückfall zeigte mir drastisch den Wahn und den Kontrollverlust, den die Krankheit der Sucht ausmacht. Eine Zeit lang ging ich high zu den Meetings, führte alle an der Nase herum. Irgendwann ging ich gar nicht mehr.

So ein Versagen und so eine Enttäuschung können auch die größte Optimistin in eine Zynikerin verwandeln. Die rosarote Wolke der Abstinenz, diese Euphorie, wenn du glaubst, der Hölle entkommen zu sein, das alles war weg. Eine finstere, schwarze Wolke war an ihre Stelle gerückt und folgte mir, wohin ich ging. Sie folgte mir zu meinen mehrtägigen Gelagen und zum nächsten Entzug. In Gefängnisse, zu Entzügen und in Anstalten – sie blieb immer bei mir. Gerede der Anonymen Alkoholiker, das ich als übertriebene Warnung interpretiert hatte, entpuppte sich als dunkler Vorbote dessen, was die Krankheit noch alles für mich bereithalten sollte. Während ich in einer einsamen Gefängniszelle vor Entzugserscheinungen zuckte und zappelte, konnte ich auch den letzten Punkt auf dieser Liste abhaken.

Ich wachte am nächsten Morgen auf, als ein Koffer in meine Richtung geschoben wurde. Das Ziel hieß wieder einmal Entzug. Allem zum Trotz ist Entzug unendlich besser als Knast. Laguna Beach in Kalifornien ist einer dieser Orte, an dem alle wunderschön sind und die Brandung des Meeres auf malerisch-schroffe Klippen trifft. Selbst die Entzugskliniken haben eine Bar auf der anderen Straßenseite.

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Mein Entzug war zwar stationär, aber die Patienten durften zwischen den Therapiesitzungen an den Strand. Dieser ist weitläufig und dementsprechend schwer ist es, dort im Sand oder den Wellen eine Süchtige auszumachen. Natürlich ging ich heimlich in die Bars, ließ mir Heroin und Besteck bringen und ging zum Headshop, um mir mehr von diesem praktischen Synthetik-Urin zu kaufen. Am Ende wurde ich rausgeschmissen, weil ich Teenagern Alkohol gekauft hatte. Alle fünf hatten sofort meinen Namen gesagt, als sie erwischt wurden. Amateure.

Anstatt nach Hause zu gehen, ging ich nach der Klinik in Laguna Beach direkt wieder zum guten alten Adventisten-Entzugsprogramm. Die Leute dort hatten in etwa so viel Bock auf mich wie ich auf sie. Während der fünf Tage, die ich dort verbrachte, ließ ich mir Xanax direkt in die Einrichtung liefern und zog das Zeug in Lines vom Blauen Buch der Anonymen Alkoholiker – einfach, um es ihnen zu zeigen. Dass das der falsche Ansatz für einen erfolgreichen Entzug ist, brauche ich wohl nicht zu sagen.

Die Familie, der eigene Wille und ein Haufen guter Medikamente

Bei meinem letzten Entzug ein paar Monate später mussten sich alle Patienten vor der Entlassung Naltrexon spritzen lassen. Ich will hier niemandem vor einer Therapie Angst machen, aber schön war das nicht. Mehrere Pflegerinnen mussten mich festhalten, während die Ärztin eine riesige Spritze in meine rechte Pobacke stach und mir eine ölige Substanz injizierte. Das Ganze dauerte drei Minuten und die Nadel verstopfte auf der Hälfte. Allerdings unterdrückte das Mittel einen Monat lang die Wirkung aller konsumierten Opiate. Natürlich gab es haufenweise andere Drogen, die ich in diesem Zeitraum konsumieren konnte. Danach wechselte ich wieder zu Heroin.

Wie zum Teufel konnte ein so hoffnungsloser Fall wie ich den Absprung überhaupt schaffen? Mehrere Faktoren waren dafür verantwortlich. Einige davon lagen außerhalb meiner Macht: meine fantastische Familie, die mich nie aufgab; der Umstand, dass ich über meine Eltern krankenversichert war; die Therapeutinnen und Therapeuten, denen wirklich etwas daran lag, mir zu helfen und mich vor dem Tod zu bewahren.

Bei anderen Dingen kann ich mir aber selbst auf die Schulter klopfen: Während der Therapien setzte ich mich ausgiebig mit meinem Innenleben auseinander; ich begab mich jahrelang immer wieder in Entzüge mit engelsgleichen Ärzten und Therapeutinnen; durch eine medikamentengestützte Langzeittherapie, vor allem mit Suboxone – einem Präparat aus Buprenorphin und Naloxon –, war ich irgendwann in der Lage, meinen Konsum zu reduzieren und schließlich komplett aufzuhören. Und durch mein Journalismus-Studium wuchs mein Selbstbewusstsein. Am Wichtigsten waren jedoch meine Zwillingstöchter, durch die ich einen neuen Sinn im Leben fand.

Hätte auch eine einzelne Sache davon zum gewünschten Resultat geführt? Wahrscheinlich nicht. Durch die Kombination konnte ich mir allerdings ein neues Leben aufbauen, das so weit von meiner früheren Drogensucht entfernt ist, dass ich mich wie neugeboren fühle. Und dafür werde ich für immer dankbar sein.

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