Rapper Amewu und Alexander Gauland und Beatrix von Storch bei AfD Demo in Berlin
Fotos: imago | Jakob Hoff | epd

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Rechtesextremismus

Amewu erzählt, was er in der ersten Reihe einer AfD-Demo zu suchen hatte

"Ich kann sogar etwas Gutes aus den Nazi-Aufmärschen ziehen: Wenigstens kann mir jetzt keiner mehr erzählen, dass ich mir die Scheiße einbilde." – Amewu

"Es ist nicht so, wie es aussieht." Ein Bonmot, das so gut wie jeder schon mal gestammelt hat – in glücklicheren Fällen im Spaß, in weniger glücklichen Fällen in der Hoffnung, beim Gegenüber zumindest noch mit Selbstironie punkten zu können. Als im Zuge der großen AfD-Demonstration "Zukunft Deutschland" in Berlin Ende Mai ein Foto auftauchte, schoss uns direkt dieser Satz in den Kopf. Darauf erkennt man einen winzigen, resigniert dreinblickenden Punkt im Deutschlandfahnenmeer als den Rapper Amewu.

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Amewu als zorniger Wutbürger, der mit erhobener Faust gegen "die Ausländer", die "Lügenpresse" und diese "verdammten Schmarotzer" ankämpft? Amewu, der anschließend mit Gisela und Heinz die gläsernen Sternburg-Flaschenhälse triumphierend aneinander plingen lässt? Schwer vorstellbar.

Amewu ist nämlich ein klassischer "Vorzeigerapper", der nicht nur gut und klug darüber rappt, wie man die Welt verbessern könnte, sondern auch noch verdammt schnell. Privat gab er Rap-Workshops für Kinder in Problembezirken und engagierte sich für die Besetzer der Gerhart-Hauptmann-Oberschule in Berlin.

Es kann also unmöglich so gewesen sein wie es aussieht. Wie war es aber dann? Wir haben Amewu gefragt, wie es zu diesem Foto gekommen ist.

Noisey: Wie kam es zu diesem Bild während der Demo in Berlin?
Amewu: Eigentlich wollte ich mit meiner Mutter zur AfD-Gegendemo gehen. Direkt beim Ausgang vom Hauptbahnhof, wo die Demo startete, hatten die AfD-Leute ein Pult aufgebaut, an dem sie ihre Reden halten konnten. Ich stand da zufällig in der Nähe und wollte mir das einfach aus Interesse mal anhören. Ich musste dann erstmal ein bisschen mit der Polizei rumdiskutieren, weil die mich nicht durchlassen wollten. Schließlich haben sie mir doch geglaubt, dass ich aus aufrichtigem Interesse dort hin möchte und haben mich durchgelassen.

Und was hast du dann gemacht?
Nachdem die Reden vorbei waren, war die Gegendemo in der Zwischenzeit schon richtig weit weg und alles abgesperrt. Also dachte ich mir: OK, bevor ich mir den Stress mache, wieder zu den anderen zurückzukommen, ist es vielleicht ganz interessant, einfach mal zu gucken, wer bei der AfD-Demo so mitläuft und wie die auf mich reagieren. Irgendwann stand ich dann auf der Brücke und dieses Foto wurde gemacht.

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Wie haben die AfD-Demonstranten auf dich reagiert?
Sehr unterschiedlich. Ich habe schon ab und zu erschrockene und geschockte Blicke geerntet. Dann gab es die Kandidaten, die mich böse angeguckt und abgecheckt haben. Ich habe denen angesehen, dass es nicht gut für mich ausgehen würde, wenn ich die in einem anderen Kontext treffen würde. Ich hab da in Deutschland ja auch schon meine Erfahrungen gemacht.

Welche denn?
Einmal zum Beispiel sind mir drei Nazis mit Eisenstangen hinterhergelaufen und ich hätte mir durchaus vorstellen können, dass die mich totgeschlagen hätten, wäre ich da nicht rausgekommen.

"Ich habe früher Rap-Workshops gegeben, in denen auch Leute mit rechter Gesinnung saßen"

Wie hast du dich dann während der Demo verhalten?
Ich habe nicht mit denen diskutiert. Ich hatte nicht das Gefühl, dass dies der Kontext ist, in dem das Sinn gemacht hätte. Da wurden Parolen gebrüllt und keine ernsthaften Diskussionen gesucht. Sowas macht mehr Sinn, wenn man in einer kleineren Gruppe ist oder mit einzelnen Personen zu tun hat.

Eine berechtigte Frage ist ja, ob es überhaupt Sinn ergibt, mit Neonazis oder Leuten rechter Gesinnung zu reden.
Das Problem an der Frage ist, dass das eine sehr große Gruppe umfasst. Für mich ist der Begriff "Nazi" oder "Rechter" sehr allgemein. Er wird auf sehr viele unterschiedliche Menschen mit sehr unterschiedlichen Positionen angewendet. Mit Leuten zu reden, die ihr Leben lang hardcore Nazis waren, bei denen das ideologisch tief verankert ist, mit denen zu reden, wird selten etwas bringen. Gleichzeitig gibt es aber auch Leute, die man noch abholen kann. Ich habe früher in Berlin-Marzahn Rap-Workshops gegeben, bei denen auch Leute mit rechter Gesinnung mit drin saßen, zu denen ich aber einen Zugang hatte. Da hat es durchaus Sinn gemacht, mit denen zu reden. Das gilt auch für Leute, die man in seinem Freundeskreis hat und bei denen man merkt, dass sie komische Ansichten entwickeln.

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Eine "Allen Nazis auf die Fresse"-Rhetorik find ich schwierig, besonders wenn nicht klar ist, wen man damit eigentlich meint.

Also AfD-Wähler nicht direkt aus der Facebook-Freundesliste löschen?
Das stoppt halt den Dialog. Vor allem geht es mir dabei weniger um die Leute auf Facebook, sondern offline im echten Leben.

Aber dass die AfD auch mit Neonazis zusammenarbeitet, ist inzwischen klar belegt. Die Leute wissen doch ganz genau, mit wem sie da marschieren. Auch wenn da natürlich nicht alle den 20. April mit Kuchen feiern.
Ich habe keine perfekte Antwort darauf. Aber ich bin überzeugt, das Problem ist nicht nur die AfD. In den 90er Jahren haben schon Heime gebrannt. Als Antwort auf den Pogrom in Rostock Lichtenhagen wurde das Asylgesetz verschärft. Es ist nicht so, als ob die CDU, CSU oder auch SPD vor AfD-Zeiten nicht schon beschissene Politik gemacht haben und es noch heute tun.

Können wir es uns heute überhaupt noch leisten, unpolitisch zu sein?
Ich würde sagen, nein. Wobei unser politischer Aktivismus natürlich oft luxuriös ist. Wir können uns meistens aussuchen, wann wir demonstrieren wollen und wann es uns gerade nicht so gut in die Abendplanung passt. Wir sind schließlich nicht davon bedroht, aus dem Land geschmissen zu werden. Andere können sich das nicht aussuchen. Ich finde es deswegen vor allem wichtig, über gelegentliche Demonstrationen hinaus zu verstehen, was überhaupt warum politisch passiert.

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"Der Geldkomplex der 'besorgten Bürger' ist absurd"

Was hast du von Rechten gelernt?
Was scheinbar ein ganz großes Problem von einigen Leuten dort ist, ist Geld. "Denen wird alles bezahlt". Beziehungsweise, dass "sie" "denen" "alles bezahlen" müssen. Laut denen wohnten auch alle Gegendemonstranten noch zu Hause oder kriegen wenigstens Hartz lV. Dieser Geld-Komplex geht so weit ins Absurde, dass die verschwörerisch getuschelt haben, wer die Boote auf der Spree, auf denen Gegendemonstranten protestierten, denn bezahlen würde. Mir ist letztens sowas ähnliches auch auf Straße mit meinem Staubsauger passiert.

Bitte was?
Das hat jetzt gar nichts mit der Demo zu tun, aber mit dieser Art, zu denken. Ich hab mir letztens einen Staubsauger gekauft und wollte mit dem in den U-Bahnhof rein. Da stand so ein Typ am Eingang, der mich musterte und im Vorbeigehen verächtlich, "Tja, Hartz lV …" raunte.

Was?
Ja, so habe ich auch erstmal reagiert. Ich bin dann stehengeblieben und hab ihn direkt darauf angesprochen. Der war natürlich erstmal geschockt, dass ich überhaupt Deutsch spreche. Ich habe ihm dann erklärt, dass ich gerade diesen Staubsauger gekauft habe und nun nach Hause bringe. Dann sagt er: "Ja, von welchem Geld hast du den denn gekauft? Bestimmt von meinem!" Ich hab ihm dann erklärt, dass ich arbeite und Geld verdiene. Das hat er mir erstmal nicht geglaubt. Später hat er auf die Schiene umgeschwenkt: "Ja, aber du weißt ja wie das hier gerade läuft mit den ganzen Leuten, die hierher kommen und warum ich von sowas ausgehen muss."

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Und was hast du darauf gesagt?
Ich meinte, dass er erst gar nicht mit der Nummer anfangen braucht. Er hat sich dann versucht rauszuwinden und ist schließlich weggelaufen.

Liegt es nicht auch am Erfolg der AfD und deren "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen"-Rhetorik, dass solche Staubsauger-Situationen heute zum Alltag gehören, wenn man nicht deutsch aussieht?
Ich hab von Kindheitsalter an die unterschiedlichsten Formen von Rassismus und Diskriminierung erfahren und war schon mehrmals in Situationen, die wirklich gefährlich waren. Dennoch merkt man jetzt schon, wie sich die Art und Weise, wie Rassismus und Diskriminierung ausgeübt werden, verändert hat. Rassisten trauen sich definitiv mehr. Aber weil ich das mein ganzes Leben lang schon kenne, bin ich abgestumpft. Vielleicht ist das auch ein Mechanismus, um besser durch den Alltag zu kommen. Ich kann sogar etwas Gutes aus dem AfD-Aufschwung und Nazi-Aufmärschen in Chemnitz ziehen: Wenigstens kann mir jetzt keiner mehr erzählen, dass ich mir die Scheiße einbilde.


VICE-Video: Chaos in Chemnitz


Unter dem Hashtag #metwo haben Migrantenkids ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus geteilt – nur um sie abermals von zahlreichen Twitter-Usern abgesprochen zu bekommen.
Das ist nichts Neues für mich. Das kann einen über die Jahre verrückt machen. Es ist, als ob jeder sieht, dass jemand dir ein Bein gestellt hat, aber trotzdem erzählt, du seist nur gestolpert, bis du dich irgendwann selbst fragst, ob du es dir eingebildet hast. Dank des Hashtags konntest du eindrücklich sehen, dass du mit deinen Erfahrungen nicht allein bist. Das kann hilfreich sein.

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Während meines Studiums habe ich viele Veranstaltungen des Zentrums für Antisemitismus und Vorurteilsforschung besucht. Oft heißt es ja, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit hätte etwas mit Bildung zu tun. Die Theorie dort war, Der Unterschied ist vielmehr, dass Menschen mit höherer Bildung eher wissen, wann sie lieber ihre Klappe halten und ihre kruden Gedanken für sich behalten und wann sie sie aussprechen können. Und unter anderem die AfD hat nun erreicht, dass viel mehr Menschen das Gefühl haben, dass man all das jetzt öffentlich sagen kann.

Was möchtest du deinerseits abschließend öffentlich sagen – solange du es noch kannst?
Die Art des Dialogs muss sich ändern. Ich will niemandem vorschreiben, der beschissene Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht hat, dass er sich mit Leuten, die ihn diskriminieren, an einen Tisch setzen und reden müsse. Aber ich glaube, wenn man vorankommen will, geht es nicht ohne Dialog. Und da wünsche ich mir vor allem von den Leuten, die von Diskriminierung und Rassismus nicht so krass oder gar nicht betroffen sind, den Dialog zu suchen und sich auch mit "der Gegenseite" auseinanderzusetzen.

Die Betonung liegt aber auf auch. Was meiner Meinung nach überhaupt nicht geht, ist Opfern von Diskriminierung mit Verständnis gegenüber dem Täter zu begegnen, statt in erster Linie ihnen gegenüber emphatisch zu sein und zuzuhören. Es geht mir darum, was darüber hinaus passieren muss. Das ist kein "entweder/oder", sondern ein "sowohl als auch"-Ding.

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