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Europawahl

#NieMehrCDU: Muss die CDU sich jetzt vor jungen Menschen fürchten?

Artikel 13 hat gerade jede Menge junge Wähler verärgert. Aber wie mächtig sind sie wirklich? Das sagen Wahlforschende.
Proteste gegen die Reform des Urheberrechts in der EU

Rund sieben Wochen vor der Europawahl sind sich viele Nerds, Netzpolitiker, Tech-Expertinnen, Influencer und Digital Natives einig: Die Reform des EU-Urheberrechts ist Murks. Zumindest in der Form, die vor allem von CDU-Politikern durchs EU-Parlament geboxt wurde. Wochenlang haben Hunderttausende im Netz und auf der Straße dagegen protestiert und in Sprechchören gerufen: "Nie mehr CDU!" Nachdem das EU-Parlament am 26. März die Reform abnickte, wurde #NieMehrCDU zu einem viralen Hashtag.

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Selbst Edward Snowden griff den Hashtag auf und twitterte auf Deutsch: "Vergiss nie, was sie hier gemacht haben." Die CDU/CSU im EU-Parlament habe "für nie mehr Internetfreiheit" gestimmt, so Snowden; deshalb müsse das Internet bei den Europawahlen nun für "nie mehr CDU/CSU" stimmen. Auch YouTuber LeFloid und Autor Sascha Lobo verfassten ähnliche Tweets. Rechtsanwalt und YouTuber Christian Solmecke machte eine Umfrage unter seinen Twitter-Followern: Von rund 20.000 Teilnehmern gaben verblüffende 90 Prozent an, bei der Europawahl ihre Stimme abgeben zu wollen.

Eine Menge aufgebrachter Twitter-Fans kann aber nichts über Deutschland aussagen, und es ist nahezu undenkbar, dass 90 Prozent der jungen Deutschen zu einer Europawahl gehen. Bislang zeigt sich die Union vom Widerstand der Social-Media-Generation zumindest nicht wirklich beeindruckt. Auch bei der jüngsten Debatte im Bundestag beharrte die Union auf der umstrittenen Regelung. Welche Kraft hat der Hashtag #NieMehrCDU also außerhalb der Anti-Artikel-13-Bubble? Wir haben Wahlforschende gefragt.

Jede Menge junge Leute wählen die CDU

Ein Blick auf die Statistik zur vergangenen Europawahl wird so manchen CDU-Kritiker erst mal überraschen: Denn 2014 war die beliebteste Partei der jungen Wählenden in Deutschland bei der Europawahl – die CDU. Von 18- bis 24-Jährigen haben rund ein Viertel (24,1 Prozent) die CDU gewählt. Bei den 25- bis 34-Jährigen ist der Anteil ähnlich groß (25,4 Prozent). Auf Platz zwei bei den jungen Wählenden stand die SPD mit rund 20 bis 21 Prozent Zuspruch.

Vom Hashtag #NieMehrCDU beflügelte Kritiker könnten nun vermuten, dass die CDU all diese Jungwähler verlieren müsste. Nur: Wie viele sind das eigentlich? Ein Blick auf die Europawahl 2014 kann einen ungefähren Eindruck vermitteln. Damals haben in Deutschland insgesamt rund 1,2 Millionen Menschen unter 34 Jahren die CDU gewählt. Das heißt: Junge Leute haben nur einen geringen Teil zum CDU-Wahlergebnis beigetragen. Ihre Stimmen machten gerade mal 14 Prozent aller CDU-Stimmen aus. Die CDU war also schon vorher keine Junge-Leute-Partei.

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Trotzdem halten viele junge Leute den Christdemokraten die Treue, schätzt eine Wahlforscherin: "Einen massiven Einbruch im Wahlergebnis der CDU zur Europawahl kann ich mir nicht vorstellen", sagt Politikwissenschaftlerin Isabelle Borucki von der Universität Duisburg-Essen im Gespräch mit VICE. Man könne aus dem Hashtag #NieMehrCDU nicht ableiten, dass die CDU ihren Rückhalt bei jungen Wählenden komplett verloren habe. Denn die CDU habe eine Basis, die der Jungen Union nahe steht. Die würden sich nicht so einfach von ihrer Partei abwenden. Tatsächlich ist die Zustimmung zur CDU in der aktuellen Sonntagsfrage vom 7. April zur Europawahl über alle Altergsgruppen hinweg mit rund 30 Prozent derzeit stabil.

Der Wahlforscher Thorsten Faas von der FU Berlin geht davon aus, dass die Gruppe junger Wählerinnen und Wähler "keinen wahlentscheidenden Einfluss" hat. Allerdings spricht Faas dabei von der Gruppe der 18- bis 20-jährigen. Auf den Anti-Artikel-13-Protesten waren aber auch jede Menge Menschen über 20. Sind 4,8 Millionen Menschen – so viele im Alter zwischen 18 und 34 gingen in Deutschland bei der letzten Europawahl zur Abstimmung – nur eine kleine Minderheit?

Verlorene Jungwähler kriegt man nicht so leicht zurück

Proteste gegen Uploadfilter

Proteste gegen Uploadfilter | Bild: imago | ipon

"In der großen Masse der Bevölkerung ist Netzpolitik immer noch nicht als wichtiges Gesellschaftsthema angekommen", sagt Politikberater Martin Fuchs, der sich auf die Social-Media-Analyse von Wahlkämpfen spezialisiert hat. Er schätzt auch, dass der Internet-Aktivismus um Artikel 13 (der inzwischen Artikel 17 heißt) keinen großen Einfluss haben wird – zumindest bei dieser Europawahl. Wohl aber auf eine neue Generation an Wählerinnen und Wählern. "Ich würde es fast mit der Anti-Atomkraft-Bewegung vergleichen", sagt Fuchs. Viele junge Menschen hätten durch die Proteste erstmals beobachtet, wie aus ihrer im Internet geäußerten Wut reale Ereignisse werden, auf der Straße und in den Parlamenten. "Aber man muss schauen, wie nachhaltig alles bleibt."

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Eine entscheidende Wendung in der Europawahl wird #NieMehrCDU also voraussichtlich nicht herbeiführen. Politikwissenschaftlerin Borucki hält es trotzdem für einen strategischen Fehler, wenn die CDU denke, sie könne auf die Stimmen der jungen Wählerinnen und Wähler verzichten. Auch wenn es bei der Europawahl möglicherweise nur um wenige Prozentpunkte gehe: "Der Hashtag #NieMehrCDU kann der Union schaden", sagt Borucki. Immerhin wollten die konservativen Parteien im EU-Parlament die Mehrheit für einen eigenen Kommissionspräsidenten haben, den CSU-Politiker Manfred Weber. "Da zählt jeder Prozentpunkt."



Zudem gebe es seit Längerem einen leichten Anstieg an der Wahlbeteiligung junger Wähler. "Es kann sein, dass sich der Anstieg fortsetzt, gerade wenn jüngere Wählende durch die Artikel-13-Debatte politisiert wurden", sagt Borucki. Ein Blick in die Statistik zur Europawahl 2014 zeigt, dass junge Menschen im Vergleich ziemlich wahlmüde sind. Mit einer Beteiligung zwischen 36 und 39 Prozent waren die jungen Altersgruppen sogar die Faulsten aller Wahlberechtigten.

Am fleißigsten wählten die Altersgruppen über 60 mit 56 bis 58 Prozent. Allein das zu ändern, wäre ein deutliches Zeichen. Was Parteien besonders interessieren dürfte: Menschen ändern ihr Wahlverhalten nicht so einfach. "Die Wahlforschung sagt, dass Wählende sich in ihrem Wahlverhalten häufig selbst treu bleiben", sagt Borucki. Demnach ist es umso wichtiger für eine Partei, Jung- und Erstwähler, die sich gerade noch politisch sozialisieren, nicht zu vergraulen.

In der Zwischenzeit hat die Community der Artikel-13-Kritiker schon einen nächsten Gegner gefunden. Nachdem SPD-Justizministerin Katarina Barley sich nicht klar gegen die Urheberrechtsreform ausgesprochen hat, verbreitet sich seit dem 4. April ein neuer Hashtag: #NieMehrSPD. Will die Generation Social Media ihre Partei nach dem Ausschlussverfahren wählen? Die Europawahl wird's zeigen.

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