Politik

Wir erklären das Gesetz, das Horst Seehofer vor dir geheim halten will

"Man muss Gesetze kompliziert machen", sagt Horst Seehofer über sein sogenanntes Datenaustauschgesetz.
Bundesinnenminister Horst Seehofer
Sollte sich öfters mal an die eigene Nase fassen: Horst Seehofer || Foto: imago images | Emmanuele Contini

Horst Seehofer kichert komplizenhaft, als er den Satz sagt, von dem man kaum glauben kann, das ein Minister ihn ernst meint: "Man muss Gesetze kompliziert machen, dann fällt das nicht so auf." Das Publikum lacht mit ihm – wahrscheinlich freuen sie sich, dass der Innenminister sie in die Tricks einbezieht, mit der die Regierung sich die Öffentlichkeit vom Leibe hält.

Dumm nur, dass die Öffentlichkeit eben doch dabei war, nämlich in Form von ARD-Journalisten, die diese Äußerung vor dem "Zweiten Berliner Kongress für wehrhafte Demokratie" am Donnerstag wenig später als Videoschnipsel veröffentlicht haben. Der Clip des kichernden Innenministers geht seitdem viral – und tut sein Übriges, das spätestens seit dem Rezo-Video am Boden liegende Image der Union weiter zu erodieren.

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Aber was für ein Gesetz ist das eigentlich, das der Innenminister so gerne geheim gehalten hätte und in dem kurzen Clip "Datenaustauschgesetz" nennt? Und was ist daran so brisant?

Asylbewerber bekommen weniger Datenschutz – Seehofer: "Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges"

Grundsätzlich will die Regierung mit dem Gesetz das Ausländerzentralregister (AZR) weiter ausbauen und gleichzeitig noch mehr Behörden noch schnelleren Zugriff darauf gewähren. Dazu gehören ab jetzt auch: Jugendämter, das Auswärtige Amt, das Bundesamt für Justiz und diverse deutsche Geheimdienste. Einen "enormen Zugewinn bei der Sicherheit" bringe das Gesetz deshalb, hatte Seehofer im Januar gejubelt.


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Im AZR sind alle Ausländer registriert, die sich in Deutschland legal oder illegal aufhalten. Damit gehört es zu "einer der größten Datenbanken der deutschen Verwaltung", wie netzpolitik.org erklärt. Das neue Gesetz betrifft also vor allem die Daten von Asylbewerbern. Das Ziel: Asylverfahren beschleunigen. Aber auch: Abschiebungen vereinfachen.

Schon jetzt erhält jede im AZR erfasste Person eine Kennnummer, die nur dieser Person zugeordnet werden kann. Nach dem neuen Gesetz sollen alle am Asylverfahren beteiligten Behörden Zugriff auf diese Nummer haben, um den Antragsteller schnell und eindeutig identifizieren zu können. Das soll zum Beispiel auch verhindern, dass Menschen sich für eine freiwillige Ausreise bezahlen lassen – und dann trotzdem wieder zurückkommen. Seehofer nennt es deshalb einen "Meilenstein für die digitale Grundversorgung der Asylverfahren".

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Für deutsche Staatsbürger wäre das völlig undenkbar. Schon 1983 hat das Bundesverfassungsgericht den Behörden verboten, sogenannte "universelle Personenkennziffern" zu benutzen. Bei Ausländern ist das für die Regierung aber offenbar kein Problem. Auch deshalb ist es schräg, wenn Seehofer in seiner Rede behauptet: "Wir machen nichts Illegales, wir machen Notwendiges." Laut Ansicht von Datenschützern ist nämlich gut möglich, dass das neue Gesetz gegen die Verfassung verstößt.

Bei Menschen, die für eine Abschiebung in Betracht kommen, sollen zusätzlich Daten aufgenommen werden, mit denen sie leichter identifiziert werden können: Fingerabdrücke, Größe und Augenfarbe. Außerdem sieht das Gesetz vor, die Fingerabdrücke von Kindern ab dem Alter von 6 Jahren zu erfassen – da liegt das Mindestalter bisher bei 14 Jahren.

Das Gesetz gehört zum heftig umstrittenen Migrations-Paket

Seehofers "Datenaustauschgesetz" heißt offiziell "Zweites Datenaustauschverbesserungsgesetz" und gehört zum "Migrationspaket". Darin enthalten sind insgesamt sieben Gesetze rund um Flüchtlinge und Migration, auf die sich die Große Koalition Anfang der Woche geeinigt hat und die sie am Freitag nach teils heftigen Diskussionen im Bundestag, beschlossen hat. Der umstrittenste Inhalt dieses Pakets ist das sogenannte "Geordnete-Rückkehr-Gesetz", dass Abschiebungen erleichtern soll. Dagegen haben Opposition und Menschenrechtsorganisationen viel schärfere Proteste eingelegt.

Aber auch das Datengesetz hat für Ärger gesorgt. Seehofer sagt nicht ganz die Wahrheit, wenn er in dem kurzen Video behauptet, man habe das "ganz stillschweigend eingebracht". Tatsächlich gab es auch gegen dieses Gesetz Protest, und zwar vor allem von Datenschützern.

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Datenschützer: "Wir haben keine Kontrolle mehr"

Bisher mussten Beamte bei jedem Zugriff auf das AZR dokumentieren, wann wer die Daten abgerufen hat. Um den Datenaustausch zu vereinfachen, wird diese Pflicht jetzt abgeschafft – stattdessen wird nur noch die Behörde vermerkt. Vor allem das bereitet Datenschützern Kopfschmerzen. "Diese Austausche sind dann viel schwerer kontrollierbar", sagt Thilo Weichert vom "Netzwerk Datenschutzexpertise" zu VICE.

Der eigentliche Zweck des Gesetzes sei, einen besseren Überblick zu haben, mit wem man es eigentlich zu tun hat. Das sei völlig legitim, sagt Weichert. Aber: "Der Schutz der Betroffenen kommt viel zu kurz." Wenn immer mehr Stellen Zugriff auf immer mehr Daten von Menschen haben, ohne dass genau nachverfolgt werden kann, wer sie wann abgerufen hat, dann erhöhe das das Missbrauchsrisiko, warnt der Experte.

Ein mögliches Szenario: Ein Geheimdienst aus einem Herkunftsland hat großes Interesse zu erfahren, wo ein nach Deutschland geflohener politischer Dissident sich heute aufhält. Je mehr Menschen Zugriff auf diese Daten haben, desto größer ist die Gefahr, dass irgendjemand sie weitergibt oder gar weiterverkauft. "Das wäre dann ein ganz massives Risiko für jemanden, der ohnehin schon politisch verfolgt wird", sagt Weichert.

Die Regierung hat das Datenaustauschverbesserungsgesetz trotzdem beschlossen

Auch deshalb hatten Weichert und der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber von der SPD eine Reihe von Vorschlägen gemacht, um die Betroffenen besser zu schützen. Die Regierung hat den Großteil dieser Vorschläge einfach ignoriert.

"Das Gesetz ist sehr schnell und fast ohne öffentliche Debatte durchgedrückt worden", sagt Thilo Weichert. "Man kann hier nicht von einer demokratischen Diskussion sprechen."

Immerhin: Diese Meinung teilen jetzt wohl Tausende Menschen. Dafür hat das Video mit dem Innenminister, der über die demokratischen Prozesse lacht, wohl ziemlich endgültig gesorgt.

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