Drogen, Sex, Schmerz: hinter den Kulissen von „Made 4 Love“ von SXTN

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Musik

Drogen, Sex, Schmerz: hinter den Kulissen von „Made 4 Love“ von SXTN

„Made 4 Love“ zeigt die dunklen Seiten der Prostitution und packt sie in schmerzhaft schöne Bilder. Rapperin Juju und Regisseurin Arabella Bartsch erklären, wie der Dreh mit echten Huren ablief und wie man explizite Szenen dreht, ohne wirklich etwas zu...

Bekannt wurden SXTN durch ihre Hau-Drauf-Hymne „Deine Mutter"—ein Track, der Deutschrap seine frauendiskriminierende Sprache nimmt und sie ihm direkt wieder vor die Füße spuckt. Auf ihrer EP Asozialisierungsprogramm befand sich allerdings auch ein Song, der ganz andere Töne anschlug. In „Made 4 Love" versetzt sich Rapperin Juju in die Rolle einer Prostituierten und zeichnet ebenso sensibel wie nachfühlbar die Motive und inneren Konflikte einer Frau nach, die ihren Körper verkauft. Am 23. November wurde das Musikvideo zum Song veröffentlicht—und überrascht.

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Auch deshalb, weil Regisseurin Arabella Bartsch sich für ihr erstes Musikvideo bewusst zurücknahm und darauf verzichtete, möglichst viel nackte Haut und schockierende Szenen zu zeigen. Das Ergebnis sind ebenso stilisierte wie schmerzhafte Bilder, die auch deshalb so authentisch wirken, weil echte Prostituierte am Set waren. Wir haben Rapperin und Regisseurin in einem Berliner Café getroffen, wo sie uns erklärt haben, warum ihnen das Thema so wichtig ist, wie man erschüttert ohne zu explizit zu werden und warum es beinahe nicht zu der Sexszene von Juju gekommen wäre.

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Am Anfang wird viel gesagt, was sich eigentlich auf ganz viele Frauen beziehen lässt. Der Wunsch, begehrt zu werden, die Fantasie eines Mannes zu sein … Wie viel steckt von dir selbst in dem Song?
Juju: Da steckt schon was Persönliches dahinter. Fast alle Frauen, die ich kenne, tun etwas dafür, um bei Typen gut anzukommen. Ich glaube, dass das so ein bestimmter Komplex ist, den jede Frau ein bisschen hat—nur manche eben mehr als andere. Vielleicht macht man das am Anfang wegen dem Kick, dass sich jeder Typ denkt: Boah, geil, jetzt bumse ich die, obwohl ich eigentlich eine Frau zu Hause habe. Ich habe beim Tätowieren schon einige Prostituierte kennengelernt und weil das sehr lange dauert, quatscht man da ja automatisch schon viel. Da hat das schon immer so ein bisschen durchgeschienen. Wenn die was Trauriges erzählt haben oder es denen mal nicht so gut ging, kam danach immer: „Ja, aber ich bin trotzdem die Geilste und ich bin trotzdem der Boss, weil ich die ja mit meinen Reizen verführe."

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Arabella: Das war auch meine Erfahrung, als ich mich für das Musikvideo mit einigen getroffen und unterhalten habe. Die fangen erst mal damit an, dass sie ja einen Haufen Kohle verdienen und es total schön finden, wie sie von den ganzen Männern umgarnt werden. Je länger du dich mit denen unterhältst, umso mehr kommt raus, dass es sie aber wirklich auch kaputt macht. Die schönen Aspekte sind vielleicht das, was sie sich psychologisch hochhalten um durchzukommen—sonst schaffst du das vielleicht gar nicht, zehn bis 15 Typen am Tag oder in der Woche zu haben.

Was man im Video schön sieht, finde ich, ist dieser Unterschied zwischen Außenwahrnehmung und dem, was der Job aber eigentlich bedeutet. Draußen läuft Juju sehr selbstbewusst rum, fast wie in so einem klassischen sexy Musikvideo, wenn sie dann mit dem Mann im Schlafzimmer oder später allein ist, kippt das komplett.
Arabella: Wir haben wirklich ewig lange überlegt, was wir machen und ich fand es am Anfang auch gar nicht leicht. Es gab verschiedene Ansätze. Es gibt zum Beispiel Musikvideos, die eine echte, krasse Geschichte haben und dann einfach den Popstar daneben setzen, der dazu performt. Oder wenn man einen wirklich schweren Stoff hat und dann fangen die Leute plötzlich an zu tanzen. Das mag ich nicht. Deswegen war die Idee, dass die Geschichte des Songs bei Juju bleibt, die aber natürlich keine Prostituierte ist, sondern das ein Schicksal ist, das von ihr nacherzählt wird. Gleichzeitig befüllen wir das aber mit ganz vielen Frauen, die das Schicksal teilen. Deswegen haben wir echte Escorts genommen. Ein wichtiges künstlerisches Element waren dabei die Perücken und die Leberflecken. Die nehmen den Frauen nicht ihr Gesicht oder ihren Charakter, weil sie aber das gleiche Schicksal teilen, bekommen sie diese Form der Kostümierung und werden parallel auch ein bisschen anonymisiert.

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Ich hatte keinen Bock drauf, dass Leute auf der Straße zu mir sagen: ‚Guck mal, das ist die Nutte aus dem Video.'

Wie bist du denn an die Frauen rangekommen?
Arabella: Weil ich ihnen kein Geld anbieten konnte, habe ich wirklich Leute gebraucht, die das Bedürfnis hatten, an dieser Geschichte teilzuhaben. Dann hat mir jemand von einer Seite namens kaufmich.com erzählt. Da kann man sich anmelden, um seine Dienste anzubieten, oder eben als Freier. Weil es quasi niemanden mehr zwischen dem Kunden und der Frau gibt, der da einen gewissen Schutz gibt, gibt es Bewertungssysteme, wo man dann beantworten kann: Wie war denn der Blowjob? War der Freier nett zu mir oder ist der grob geworden? Da habe ich mich rumgetrieben und tatsächlich viele gefunden, die Bock hatten. Am Drehtag sind auch alle erschienen, bis auf zwei. Ich finde das toll, weil das kein Schauspieler ersetzen kann. Das ist komisch, aber du bist natürlich auch Produkt deiner Erfahrung und man sieht im Gesicht und in den Augen, was Leute erfahren und durchgemacht haben. Ich finde es einen schönen Ansatz, so die Vielseitigkeit und die Geschichten, die hinter jeder einzelnen Person stecken, zu transportieren.

War es für dich schwierig, dich auf diese Rolle einzulassen, Juju?
Juju: Nein, eigentlich nicht. Ich habe mich beim Schreiben des Songs ja schon in die Lage einer Prostituierten versetzt, von daher war das jetzt nicht komplett neu. Die einzige Szene, die für mich richtig krass war, war die, in der der Typ mich an der Schulter antatscht. Das war das Intimste, was ich mit dem gemacht habe und ein bisschen komisch. Ich lasse mich nicht gerne von fremden Leuten anfassen. Die Sexszenen an sich habe ich dann mit Bella gemacht. Sie hat ein Kissen genommen und mich dann so von hinten gebumst. Ich habe es immer ungefähr eine Sekunde lang geschafft ernst zu gucken, dann musste ich lachen. Ich weiß echt nicht, wie sie es geschafft hat, das so zusammenzuschneiden. Da mussten auch alle rausgehen. Da waren nur noch sie, der Kameramann und ich.

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Was glaubt ihr, wie die Leute darauf reagieren werden?
Juju: Um ganz ehrlich zu sein, wollte ich anfangs so eine Sexszene eigentlich gar nicht drin haben. Ich wohne in Neukölln und bin da auch aufgewachsen. Da gibt es viele Sachen, die Leute auf der Straße provozieren oder wo man dann gleich eine „Schlampe" ist. Selbst wenn man mit Jogginghose rumläuft, wird man an jeder zweiten Ecke angegafft und angemacht und mittlerweile kennen da auch ein paar Leute unsere Musik und finden das zum Teil nicht so geil. Außerdem weißt du bei so einem Video vorher nie, wie viele das sehen werden. Vielleicht sind es 10.000, vielleicht geht das aber auch viral. Ich hatte keinen Bock drauf, dass Leute auf der Straße zu mir sagen: „Guck mal, das ist die Nutte aus dem Video." Was die Leute von mir denken ist mir scheißegal, ich will nur nicht belästigt werden.

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Bella: Wir arbeiten ja mit ganz vielen bildlichen „Metaphern", die vor allem im Kopf entstehen. Wenn du Juju im Close-up bei der Sexszene siehst, weißt du zwar was passiert, aber du siehst eigentlich auch nichts. Wenn es einen Close-up auf den Typen gibt, der gerade eklig guckt und auf dich einredet, wird dir unwohl, weil du dir diese Situation weiter vorstellen musst. Es wird nie irgendetwas explizit gezeigt, es wird ganz viel dem Zuschauer überlassen. Die Verbindung zwischen dem Sex und der Szene in der Badewanne ist auch mein Lieblingsteil des Videos. Der Moment, wo sie rappt, dass der Typ in sie reinspritzt und dann kommt das Bild, wo sie Wasser aus der Wanne spuckt: Das zeigt was ganz anderes, vermittelt aber trotzdem das Gefühl davon, wenn ein Typ, mit dem man gar nichts zu tun hat, den man vielleicht sogar eklig findet, in einem kommt.

Juju: Es wird vielleicht nicht jeder zugeben oder in die Kommentare schreiben, aber ich glaube schon, dass sich manche danach eklig fühlen werden. Ich kenne so viele Typen, die schon mal im Puff waren und darüber ganz normal reden, weil es für sie was Lustiges, Cooles ist. Genau solche Leute will ich eben auch mit dem Song ansprechen. Es ist ja auch nicht so, dass jeder Freier cool ist. Gerade wenn so was über das Internet verabredet wird und die Männer dann zu denen nach Hause kommen und dort mit ihnen alleine sind: Was, wenn der eine Knarre mitnimmt und dir an den Kopf hält? Der kann ja alles mit dir machen. Das ist nicht einfach nur ein Job. Das ist etwas, wo viele dran kaputt gehen.

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