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Wieso dich Yoga, Mindfulness-Podcasts und Meditieren nicht "heilen"

Wenn du willst, dass es wirklich besser wird: Mach eine Therapie.
Frau meditiert vor einer Wand mit ihrem Schatten
Foto: imago | Ikon Images

"Schön, dass es dich gibt", frohlockt Laura Malina Seiler in ihrem Podcast. Sie klingt, als hätte sie sich gerade eine Ladung Propofol reingeballert. Die 32-Jährige ist Mindfulness Coach, Autorin und irgendwie auch Influencerin. Auf Instagram hat sie 112.000 Follower. Berühmt geworden ist sie durch ihren Podcast namens "Happy, Holy, Confident".

Wie ich auf sie aufmerksam geworden bin? Über eine Freundin. Die ist jetzt nämlich spirituell. Dank Laura Malina Seiler, kurz LMS. Meine Freundin lauscht LMS einmal die Woche, fühlt sich danach erleuchtet, geht zum Yoga und meditiert. An sich alles gut und schön, wäre da nicht eine Sache: Besagte Freundin hat emotionale Probleme, die sie glaubt, mit ihrer "Spiritualität" bewältigen zu können. "#goodvibesonly" steht in ihrem Instagramprofil neben dem Hashtag "#spiritual".

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Dabei hat Sophie immer noch mit den Problemen ihrer Kindheit zu kämpfen. Ihr Vater war nicht für sie da und ist auch heute emotional unerreichbar. Das kenne ich aus meiner Kindheit. Ich kann mich mit ihr identifizieren. Eigentlich ist das eine Möglichkeit für uns, eine Verbindung herzustellen. Das macht Sophie aber nicht.

Stattdessen klammert sie ihre Probleme aus – im realen Leben wie auf Instagram. Wann auch immer wir uns sehen, wirkt sie etwas aufgekratzt, lacht etwas hysterisch und winkt alles, was nicht nach "good vibes only" klingt, ab. Sie verdrängt. Diese vermeintliche Spiritualität ist zu einem Lifestyle-Produkt geworden und wird als Self-Help-Tool verkauft. Das ist es aber nicht.


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Mehr als 300 Millionen Menschen sind weltweit depressiv

Jeder Vierte durchläuft mindestens eine depressive Phase in seinem Leben oder leidet an einer Angststörung. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO sind mindestens 300 Millionen Menschen weltweit depressiv. Die Hälfte bleibt unbehandelt. Symptome werden verdrängt. Aus Scham oder weil man es einfach nicht weiß. Die meisten sind zwischen 18 und 25 Jahren alt. Ich bin einer davon. Die Panik kommt und geht, auch nach zweieinhalb Jahren Therapie. Die hat jedoch geholfen, den Ursachen auf den Grund zu gehen, im Gegensatz zu spirituellen Podcasts und Quote Cards.

Ich war zweieinhalb Jahre in psychoanalytischer Behandlung und habe vor der Therapie und im ersten Jahr alles versucht, um meinen Problemen aus dem Weg zu gehen. Diese Podcasts waren ein Teil dessen. Ich suchte ein gutes Gefühl, wollte die negativen Dinge nicht wahrhaben. Und es funktionierte auch, bis es knallte. Die Panik wurde zwischenzeitlich immer schlimmer. Ich musste mir eingestehen, dass es eben nicht reicht, Spotify anzumachen und laut "good vibes only" zu schreien.

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Von Zeit zu Zeit habe ich auch immer wieder versucht, mir irgendwelche TED-Talks über Selbstliebe reinzuziehen. Ich habe Bücher gelesen, an Engel geglaubt, mir Kristalle um den Hals gehängt – jedoch hat sich nichts verändert. Weil ich mich nicht verändert habe. Ich habe diese Tools benutzt, um vor negativen Gefühlen wegzulaufen. Ich habe passiv zugehört aber nicht aktiv an dem gearbeitet, was da in mir los war. Die Angst vor dem Alleinsein zum Beispiel, das immerwährende Gefühl der Isolation.

Ein Podcast kann keine negativen Gefühle bewältigen

"3 Wege, um negative Gefühle loszuwerden" titelt eine Podcastfolge auf Spotify. In 33 Minuten. Es klingt so, als seien diese Gefühle Abfall, den man schnellstmöglich wegschmeißen muss. Das sind sie aber nicht. Sie sind natürlich und zeigen uns den Weg: was wir wollen und was nicht.

Positive Anstöße kann so ein Podcast sicherlich geben und die Intention ihrer Macher mag auch gut sein, allerdings gehen sie nicht aktiv auf den jeweiligen Zuhörer ein. Dieser Podcast, den wir da hören, der geht an Millionen von Menschen raus. Ein Therapeut ist nur für dich da. Ein Therapeut, oder auch andere Menschen, reagieren auf dich. Sie schenken dir Nähe. Im Kontakt mit anderen erfährst du, was du wirklich möchtest, wer du bist und kommst mit deinen Gefühlen in Kontakt – auf eine sichere Art und Weise. Du wirst aufgefangen.

Wenn du allein bist, isolierst du dich, die Gefühle kommen dir schlimmer vor und dann klammerst du dich an einen Podcast, der nur auf deinem Handy existiert: "Schön, dass es dich gibt" – das ist nett zu hören und zeugt von einer Sehnsucht, diese Worte von einem anderen Menschen zu hören. Dabei ist da eben nur ein Podcast, nichts wirklich persönliches. Das kann alles noch schlimmer machen.

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Das sehe ich an meiner Bekannten. Nun steht in ihrem Instagram-Profil eben "spirituell". Wenn sie sich am Wochenende aber volllaufen lässt und jedem Typen mit offener Hose hinterherläuft, ist davon nicht mehr viel zu sehen. "Warum geht's mir nur immer so?", fragte sie mich mal. Sie scheint im Äußeren etwas zu suchen, das sie im Inneren finden muss. Nähe zum Beispiel. Zu sich oder zu anderen. Genau das bedeutet Spiritualität auch laut Duden: Geistigkeit, geistiges Wesen und inneres Leben. Meine Bekannte geht zum Yoga, hört einen Podcast, meditiert fünf Minuten und redet sich ein, dass alles gut ist. Getreu dem Motto: Good vibes only. Im Inneren verändert sich aber nicht viel.

Good vibes only gibt es überhaupt nicht. Da sind auch bad vibes und scheiß Laune und depressive Phasen und einfach mal Heulen ohne Grund. Genau diese Dinge klammern die "spirituellen" Hobbypsychologen häufig aus. Das ist ein amerikanischer Ansatz, den mein Psychoanalytiker verurteilt. Zurecht. Denn dadurch, positiv zu denken und sich Zehn-Euro-Räucherstäbchen in den Arsch zu stecken, lösen sich keine Probleme. Ganz im Gegenteil. Man verdrängt und schiebt auf. Und dann kommt der Knall und die Pseudo-Yoga-Blase platzt. Boom.

Unangenehme Gefühle gehören zum Glücklichsein dazu

Ich weiß, dass es wahnsinnig unangenehm sein kann, sich seinen Problemen zu stellen. Scham und Schuldgefühle zu empfinden und vor allem auszuhalten. Diese Gefühle scheinen einen zu überwältigen. Man fühlt sich ohnmächtig. Aber es wird besser. Dass wir in einer Gesellschaft leben, die uns konstante Ablenkung bietet, macht es nicht besser. Von der Ablenkung mache ich oft Gebrauch, Shoppen, Ausgehen, zu viel Kaffee, um eben negative Gefühle auszuklammern. Ich kenne das.

Allerdings habe ich mir vor dem Ende meiner Psychoanalyse Lösungen gesucht, die mich fördern und mir helfen, mich durch meine Probleme zu arbeiten. In direktem Kontakt mit anderen Menschen. Ein Beispiel sind Selbsthilfegruppen, die wie eine Gesprächstherapie funktionieren. Die sind kostenlos und arbeiten in der Regel mit einem spirituellen Ansatz. Es geht um eine "Higher Power", die jeder für sich selbst definieren kann. Es geht darum, mit sich selbst und anderen in Kontakt zu kommen und herauszufinden, wer man ist.

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Wir sind heute alle mehr oder weniger gegen Religionen, suchen aber jauchzend nach Halt und irgendeinem Kontakt zu einer Macht, die nicht wir sind. Ich glaube auch nicht an die Kirche, ich glaube aber definitiv an eine höhere Kraft. Quasi das, was Podcaster unter "Higher Self" zu verkaufen versuchen. Da gibt es eine bessere Version von dir selbst. Und zu der gelangst du, wenn du glaubst. Was auch immer das sein mag.

Du magst jetzt denken: "Aber es sind doch nur Podcaster. Was regt der sich denn so auf?" Mir geht es um das Versprechen, das gemacht wird. "Hör' dir meinen Podcast an und dir wird es besser gehen." Dass sie keine Therapeutinnen oder andere Maßnahmen ersetzen, sagen die Podcaster nicht. Das sollten sie aber. Ich bin auch darauf reingefallen und dachte, dass mir da wirklich geholfen würde.

Menschen wie Laura Malina Seiler haben ein Businessmodell entwickelt, um mit der Bedürftigkeit anderer Menschen Geld zu verdienen. Wahnsinnig viel Geld. Ihr Buch ging auf Platz eins der Bestseller-Liste. Ihre "Rise Up & Shine University" kostet Geld. Bei dem Titel allein möchte ich schon brechen. Die Fantasie von einer schnellen Hilfe ist verlockend und wahnsinnig schön. Für einige mag das auch funktionieren – allerdings nur, wenn man nicht die ganzen negativen Gefühle ausklammert. Sie gehören dazu. Und früher oder später kommen sie auch zurück.

Der britische Comedian Russell Brand hat ein Buch geschrieben, es heißt Recovery. Darin geht es um eine spirituelle Lösung, wie abgefuckt er eigentlich ist, seine Probleme und aber auch darum, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Dazu schreibt man Inventuren, die darauf abzielen, sich seinen Ängsten und sogenannten "Character defects" zu stellen. Genau darum geht es doch beim Glücklichwerden: all die negativen Dinge zu akzeptieren, auszuhalten und zu lernen, dass nicht jeden Tag die scheiß Sonne scheint. Happy, holy, abgefuckt!

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