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Popkultur

Die dämlichsten Handlungsstränge in 'Dogs of Berlin' – nach Dämlichkeit sortiert

Die zweite deutsche Netflix-Produktion will sein wie '4 Blocks'. Stattdessen ist die Serie ein weiterer Grund, sich für Deutschland zu schämen.
Polizist Erol Birkan ​(Fahri Yardım) an der No-Go-Area Kaiserwarte in Netflix' Dogs of Berlin

Eines vorweg: Dogs of Berlin ist eine Serie, die so schlecht ist, dass es frech ist. Die zweite deutsche Netflix-Produktion nach Dark soll die Hauptstadt als "Pulverfass" zeigen, das nach dem Mord an einem deutschtürkischen Fußballstar jeden Moment hochgehen könnte. Was es natürlich auch tut und, weil darunter macht man's nicht, in einem "Rassenkrieg" gipfelt. Dafür wirft Regisseur und Drehbuchautor Christian Alvart Neonazis, arabische Clans, Wettmafia-Paten, sexy Superanwältinnen, Rockergangs, korrupte Polizisten, alkoholkranke Sozialhilfeempfängerinnen, rappende Teenager und frustrierte Ehefrauen in einen Topf, spuckt nochmal rein und fertig ist eine zehnstündige Dramaserie, die sich guckt wie ein Troll-Mash-up von 4 Blocks meets RTL-Nachmittagsprogramm meets Til-Schweiger-Tatort. Und genau das ist seit Freitag für alle Netflix-Kundinnen und -Kunden international verfügbar und soll zeigen, dass auch Deutschland Serien kann. Na herzlichen Dank.

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Keine der dutzenden Hauptfiguren hat irgendeine Tiefe, beim Großteil wird nicht einmal ersichtlich, warum sie eingeführt werden und es sie überhaupt gibt – schließlich haben sie wahlweise überhaupt keine Auswirkung auf die Story, oder verschwinden nach wenigen Szenen wieder. Jeder YouTube-Star hat einen besseren Greenscreen zu Hause als das, was uns Dogs of Berlin als Szenen aus einem echten Fußballstadion verkaufen will. Der Ton ist in manchen Momenten nicht synchron mit den Lippenbewegungen der sprechenden Figuren. Wenn der seltene Fall eintritt, dass ein Dialog mal nicht so klingt, als sei er von einem Twitter-Bot geschrieben, wird er dadurch kaputt gemacht, dass die Kamera willkürlich dramatisch auf Gesichter zoomt. Und sollten wir als Zuschauende vergessen haben, was eine Szene vorher passiert ist, bekommen wir aus dem Off nochmal die Gesprächsfetzen eingespielt, die die Person dazu gebracht haben, das zu tun, was sie gerade tut. Der absolute Gipfel sind allerdings die Storylines.

Wer die Serie komplett unvorbelastet gucken will, sollte jetzt nicht weiterlesen. Große Plot-Twists verraten wir allerdings nicht.

6. Der Mord am Fußballstar

Orkan Erdem (Cino Djavid), deutscher Fußballstar mit türkischen Wurzeln, liegt tot in einem Gebüsch in Marzahn. Sein Mord soll der Auslöser dafür sein, dass Berlin eine Woche später in Flammen steht. Für eine junge Polizistin und ihren Kollegen ist er aber nur irgendein Unbekannter, der zur falschen Zeit am falschen Ort war. Sie erkennen den bekanntesten Fußballspieler Deutschlands nicht, der am nächsten Tag im Länderspiel gegen die Türkei auf dem Platz stehen soll und deswegen in allen Medien ist. Auf die Idee, den Geldbeutel des Toten aufzuheben und nach seinem Personalausweis zu suchen, kommt niemand. Nur der korrupte LKA-Beamte Kurt Grimmer (Felix Kramer), der zufällig in der Nähe war und mit dem Baby seiner Geliebten Biene (Anna Maria Mühe) auf dem Arm am Tatort vorbeischaut. Er nutzt die Chance, den Fall an sich zu reißen, die Tat vorerst geheim zu halten und sehr viel Geld darauf zu setzen, dass Deutschland gegen die Türkei verliert. Nur eine Sache macht ihm so ein bisschen Sorgen: Wird die Öffentlichkeit nicht misstrauisch, wenn Erdem ein Wochenende lang nichts auf Instagram postet?

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Anscheinend nicht, denn auch dieses Problem verschwindet einfach, niemand nimmt mehr darauf Bezug. Stattdessen taucht ein anderes Problem auf: Erdem ist anscheinend gar nicht mehr der beste Spieler der Nationalelf, sein Ausfall hat keinerlei Auswirkung darauf, dass Deutschland die bessere Mannschaft hat. Hätte sich Grimmer darüber informieren sollen, bevor er viel Geld setzt? Ja. Wundert es, dass er es natürlich nicht getan hat? Nein. Sonst hätten Dogs of Berlin schließlich mehrere dramatische Kamerafahrten und sinnlose Autofahrszenen unter Zeitdruck gefehlt.

5. Die Neonazis aus Marzahn

Um Geld auf die Niederlage Deutschlands setzen zu können, braucht Kurt Grimmer Geld. Und er hat keins, deswegen stattet er seinem Bruder Ulf (Sebastian Zimmler) einen Besuch ab. Der ist nach wie vor Teil der Neonazi-Bruderschaft, aus der Kurt vor Jahren ausgetreten ist, und soll ihm Geld aus der Vereinskasse leihen. Was er … tut. Seine Nazikumpels sind darüber nicht sonderlich erfreut, was einen weiteren ungenügend auserzählten Konflikt aufmacht. Wem fühlen wir uns mehr verpflichtet: Unserem eigenen Fleisch und Blut oder der Familie, die wir uns selbst gewählt haben?

Unerklärt bleibt auch, was die Neonazi-Bruderschaft eigentlich den ganzen Tag so tut, wenn sie sich nicht gerade über den Inhalt der Vereinskasse streitet. Ist sie eine tatsächliche Bedrohung für Berlin? Welche konkreten Ziele verfolgt sie? Veranstaltet sie Mahnwachen oder Kundgebungen, bedroht sie Menschen mit Migrationshintergrund und linke Politiker? Keine Ahnung. Nach dem verlorenen Länderspiel wird sich lose zum Randalieren verabredet, theoretisch könnten die Mitglieder aber auch ein rassistischer Fußballfanclub oder ein Bastelverein für verfassungsfeindliche Flaggen sein. Welche Funktion Kurt in der Vereinigung hatte und welche Rolle seine Nazi-Mutter Eva (Katrin Sass) nun genau spielt, wird auch nicht erklärt. Dafür erfahren wir, was die schlimmste Strafe ist, die es für Verräter in Heil-Hitler-Kreisen gibt: Tritte in die Eier.

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4. Der erfundene Problembezirk Kaiserwarte

Eine Sache muss man der Nazi-Storyline zugute halten: Sie spielt in einem realen Berliner Bezirk. Marzahn gibt es, liegt tatsächlich im Osten und hat ein ganz reales Problem mit rechter Gewalt und Perspektivlosigkeit. Das ist, bei aller Überzeichnung, authentisch. Umso unverständlicher, dass große Teile von Dogs of Berlin in einem vermeintlichen Problembezirk spielen, den sich die Verantwortlichen einfach ausgedacht haben. "Kaiserwarte" soll das sein, was Neukölln für 4 Blocks ist. Ein Beispiel für eine Parallelgesellschaft, in der Clans regieren und es No-Go-Areas gibt, die von der Polizei nicht betreten werden dürfen. Und weil das "Überschreiten einer Linie", einer "Grenze" so eine schöne Metapher ist, die man dramatisch inszenieren kann, ist die No-Go-Area mit roter Sprühfarbe markiert. Ja, wirklich.

Warum "Kaiserwarte" und nicht Kreuzberg, wo doch viele Szenen ganz offensichtlich dort gedreht wurden? Das müsst ihr Serienmacher Christian Alvart fragen. Ähnlich relevant ist die Frage, wie sich das denn nun genau darstellt, so ein Aufwachsen in der No-Go-Area. Grimmers Polizeipartner Erol Birkan (Fahri Yardım) spricht zwar ständig darüber, es dort rausgeschafft zu haben, warum man da aber unbedingt weg muss, außer dass es dort wie überall in Berlin Kriminalität gibt, erfahren wir nicht. Der konstruierte Kiez bleibt abstrakt – und selbst die obligatorischen Shisha-Bar-Szenen sehen nicht aus, als wären sie in einer echten Shisha-Bar gedreht worden.

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3. Der rappende Teenager

Serien über Gangs brauchen Deutschrapper. Auch das hat 4 Blocks vorgemacht, indem sie Veysel eine Hauptrolle gaben und Leute wie Gzuz zumindest mal böse guckend durchs Bild laufen durften. In Dogs of Berlin bekommt der Themenkomplex Rap aber gleich einen eigenen Handlungsstrang. Murad Issam (Mohammed Issa) ist 15 und wird von den Tarik-Amirs als Laufbursche genutzt. Sein eigentlicher Traum ist es aber, Rapper zu werden. Denn er hat krasse Flows und tighte Rhymes und so weiter, und deswegen hängen in seinem Kinderzimmer auch überall A4-Papierseiten mit Graffitischrift. Durch seine Connections zum Clan schafft er es bei einem Auftritt seines Idols Haftbefehl auf die Bühne und darf einen ganzen Part mitrappen.

Erst stockt er, wird panisch, bekommt kein Wort raus. Wir kennen das aus 8 Mile. Dann traut sich Murad schließlich doch noch, stolpert beeindruckend unbeeindruckend über den Beat (das kennen wir nicht aus 8 Mile) und die Menge vor der Bühne rastet komplett aus. Reale Situationen, in denen eine Rap-Crowd, die wegen Haftbefehl gekommen ist, auf einen schlechten Part irgendeines Typen aus dem Publikum ausgerastet ist: null. Nada. Nie. Ganz abgesehen davon, dass das Konzert schon lief, als Murad und sein Clan-Kumpel die Location betreten haben, während draußen aber noch sehr viele Leute in der Schlange standen. Gibt es nicht zumindest ein Thema, bei dem die Leute hinter Dogs of Berlin ein Mindestmaß an Authentizität zusammenkratzen konnten?

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Der kriminelle Clan in der Kaiserwarte aus Dogs of Berlin

Alle Screenshots aus dem YouTube-Video "Dogs of Berlin | Offizieller Trailer" von Netflix Deutschland, Österreich und Schweiz

2. Der kriminelle Clan

Das bringt uns dann auch direkt zum nächsten Punkt: den Tarik-Amirs. Die kontrollieren nämlich die Kaiserwarte, seitdem Erol Birkan ein kleiner Junge war. Mutmaßlich mit Drogengeschäften und Glücksspiel, auch wenn die Serie keine Zeit darauf verwendet, zu erklären, warum die Tarik-Amirs so wahnsinnig einflussreich geworden sind. Wo 4 Blocks die offensichtliche Doppelmoral zwischen übersteigerten Ehrbegriffen und organisierter Kriminalität offenlegt, ohne die Protagonisten dabei zu Karikaturen zu machen, setzt Dogs of Berlin Schauspieler mit Bart an einen Tisch und lässt sie einfach regelmäßig das Wort "Bruder" wiederholen. Die Clan-Mitglieder wirken nicht einmal dann bedrohlich, wenn sie mit Maschinengewehren im Kleinbus vorfahren und einen Anschlag auf ein verfeindetes Wettbüro verüben. Was auch daran liegen könnte, dass die Beteiligten wirklich sehr angestrengt böse aus der offenen Autotür gucken.

Die beste Clan-Szene findet übrigens direkt in der ersten Folge statt. Erol Birkan und sein Team wollen Clanchef Hakim (Sinan Farhangmehr) bei einer vermeintlichen Drogenübergabe festnehmen. Als Birkans Kollegin Rafika Masaad (Seyneb Saleh) auf Tarik-Amir zustürmt, fällt sie allerdings durch ein Loch im Boden, das unter einem Teppich versteckt war. (Again: Wir denken uns das nicht aus. Christian Alvart hat das geschrieben und gedreht und Netflix hat es abgenickt.) Birkan ist sofort klar: Der Clan hat sie erwartet. Die Kollegin landet im Krankenhaus, Tarik-Amir wird nicht festgenommen. Welche anderen Kindergartenfallen sich der Drogenboss sonst noch so ausgedacht hat, falls niemand dumm genug ist, auf den sehr auffällig platzieren Teppich zu treten, vielleicht ein Wassereimer über der Tür, vielleicht ein Furzkissen im wartenden Fluchtfahrzeug – unklar.

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1. Die unsäglich krampfige Hundemetapher

Das "Dogs" in Dogs of Berlin steht nicht für echte Hunde, zumindest nicht so richtig. Gut, Kurt Grimmer adoptiert den Beagle des verstorbenen Fußballstars, die Nazis haben einen ständig bellenden Boxer, und ein Türsteher kümmert sich um den weißen Schäferhund seiner Ex-Freundin – oder so. Außerdem scheint Erol Birkan eine komische Fokussierung auf Hundescheiße zu haben, die in der besten Szene der ganzen Staffel ihren dramatischen Höhepunkt findet. Die Hunde in der Serie sind aber natürlich die Menschen. Und weil das eine Metapher ist, die noch nicht zaunpfahlmäßig genug ist, erklärt Grimmer das am Ende der ersten Folge in einem Monolog, der gewollter nicht sein könnte.

Hunde werden "nie irgendetwas entscheiden", sagt er zu seiner überforderten Marzahner Polizeikollegin Petrovic (Alina Stiegler), die einfach nur wissen wollte, wo der gefundene Beagle wohl landen wird. Ob das Leben positiv oder negativ verlaufen wird, ob es Knochen oder Trockenfutter gibt, darüber bestimmen andere. "Der Hund geht zum Scheißen in die Hocke und denkt, er hätte etwas entschieden" sagt Grimmer mit seiner rauen Stimme, und damit redet er natürlich nicht mehr über den Beagle, er redet über die Menschen in Berlin, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten ums Überleben kämpfen. Und auch über sich. Auch er, Schauspieler Felix Kramer, und sein Kollege Fahri Yardım dachten wahrscheinlich, sie haben sich bewusst dazu entschieden, bei einem Serienhit mitzuspielen. Stattdessen sind sie gefangen in einer teuer produzierten Trash-Hölle. Und anders als bei einem Til-Schweiger-Tatort kann bei Dogs of Berlin die halbe Welt zugucken.

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