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Zu Besuch bei den deutschen Ermittlern, die gerade eine Darknet-Plattform für Kinderpornografie abgeschaltet haben

Wir haben den Sonderermittlern in Gießen bei der Arbeit über die Schulter geschaut, die nun dem mutmaßlichen Betreiber von "Elysium" auf die Spur kamen.
Bild: Shutterstock

Dem BKA ist es gelungen, die Pädophilie-Plattform "Elysium" abzuschalten und den mutmaßlichen Betreiber der Plattform festzunehmen. Wir haben den Sonderermittlern der Gießener Zentralstelle Internetkriminalität bereits 2016 einen Besuch abgestattet. Wie die Ermittler gegen Kinderpornografie im Deepweb vorgehen und Tätern auf die Schliche kommen, lest ihr in unserer Recherche:

Mit lauter Blasmusik gegen die Bilder im Kopf. Staatsanwalt Dr. Krause beschäftigt sich seit Jahren mit Kinderpornografie. Ermittlungen gegen Online-Pädophilie sind inzwischen zu seinem Spezialgebiet geworden. Zu seinen Aufgaben zählt dabei eben auch, die Bilder der Täter zu sichten und auf Veränderungen im Material zu achten. Die Opfer werden jünger, das Material härter und aufgrund der hohen Nachfrage auf den entsprechenden digitalen Handelsplattformen gelangt immer neues Material in Umlauf.

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Dr. Krause arbeitet bei der Zentralstelle Internetkriminalität, kurz ZIT, wie sie in Ermittlerkreisen genannt wird. Die ZIT ist die erste Sondereinheit unter den deutschen Staatsanwaltschaften, die sich ausschließlich der Bekämpfung von Online-Kriminalität widmet. Die untersuchten Tätigkeiten reichen von illegalem Handel im Darknet, über Hacking bis zur Kinderpornografie. Erst vor kurzem war die ZIT an Ermittlungen beteiligt, die zur Festnahme eines Mannes führten, der seine neunjährige Tochter missbrauchte und davon Fotos ins Internet stellte. Auch für einen Schlag gegen den digitalen Waffenhandel war das ZIT in den vergangenen Monaten verantwortlich: Sie kam dem 24-jährigen Schwaben auf die Spur, der unter dem Pseudonym "Gunny" gerade dabei war, ein größeres Waffengeschäft aufzubauen.

"Wichtig ist gerade im Bereich Kinderpornografie, die Arbeit nicht mit nach Hause zu nehmen. Man muss einen professionellen Umgang damit haben". Krause hat über die Jahre einen Prozess erlebt, den er als eine Art Abstumpfen beschreibt. Und doch wird es auch dem jungen Profi irgendwann zu viel. Sein Rezept dagegen: laute Musik, Blaskapellen oder Klassik. Offenbar nicht der Musikgeschmack aller Juristen. "Irgendwann rufen die Kollegen dann schon mal genervt rüber, dass ich das mal ausmachen soll," schmunzelt Krause, als Motherboard ihn an seinem Arbeitsplatz besucht.

Die Kollegen, das sind drei weiteren Staatsanwälte bei der ZIT. Das Durchschnittsalter liegt bei 40 Jahren, ziemlich jung im Vergleich zu anderen Staatsanwaltschaften. Sie beraten die Polizei bei den Ermittlungen und achten darauf, dass rechtlich alles sauber ist. Sonst bricht im schlimmsten Fall die Anklage vor Gericht zusammen, der Täter entgeht einer Strafe und alle Ermittlerarbeit war umsonst. Es ist also eine intensive Zusammenarbeit in der kleinen Einheit, Teamgeist und Verlässlichkeit sind da unabdingbar, denn die Arbeitszeiten sind nicht nur lang, sondern erstrecken sich auch schon mal auf das Wochenende, auch da finden Festnahmen statt. Kein nine-to-five Job für einen typischen Beamten.

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Zwei der Staatsanwälte vom ZIT. Alle Bilder: Anna Neifer

Gegründet wurde die ZIT im Jahre 2010. Häufig gibt es im Bereich Cybercrime zunächst keinen physischen Tatort, auch wo die Täter sitzen, ist häufig unklar. Wer ermittelt zum Beispiel, wenn die Polizei illegale Waffenverkäufe registriert, aber nicht weiß, wo die Personen hinter den Darknet-Pseudonymen leben? Eigentlich wären solche Dinge Ländersache, aber wenn das Bundesland noch nicht bekannt ist, springt die ZIT in die Bresche, die solche Fragen ermitteln und später an die zuständigen Staatsanwaltschaften im jeweiligen Bundesland weitergeben.

Der Staatsanwalt Ungefuk hat sich auf die internationale Zusammenarbeit mit Justiz- und Polizeibehörden spezialisiert, wie etwa dem FBI und der Homeland Security in den USA. Die Operation Onymous, die das Ende von Silk Road 2 und vielen anderen Darknet-Marktplätzen markiert, lief etwa gemeinsam mit den Partnern in Amerika. Eine solche Zusammenarbeit bedeutet, dass man auch trotz Zeitverschiebung erreichbar sein muss. Ungefuk ist besonders viel unterwegs, und neben drei Bildschirmen steht auch noch ein Laptop auf seinem Schreibtisch. "Gut verschlüsselt, auch für den Fall, dass der mal liegen bleibt." Das sei bei der Frequenz der Treffen nicht immer auszuschließen. Termine, die von Brüssel über Hannover nach Berlin führen, seien auch an einem Tag mal möglich.

Das ZIT-Team gibt Schulungen, hält Vorträge und hat sich ein weltweites Netz an wertvollen Kontakten erarbeitet. "Wenn es mal brennt und international schnell gehen muss, können wir nicht über mehrere Wochen oder gar Monate ein Rechtshilfeersuchen über zig Behörden auf dem sonst üblichen schriftlichen Weg laufen lassen. In der Zeit geht uns wertvolles Material verloren," sagt Ungefuk. Denn das Internet verändert sich ständig. Innerhalb kurzer Zeit können wertvolle Hinweise und Spuren der Täter unwiderruflich verloren sein.

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Die Außenstelle der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt: Die ZIT in Gießen. Bild: Anna Neifer.

Mit welchen Methoden die Ermittler den illegalen Deals mit Waffen und Arzneimitteln im Darknet auf die Schliche kommen, behalten die Staatsanwälte natürlich für sich. Klar ist, dass auch die Ermittler für ihre Arbeit im Darknet surfen—recherchiert wird mit dem Tor-Browser. Welche Seiten die Ermittler besuchen, und was sie im Deepweb machen, verrät die ZIT aus ermittlungstaktischen Gründen nicht öffentlich. Ungefuk lässt aber durchblicken, dass sich Täter offenbar viel zu lange dem Irrglauben der absoluten Anonymität hingegeben haben, allein durch die Nutzung eines Tor-Browsers.

"Ab 25 € kann man sich eine Identität für eine Packstation im Darknet kaufen. Über solche Konstrukte werden viele Einkäufe abgewickelt. Gerade an dieser Schnittstelle zwischen Virtualität und Realität setzen wir an, wenn also tatsächlich Waren von A nach B transportiert werden", umschreibt Ungefuk mögliche Ermittlungsansätze gegenüber Motherboard. Solche Drops, also Packstation-Postfächer unter falschen oder geklauten Identitäten, erfreuen sich unter Cyberkriminellen großer Beliebtheit. Auch der Online-Großdealer Shiny Flakes nutzte Drops—vor einer Festnahme haben sie den 20-jährigen Leipziger nicht bewahrt. Trotzdem werden Drops im Darknet weiter genutzt und gehandelt.

"Am Ende haben wir es mit Menschen zu tun und die hinterlassen eben Spuren und machen Fehler," sagt Ungefuk. Durch eine genaue Analyse der Strukturen und Lücken könnten so mit kreativen Lösungen die Täter trotz falscher Identitäten und Verschlüsselung identifiziert werden. Die Prozesse gegen deutsche Cyberkriminelle, wie den Schweinfurter, der europaweit Waffen verschickte, zeigen, dass es häufig ein Puzzle aus einer Vielzahl an Beweisen und Indizien ist, die den Online-Kriminellen zum Verhängnis wird.

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Unter den Internet-Kriminellen beobachten die Ermittler vor allem zwei Gruppierungen. "Zum einen sind das Einzeltäter, die in kleinem Umfang illegalen Handel betreiben, eher unter dreißig sind und sich scheinbar gar nicht klar machen, was ihr Handeln für Konsequenzen hat. Die Kombination aus Handel mit Kokain oder anderen Drogen und dem Besitz einer echten oder umgebauten Waffe kann ihnen schon mindestens fünf Jahre Gefängnis einbringen.", erläutert Ungefuk. "Diese Leute könnten niemals im Milieu auf der Straße ein Territorium verteidigen oder gar dort verkaufen", erklärt Ungefuk.

Zum anderen gäbe es da aber auch gut organisierte Strukturen, die durch geschickte Arbeitsteilung im großen Stil Handel betrieben. "Wir sehen eine Übertragung der klassischen Kriminalität auf das Internet, wobei der Bereich Cyberkriminalität meiner Einschätzung nach der dynamischste und am schnellsten wachsende Kriminalitätsbereich ist," sagt der Sprecher der Generalanwaltschaft Frankfurt, Oberstaatsanwalt Alexander Badle.

Zum Job der ZIT gehoren auch Vorträge und Präsentationen für Kollegen halten Kopie

Das Geschäft ist so schnelllebig, dass die geschaffenen Strukturen des Justizsystems und die aktuellen Entwicklungen im Bereich Cyberkriminalität immer stärker auseinanderdriften. Das förderale System in Deutschland bringt einen Nachteil mit sich. "Wir müssen die Fälle wieder abgeben. In Ausnahmen sind wir auch bei der Festnahme der Täter dabei, aber spätestens danach geben wir die Ermittlungsverfahren schnellstmöglich und abgestimmt an die örtlich zuständigen Staatsanwaltschaften ab," sagt Ungefuk. Es klingt etwas bitter, denn die Staatsanwälte haben mitunter über Monate Informationen und Erkenntnisse zusammen getragen, sich tief in kriminelle Strukturen und Gruppierungen eingearbeitet. Und schließlich bleibt nichts mehr zu tun, als alles in eine Akte zu schreiben und den übernehmenden Kollegen zu übergeben. Also werden dicke Papierstapel per Post durch Deutschland geschickt. Hier wird die moderne Cyber-Staatsanwaltschaft wieder analog, denn elektronische Akten gibt es noch nicht. Dennoch ist das Team von der ZIT mit der Abgabe des Falles nicht aus der Welt. "Wir sind auch danach Ansprechpartner für die Kollegen. Mein Eindruck ist allerdings, dass Rückfragen an uns etwas zurückgehen. In den anderen Bundesländern bekommen wir immer mehr Mitstreiter, also Staatsanwaltschaften die ebenfalls einen Schwerpunkt auf Cyberkriminalität legen," erklärt Krause.

Die Voraussetzungen in das erlesene Team in Hessen aufgenommen zu werden sind anspruchsvoll. Krause und Ungefuk haben eine normale juristische Ausbildung durchlaufen, hinzu kam das persönliche Interesse der beiden für Fälle im Bereich der Cyberkriminalität. "Es muss ja nicht nur fachlich, sondern auch persönlich passen," sagt Badle. Derzeit ist das Team der ZIT ein reiner Männerclub, genau eine Frau kann das ZIT in seiner Geschichte bislang auf seinem Konto verbuchen. "Eine brillante Kollegin", wie der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft anerkennend urteilt. Der Frauenmangel sei allerdings eher zufällig zu erklären—leider so zufällig, wie die Personalplanung im Justizbetrieb insgesamt ablaufe, bedauert Badle.

Eine strategische Anwerbung von Fachkräften gäbe es nicht. So kann die ZIT am Ende nur darauf hoffen, dass auch in Zukunft der Zufall ihnen technik- und internetinteressierte Kräfte zuspült. Über Mundpropaganda, über Bekanntschaften auf Konferenzen und über Hinweise von Kollegen. Nicht immer ein leichtes Unterfangen, denn die freie Marktwirtschaft bietet potentiellen Mitarbeitern vor allem ein verlockendes Gehalt. Womit hält der Staat dagegen? "Es sind vor allem unglaublich interessante Themenfelder, keine Woche ist planbar. Es kann jederzeit passieren, dass sich etwa über einen Post plötzlich neue Hinweise ergeben, die wir sofort verfolgen müssen," sagt Krause. Kaum etwas wandelt sich so schnell wie das Internet, das gilt auch für die Kriminalität, die sich online abspielt.

Dieser Artikel ist zuerst am 22. April 2016 unter der Überschrift "Hinter den Kulissen bei Deutschlands besten Internet-Ermittlern" erschienen und wurde von uns aktualisiert.