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Sexualität

Hört auf, das weibliche Geschlechtsteil "Vagina" zu nennen

Warum der Begriff falsch ist und das sexuelle Vergnügen von Frauen unterdrückt.

Foto: Mikael Moiner | Flickr | CC BY 2.0

Vor Kurzem saß ich in einer Master-Vorlesung zum Thema Gender- und Queer-Bla-Bla. Der junge Professor sagte irgendwann: "Der Penis und das … [vorsichtige Pause] weibliche Genital." Ein Kommilitone entgegnete wie aus der Pistole geschossen, dass es dafür einen Namen gebe. Sagen wollte aber auch er ihn nicht. Später beging besagter Professor – ein Feminismus- und Sexualitäts-Experte – während einer privaten Unterhaltung den Fehler, den die meisten Menschen machen: Er verwendete statt "Vulva" die Fehlbezeichnung "Vagina".

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Eine Vagina macht noch lange keine Vulva, denn die Vaginalöffnung ist nur ein Teil davon. Eigentlich ist die Vulva alles, was man vom weiblichen Geschlechtsorgan von außen sehen kann: der oberflächliche Teil der Klitoris (quasi die Spitze des Klitoris-Eisbergs), die inneren und äußeren Schamlippen, die Harnröhrenöffnung sowie der Ein- beziehungsweise Ausgangspunkt der Vagina.

Der Begriff "Vagina" wird so häufig falsch benutzt, dass es kaum überrascht, wenn selbst ein Professor diesen Fehler macht. Sogar in feministischen Texten und Kunstwerken wie Die Vagina-Monologe oder The Great Wall of Vagina tappt man in die gleiche Falle. Wenn du also das nächste Mal das Wort "Vagina" in den Medien ließt, kannst du davon ausgehen, dass mit großer Wahrscheinlichkeit die Vulva gemeint ist.


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Die Anatomie des weiblichen Geschlechtsteils ist keine natürliche Tatsache, sondern ein soziales Konstrukt. Studien haben gezeigt, wie die Klitoris im Laufe der Geschichte in medizinischen Schriften zuerst genannt und dann wieder ignoriert wird. So zeichnete der dänische Anatom Casper Bartholin in seinen Illustrationen der weiblichen "Lustorgane" bereits im 17. Jahrhundert das Schwellgewebe der Klitoris sowie den Klitorisschenkel – und das ähnlich wie in zeitgenössischen Abbildungen. In den 1840ern stellte der deutsche Anatom Georg Ludwig Kobelt eine Vergrößerung des Klitorisschafts wie einen Penis dar.

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In der Edition des Anatomiebuches Gray's Anatomy von 1901 wird die Klitoris genau benannt und in gewisser Weise sogar hervorgehoben. In der 1948er-Edition fehlen dann plötzlich sowohl die Benennung als auch die Illustration. Das primäre weibliche Körperteil für sexuelle Erregung und Orgasmus wurde aus dem Nachschlagewerk zur menschlichen Anatomie herausgestrichen. Die Klitoris und der weibliche Orgasmus sind für die Fortpflanzung nicht zwingend notwendig. Deshalb werden sie im Gegensatz zum Penis weitgehend ignoriert.

Foto: jmawork | Flickr | CC BY 2.0

Wenn wir "Vagina" sagen, lassen wir den sichtbaren Teil des weiblichen Genitals – also die Klitoris und die Schamlippen – rein sprachlich außen vor. Durch die Vagina kommen Männer zum Orgasmus, wenn sie mit Frauen schlafen. Seit 1953 wissen wir dank Alfred Charles Kinseys bahnbrechendem Buch Sexual Behavior in the Human Female jedoch, dass die meisten Frauen direkte klitorale Stimulierung benötigen (egal ob nun per Hand, Zunge oder einem anderen Gegenstand), um zum Höhepunkt zu kommen. Wie oft sieht man trotzdem in Film und Fernsehen, dass eine Frau allein durch die Penis-Penetration einen Orgasmus hat? Dass wir das weibliche Genital als "Vagina" bezeichnen, sagt einiges über unsere Ansichten zum Thema Sex aus. Dank "Vagina" liegt der Fokus auch weiterhin auf dem Vergnügen des Hetero-Manns.

Die Autorin Mithu Sanyal hat sich in ihrem Buch Vulva mit der kulturellen Geschichte des weiblichen Geschlechtsorgans befasst. Sie glaubt, dass unsere Ansichten zum Körper durch Worte gefestigt werden: "Die Sprache ist mit unserer Wahrnehmung der Welt verbunden. Wenn wir etwas nicht benennen können, dann können wir auch nicht darüber reden – und letztendlich auch nicht darüber nachdenken", schreibt sie. Die klinische Psychologin Harriet Lerner bezeichnet dieses Ignorieren der Klitoris und der Schamlippen als "psychische Genitalverstümmelung". Laut ihr kann Sprache so mächtig und flink wie ein Skalpell sein: "Was nicht genannt wird, existiert auch nicht."

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Heute führen viele Frauen – und selbst Teenager – diesen Gedanken einen Schritt weiter und lassen ihre Genitalien tatsächlich verschwinden: Labioplastik, also eine Verkleinerung der Schamlippen, ist als Schönheitsoperation seit Jahren unglaublich beliebt. Aber auch der rituelle Akt der weiblichen Genitalverstümmelung, der hauptsächlich in Afrika verbreitet ist, stellt in einigen Regionen weiterhin ein beträchtliches gesellschaftliches Problem dar.

Berlin ist bekannt für eine breite Szene mit progressiven Ansichten in Bezug auf Sexualität und gleichgeschlechtliche Liebe. Dort versucht Laura Méritt Aufklärung zu betreiben, sie besitzt Berlins ältesten feministischen Sexshop namens Sexclusivitäten. Sie hat eine Menge "Pussy-Profiles" gesammelt, um zu zeigen, wie vielfältig Vulvas sein können und dass es keine allgemein gültige Norm gibt. "Jede Universität würde hier vor Neid erblassen! Mehr als 2.000 Frauen haben mitgemacht und die Resultate sind unglaublich", sagt Méritt. Besagte Resultate werden jedes Jahre im Rahmens des "Mösenmonats" einem breiteren Publikum präsentiert. In Méritts Laden finden dann Kunstausstellungen, Auftritte, Filmvorstellungen und Workshops statt, um die Vulva gebührend zu feiern.

Vielleicht ist dir das Wort "Vulva" zu klinisch, zu steril. Das ist kein Problem. Es gibt ja noch diverse andere Ausdrücke, die du für das weibliche Genital verwenden kannst. Verkneif dir auf jeden Fall den Begriff "Vagina", sofern du nicht tatsächlich über die Vagina sprichst. Denn wenn du das Wort fälschlicherweise verwendest, verschleierst du damit das sexuelle Vergnügen von Frauen – und trägst dazu bei, dass die weibliche Sexualität weiterhin wie ein Geheimnis behandelt wird. Viva la Vulva!

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