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Deutschland

Bundesverfassungsgericht entscheidet: Es gibt mehr als zwei Geschlechter

"Das Grundgesetz gebietet nicht, den Personenstand hinsichtlich des Geschlechts ausschließlich binär zu regeln."
Bild: ParaDox | Wikimedia CommonsCC3.0 [bearbeitet]

Das Bundesverfassungsgericht bestätigt, was in feministischen Kreisen schon längst Konsens ist: Das gesellschaftlich binäre Denken in zwei Geschlechtern – "männlich" und "weiblich" – ist überholt. Und vor allem: diskriminierend.

Eine Person hatte beim Standesamt verlangt, dass ihr Geschlechtseintrag "weiblich" durch
"inter/divers" ersetzt werden solle. Das Standesamt lehnte ab. Die Begründung: In Deutschland muss bisher schon im Geburtenregister ein Geschlecht eingetragen werden, das entweder männlich oder weiblich ist. Oder das Geschlecht kann offen gelassen werden – in dem Fall hat die Person "kein Geschlecht". Als auch das Amtsgericht diese Auffassung bestätigte, wandte sich die Person mit einer Verfassungsbeschwerde an das Bundesverfassungsgericht.

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Die oberste gerichtliche Instanz in Deutschland entschied bereits am 10. Oktober 2017, dass die Festlegung auf zwei Geschlechter diskriminierend ist. In einer Pressemitteilung vom 8. November heißt es nun: "Das Grundgesetz gebietet nicht, den Personenstand hinsichtlich des Geschlechts ausschließlich binär zu regeln."

Das bedeutet, dass Gerichte und Verwaltungsbehörden zukünftig niemanden zwingen dürfen, sich als "weiblich" oder "männlich" zu identifizieren, dessen oder deren "Geschlechtsentwicklung gegenüber einer weiblichen oder männlichen Geschlechtsentwicklung Varianten aufweist". Ein Durchbruch für alle intersexuellen Menschen – sie müssen sich künftig nicht mehr für ein Geschlecht entscheiden, zu dem sie sich gar nicht zugehörig fühlen. Entsprechend groß war die Freude in den sozialen Netzen über diese bahnbrechende Entscheidung.

Der Beschluss, der bis zum 31. Dezember 2018 eine Neuregelung des Personenstandsrechts von der Bundesregierung fordert, könnte auch noch einmal die Intersex-Debatte bei Kindern befeuern. Sowohl die FDP als auch die Grünen hatten im Wahlkampf damit geworben, geschlechtszuweisende Operationen an intergeschlechtlichen Kindern künftig zu verbieten. Mit der Einführung eines dritten, nicht-binären Geschlechts dürfte sich hier noch einmal einiges tun, nachdem im November 2013 bereits entschieden wurde, dass das Geschlecht von intergeschlechtlichen Babys offen gelassen werden kann. Binär entscheiden, mussten sie sich später dennoch.

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Inwiefern alle nicht-binären Personen, die sich zwar jenseits von "weiblich" oder "männlich" verorten, aber keine intergeschlechtlichen körperlichen Merkmale aufweisen künftig mitgedacht werden, wird im Wesentlichen von der gesetzlichen Neuregelung der Jamaika-Koalition abhängen. Bestenfalls könnten auch sie in Zukunft einen Eintrag "divers" verlangen – und somit Geschlecht weiter von körperlichen Merkmalen loslösen. Auch, wie ein dritter Eintrag genau heißen wird, ist noch offen.

Trotzdem: Die heutige Entscheidung ist ein wichtiger und längst überfälliger Meilenstein, schließlich gab es schon immer mehr als zwei Geschlechter. Nun endlich auch ganz offiziell.

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