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Videotest bestanden: Das abhörsichere Quanteninternet ist möglich

Ein Videogespräch zwischen österreichischen und chinesischen Forschern läutet eine neue Ära in der globalen Kommunikation ein.
Screenshot:  ÖAW
Screenshot: ÖAW

Am Freitag gelang chinesischen und österreichischen Forschern das erste interkontinentale Videotelefonat mit Quantenverschlüsselung. Das Gespräch fand zwischen Chunli Bai, dem Präsidenten der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Beijing, und Anton Zeilinger, dem Präsidenten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien, statt. Verschlüsselt wurde das Gespräch über den Quantensatelliten Micius. Das Experiment liefert den ersten Beweis, dass ein globales Quanteninternet nicht nur möglich, sondern in greifbarer Nähe ist.

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Der Quantensatellit, der die abhörsichere Verschlüsselung möglich machte, war von Bai und seinen Kollegen bereits Mitte des vergangenen Jahres ins All geschickt worden. Seitdem wird Micius für quantenphysikalische Experimente zwischen Erde und Weltraum genutzt, die den Weg für ein weltweites Quanten-Kommunikationsnetz ebnen sollen. Denn anders als das herkömmliche Internet, soll das Quanteninternet absolut abhörsicher sein – was umso wichtiger wird, je mehr wir uns dem Zeitalter der Quantencomputer nähern.

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Schon heute bilden Satelliten auch ohne Quantenkommunikation die Grundlage für viele Internettechnologien, die wir täglich nutzen. Dazu zählen GPS-Systeme, Satellitenfernsehen, Geldautomaten sowie viele andere internetfähige Geräte, die das Internet of Things ausmachen. Über Satelliten werden Daten zwischen den vernetzten Geräten auf der ganzen Welt übermittelt. Sensible Daten, beispielsweise bei Banktransaktionen, werden dabei verschlüsselt übertragen. Die Algorithmen, die für die Verschlüsselung genutzt werden, basieren meist auf der Lösung komplizierter mathematischer Probleme, beispielsweise durch die Multiplikation astronomisch hoher Primzahlen.

Bisherige Verschlüsselungsmethoden der Satellitenübertragung gelten als sehr sicher, doch das könnte sich in naher Zukunft ändern, wenn die extrem leistungsfähigen Quantencomputer konventionelle Computersysteme ablösen.

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Herkömmliche Computer rechnen mit binären Bits; Daten werden also entweder als 1 oder als 0 gespeichert. Quantencomputer hingegen nutzen sogenannte Quantenbits, die sich nicht zwischen den Zuständen 1 und 0 entscheiden müssen, sondern theoretisch beide Zustände gleichzeitig einnehmen können. Praktisch bedeutet das, dass ein Quantencomputer um ein Vielfaches leistungsfähiger sein wird und unsere heutigen Verschlüsselungen ohne große Probleme knacken könnte.

Darum arbeitet die Wissenschaft seit Jahren fieberhaft daran, ein optimiertes Verschlüsselungssystem zu entwickeln, das auch den Quantencomputern standhalten wird. Eines der vielversprechendsten Verfahren ist dabei der sogenannte Quantenschlüsselaustausch. Bei diesem Prozess werden Lichtteilchen, also Photonen, verwendet, um einen herkömmlichen Algorithmus zu verschlüsseln.

Eine Anwendungsmöglichkeit des Quantenschlüsselaustauschs liegt in der sogenannten Verschränkung: Zwei unterschiedliche Teilchen, in diesem Fall Photonen, werden über große Distanzen miteinander verknüpft, indem sie dieselbe Schwingungsrichtung erhalten. Diese Schwingungsrichtung wird auch als Polarisation oder Quantenzustand bezeichnet. Durch die Verschränkung ist es so, als ob ein Teilchen an verschiedenen Orten zur selben Zeit existiert. Mittels dieser Verschränkung könnten Quantenschlüssel über das Quanteninternet zwischen zwei weit entfernten Orten ausgetauscht werden.

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Im Juni dieses Jahres gelang es den chinesischen Forschern erstmals, verschränkte Photonen vom Micius-Satelliten an zwei chinesische Bodenstationen zu übermitteln. Die verschränkten Photonen wurden an Bord des Satelliten generiert und dann mittels eines Lasers an die zwei Bodenstationen geschickt. Auf der Erde konnten die Quantenzustände der Photonen erfolgreich gemessen werden – somit war der Quantenschlüssel an zwei 1.200 Kilometer voneinander entfernte Orte auf der Erde übermittelt worden.

Quantenkommunikation per Lichtteilchen zwischen dem Observatorium Lustbühel in Graz und dem Satelliten "Micius" im Orbit im Zeitraffer | Credit: Johannes Handsteiner/ÖAW

Die Quantenschlüssel bieten gegenüber komplizierten mathematischen Gleichungen einen großen Vorteil: Sie sind quasi nicht zu hacken. Sollte ein Angreifer versuchen, den Quantenzustand des Photons zu messen, würde dieser sich verändern, und der Abhörversuch so sofort auffliegen.

Am vergangenen Freitag nutzten die Forscher den Micius-Satelliten dann erstmals für einen interkontinentalen Videoanruf, der durch einen Quantenschlüsselaustausch gesichert war. Laut einer Pressemitteilung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften war die Abhörsicherheit des Gesprächs durch die Quantenverschlüsselung "mindestens eine Millionen Mal höher als bei konventionellen Methoden der Verschlüsselung".

Bei dem Videoanruf wurde der Quantenschlüsselaustausch genutzt, um ein Videosignal zwischen Bodenstationen in Österreich und China zu verschlüsseln. Dafür wurden Photonen an Bord von Micius polarisiert und an die Bodenstation in der Nähe von Wien übermittelt, wo die Polarisation gemessen wurde. Dieser Quantenzustand wurde außerdem vom Satelliten in binären Code (also die Zustände 1 und 0) übersetzt und ebenfalls an die Station übermittelt. Daraufhin konnten die Wissenschaftler in der österreichischen Station ihre eigenen Messungen des Photons mit der binären Abfolge abgleichen. Bei abweichenden Werten hätten die Forscher gewusst, dass ein Angreifer versucht hatte, die Übertragung abzuhören.

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Derselbe Prozess wurde dann mit einem zweiten Quantenschlüssel zwischen dem Micius-Satelliten und der chinesischen Bodenstation durchgeführt. Nachdem sowohl die chinesischen als auch die österreichischen Forscher ihren individuellen Schlüssel verifiziert hatten, wurden beide Schlüssel von Micius kombiniert. Der so neu erzeugte dritte Schlüssel wurde sowohl an China als auch an Österreich übermittelt. Mit Hilfe ihres individuellen Quantenschlüssels und dem gemeinsamen Quantenschlüssel konnte nun jede der Bodenstationen das Videotelefonat kodieren und somit das erste interkontinentale Gespräch abhalten, dass durch Quantenverschlüsselung gesichert wurde.

"Der erfolgreiche Austausch von quantenverschlüsselter Information zwischen zwei Kontinenten verdeutlicht das enorme Potential dieser durch die Grundlagenforschung ermöglichten Technologie", gab Zeilinger in der Pressemitteilung nach dem erfolgreichen Quantentelefonat bekannt. Er ist überzeugt: "Ein weltweites und sicheres Quanteninternet rückt damit einen entscheidenden Schritt näher."

Vor dem Start von Micius hatte der Weltrekord für den erfolgreichen Einsatz von Quantenverschlüsselung noch bei einer Übertragungsdistanz von 100 Kilometern gelegen. Denn obwohl Photonen auch über Glasfaserleitungen übertragen werden können, ist es hier nicht möglich, die Verschränkung der Photonen – und somit die sichere Verschlüsselung – über längere Strecken aufrecht zu erhalten. Im Weltall und dank der Laserübertragung bleibt die Verschränkung hingegen intakt.

Die Zukunft des weltweiten Quanteninternets sehen Forscher deshalb in einer Kombination aus lokalen Quantennetzwerken auf der Erde und Quantensatelliten im All. Bis es so weit ist, werden mit Micius weitere wichtige Technologien getestet, die eines Tages ein abhörsicheres Quanteninternet für alle möglich machen sollen.