Wir haben Brenk Sinatra, Money Boy und andere Musikexperten gefragt, was gute Musik ist
Foto von Brenk Sintara von Kidizin Sane I Money Boy via YouTube

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Wir haben Brenk Sinatra, Money Boy und andere Musikexperten gefragt, was gute Musik ist

"Das beste Beispiel ist meiner Meinung nach Kollegah. Inhalt: Fragwürdig. Qualität: BÄM."

"Was ist gute Musik?" – eine der größten Fragen der Menschheit, die Frage, die uns nachts nicht schlafen lässt und das beliebteste Streitthema auf Homepartys. Ist die Musik von RIN gleich gut oder gar besser als ein Stück von Amon Amarth? Hat Pink je gute Musik gemacht? Warum finden deine Eltern deinen Musikgeschmack grundsätzlich beschissen und du ihren auch?

Wissenschaftler und Magazine lieben dieses Thema. Wie wir Sex haben, ja sogar unsere Persönlichkeit und ähnliche nicht so unwichtige Aspekte deines alltäglichen Lebens lassen sich anscheinend mit dem Musikgeschmack beantworten. Du diggst Rihanna? Laut diesen Studien bist du eine dumme Krachbirne. Sorry. Laut uns eh nicht, RiRi for life. Britische Wissenschaftler haben auch 2016 das nicht unumstrittene MUSIC-Modell entwickelt, welches davon ausgeht, dass sich unser Musikgeschmack unseren Bedürfnissen anpasst. Und diese sind – laut den Wissenschaftlern – vom Alter abhängig. Studien, die vom Musikgeschmack auf die Intelligenz oder den Bildungsstand schließen, gibt es sowieso auch en masse.

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Jeder befindet Dinge für gut oder schlecht und manche können das begründen. Aber was ist gute Musik? Ist gute Musik von Harmonien bestimmt oder von Einzigartigkeit? Ich habe diese sehr simple und mit Absicht vereinfachte Frage verschiedenen Menschen gestellt. Manche von ihnen sind selbst Musiker, andere arbeiten intensiv mit Musikern zusammen. Die Fragen lauteten: "Was ist gute Musik? Und was ist qualitativ hochwertige Musik?"

Bettina Schöll, operative Geschäftsführerin von dem Label Ink Music

Es ist wie in der Bildenden Kunst: Gefällt mir ein blaues Bild, ein Pissoir oder dann doch eher Millionen Punkte aneinander gereiht besser? Allem liegt eine besondere Idee zugrunde, eine gewisse Technik, aber auch – im Nachhinein gesehen – ein großer Name. Ob einem das nun gefällt oder nicht, obliegt jedem selbst. Mit dem Begriff "qualitativ hochwertig" drängen sich mir direkt Begriffe und Floskeln wie "sein Handwerk bis ins kleinste Detail verstehen", "studierte/r Musiker/in", "besondere Instrumente" oder "Perfektion" auf – das ist aber meiner Meinung nach nicht unbedingt gleichbedeutend mit "guter" Musik.

"Gute" Musik unterliegt einer höchst subjektiven Definitionsfrage. Wenn etwas "gut gemacht" ist, bedeutet dies nicht automatisch, dass es auch als "gut" empfunden wird. Wenn ich allgemeinere Parameter für mich definieren müsste, wären dies wohl klare Grundstrukturen und Elemente, die einen nicht mehr loslassen – im positiven Sinne – beziehungsweise der Aufbau des Songs selbst. Authentizität zwischen Interpret und Werk, aber auch das Live-Erlebnis sind von großer Bedeutung, wie Musik wahrgenommen wird.

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Auf professioneller Ebene reicht es bei der Auswahl neuer Musik aber oftmals nicht (mehr), dass es "gut" ist – da ist gut, nicht gut genug. Musik muss den gewissen besonderen Moment innehaben, damit sie sich vom Rest am Markt, der voller "guter" Musik ist, abhebt. Aus Sicht einer Musikagentur, muss Musik das Potential haben, über ein gewisses Level oder Grenzen hinaus zu gelangen. Die Einschätzung dieses Potentials obliegt allerdings auch wieder sehr subjektiven Reaktionen (z.B. das "Bauchgefühl" beim ersten Mal Hören) in Verbindung mit bekannten Marktparametern: Songaufbau, Aussprache, Genre, Außenwirkung und so weiter.


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Brenk Sinatra, ein großartiger Produzent

Da es sich für mich bei qualitativ hochwertiger und guter Musik um dieselben Attribute handelt, beantworte ich beide Fragen zugleich. Gute Musik ignoriert Trends, weil sie diese bestenfalls kreiert. Für mich ist bei Musik vor allem der Vibe ausschlaggebend. Wenn der Vibe mich catcht, ganz egal ob es sich bei dem Track um Gangster-Rap oder Krautrock handelt, bin ich Fan. Gute und qualitativ hochwertige Musik ist authentisch und echt, sie nimmt einen immer auf eine Reise mit, ganz egal ob nach Compton oder in den Weltraum.

Ich höre wirklich sehr viel verschiedene Musik, meine Tipps würden somit den Rahmen sprengen. Vor allem, ohne sich auf ein konkretes Genre beziehen zu müssen, tu ich mir da etwas schwer. Meine unendliche Empfehlungsliste reicht von YG oder Dom Kennedy bis hin zu Rick Wakeman oder Soft Hair.

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Viktor Sohm, Mitglied der Band It's the Lipstick on your Teeth

Gute Musik ist das, was du gerade gut findest. Als Gedankenspielerei können wir auch versuchen, das Ganze zu abstrahieren. Erstmal unterteilen wir Musik in Entertainment und Kunst. Entertainment macht einfach Spaß und ist von jedem Anspruch an Anspruch befreit. Kunst beschäftigt sich meistens mit einer neuen Kontextualisierung bekannter Emotionen oder dem reinen überschreiten von Grenzen. Die beiden Mengen überschneiden sich mehr oder weniger, meistens abhängig von Pegel und Uhrzeit. Möglichst objektiv beurteilt wäre gute Musik wohl etwas, das sowohl dem Entertainment als auch Kunstanspruch genüge wird und sich nicht blamiert oder selbst disqualifiziert.

"Die beiden Mengen überschneiden sich mehr oder weniger, meistens abhängig von Pegel und Uhrzeit."

Etwas greifbarer und beispielhafter: Bei einem durchschnittlichen Radiohead-Fan sind die Kunst- und Entertainment-Mengen komplett überlappend – sie können trashigen Spaßtechno nicht mal im Ironiekeller gut finden. Auf der anderen Seite gibt es genug Menschen, die eine sehr fundierte Meinung über jede obskure Strömung an Krachmusik haben, aber gleichzeitig bei Cascada mitschreien. Das geht so weit, dass man sowohl Kunst als auch Entertainment (vulgo oft Trash) unabhängig voneinander sehr hart kultiviert. Am Ende kommt man immer zum gleichen Konklusio: Gute Musik ist das, was du gerade gut findest.

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Money Boy/ YSL Know Plug, Rapper und Gründer der Glo Up Dinero Gang

Musik ist meiner Meinung nach dann gut, wenn sie mir gut gefällt. Das Instrumental und die Vocals müssen dope sein. Gute Musik hat einen hohen Replay-Value. Richtig gute Songs will ich mir zwei oder drei Mal hintereinander anhören. Die Musik macht, dass Glückshormone in meinem Körper ausgeschüttet werden.

Es gibt Songs, die feiert man beim ersten Hören. Aber nachdem man das Lied ein paar Mal gepumpt hat, ist es langweilig. Sehr gute Songs gehen einem nicht aus dem Kopf und man will sie Wochen oder Monate nach dem Release noch immer hören.

Fullip, Psytrance-DJ und Veranstalter von den Deeprog-Partys in Wien

Solange es jemanden gibt, der Freude daran hat, es sich anzuhören ist es ein "guter" Track. Was qualitativ hochwertige Musik ist, ist eine völlig andere Baustelle. Für mich geht es dabei in erster Linie um Produktionsqualität. Gute Aufnahmequalität, guter Mix, gute Ideen und gutes Mastering machen, meiner Meinung nach, qualitativ hochwertigen Sound aus. Natürlich gibts auch Genres, in denen schlechte Produktionsqualität als Stilmittel verwendet wird (was ich ein bisschen seltsam finde), aber das fällt wohl unter die Kategorie "Ideen".

Das beste Beispiel ist meiner Meinung nach Kollegah. Ich feiere ihn zwar so ein bisschen, weil diese übertriebene Selbstverherrlichung lustig ist, kann aber eigentlich mit Gangsterrap relativ wenig anfangen. Wenn man sich aber eines von den neueren Liedern anhört und am besten noch das Video dazu ansieht, denkt man sich nur: WOW. Man hört richtig das Geld, das in die Produktion geflossen ist. Jede Kleinigkeit ist bis zu Perfektion abgemischt und jede Note auf das Zielpublikum abgestimmt. Für die Videos gilt dasselbe. Inhalt: Fragwürdig. Qualität: BÄM.

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Dr. Univ.-Prof. Christoph Reuter, Musikwissenschaftler

Ich fürchte, ich kann aus wissenschaftlicher Sicht nicht viel Produktives beitragen. Ob eine Musik als gut oder schlecht empfunden wird, ist ja eine Geschmacksfrage, die von sehr vielen Faktoren abhängig ist. Neben den Persönlichkeitsmerkmalen (z.B. "Big Five": Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit) sind hier natürlich auch die musikalischen Vorerfahrungen zu nennen, sowie auch die Situation, in der sich der/die HörerIn gerade befindet: Die gleiche Musik kann für die gleiche Person – je nach Situation – "gut" und daher passend sein, oder "schlecht" – also nicht zur Situation passend.

Es ist schwierig bis unmöglich, etwas "Wissenschaftliches" zur Musik zu sagen, wenn man mit wertenden Kriterien wie "gut" oder "schlecht" an diese herangeht.

Ähnlich verhält es sich, wenn ich eine Antwort auf die Frage finden soll, ob "man populäre Musik mit klassischer, komplexer Musik vergleichen" kann. Auch hier sind die Grenzen fließend und es kommt darauf an, welchen Aspekt man vergleichen möchte: Beide Genres beinhalten ein gleichmäßiges Metrum, Dur-Moll-Harmonik, bestimmte strukturelle sich wiederholende Merkmale (z.B. Strophenform), virtuose Passagen etc. Klassische Musik muss nicht unbedingt komplexer sein als populäre Musik (z.B. beim Vergleich von Beethovens "Für Elise" mit Mr. Bungles "Carousel" ist letzteres weitaus komplexer und beide Stücke verdienen eine gewisse Hochachtung vor Komponist und Musikern). Und "komplex" muss auch nicht immer gleichbedeutend mit "gut" sein, ebenso wie "einfach" nicht immer gleich "schlecht" bedeuten muss.

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Musik, die ich persönlich für gut halte (völlig außerhalb wissenschaftlicher Kriterien, einfach nur deswegen, weil sie mir situationsunabhängig Freude bereitet) wären z.B. "Der Anfang ist nah" von Käptn Peng & Die Tentakel von Delphi, "Canto Ostinato" von Simeon Ten Holt, "The Moon is Distant from the Sea" von David Childs, "Die Trompeten von Mexiko" von Helge Schneider und "Djavolce" von Sandi Lopicic Orkestar.

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Fredi hat Twitter: @schla_wienerin

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