Drogen

Queerfeindlichkeit in Teilen der Cannabis-Community? Wir müssen reden

Eigentlich eint die Cannabis-Legalisierungsbewegung und die queere Community viel mehr, als sie trennt. Zumindest außerhalb Deutschlands.
Eine Teilnehmnerin des Berliner CSD 2017 hält ein pro Cannabis Plakat
Beim Berliner CSD 2017 | Foto: IMAGO / aal.photo

In den Kommentarspalten meines YouTube-Kanals Micha geht es eigentlich entspannt zu. In den Videos widme ich mich seit neun Jahren dem Thema Cannabis, die Community diskutiert meist sachlich mit. Bis ich vor drei Monaten ein Video mit dem Titel "Wie queer ist Weed in Deutschland" veröffentlichte. Das Ausmaß der queerfeindlichen Kommentare darunter hat mich schockiert. Denn eigentlich eint die Cannabis-Legalisierungsbewegung und die queere Community viel mehr, als sie trennt. Zumindest außerhalb Deutschlands. Hierzulande müssen wir in dieser Hinsicht noch einiges lernen.

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Aber was hat die queere Community mit Cannabiskonsumierenden gemeinsam – abgesehen davon, dass auch manche queeren Menschen gerne mal zum Joint greifen? Die kurze Antwort: den Kampf um Freiheitsrechte. 


Auch bei VICE: Dieser Richter weigert sich, Kiffer zu verurteilen


Dieser begann Mitte des 20. Jahrhunderts an der Westküste der USA. Von San Francisco in Kalifornien bis hinauf ins kanadische Vancouver formten sich zwei politische Bewegungen: Die eine forderte die Gleichberechtigung von LGBTQ-Menschen, die wegen ihrer Sexualität, Geschlecht oder Gender diskriminiert wurden. Die andere Gruppe setzte sich für die Legalisierung von Cannabis ein. Nicht für etwas so Fundamentales wie sexuelle Selbstbestimmung also, aber dennoch für ein selbstbestimmtes Leben. Beide Gruppen schlossen sich in den USA schon vor 40 Jahren zusammen, zu einer Zeit, als beide Anliegen im politischen Mainstream der BRD noch als Wahnvorstellungen verwirrter Minderheiten galten.

Der bekannteste LGBTQ- und Cannabisaktivist in Personalunion war Dennis Peron. Bevor Peron 1994 mit dem "San Francisco Cannabis Buyers Club" die erste legale Cannabis-Abgabestelle der USA eröffnete, war er bereits eine feste Größe der LGBTQ-Community San Franciscos. Peron hatte bereits in den 1970er Jahren Harvey Milks Wahlkämpfe unterstützt. Dieser galt bis zu seiner Ermordung im Jahr 1978 als der bekannteste LGBTQ-Aktivist der USA.

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Als schwule Männer dann in den 1980er Jahren überproportional häufig von HIV/AIDS betroffen waren, begann sich der Aktivismus für LGBTQ-Rechte mit dem Cannabis-Aktivismus nicht nur bei Dennis Peron politisch und personell zu überschneiden. Denn Cannabis war zehn Jahre vor der Entwicklung erster antiviraler Medikamente das einzige – damals allerdings illegale – Mittel, das HIV-Patientinnen und Patienten half, die Symptome zu lindern – oder wenigstens besser zu ertragen. So gab es besonders in der Bay Area in und um San Francisco bald viele Aktive, die sich sowohl für die Rechte queerer Menschen und von AIDS-Patienten einsetzten, als auch für eine Liberalisierung der Cannabis-Politik. Eine Legende unter diesen Aktivistinnen war Mary Jane Rathbun alias Brownie Mary. Als freiwillige Helferin im San Francisco General Hospital verteilte sie Cannabis-Brownies an AIDS-Patienten. Bis zu 1.500 Stück soll sie für diesen Zweck in manchen Monaten gebacken haben. 

Heute hat die queere Community in den USA erkannt, dass man mit legalen Cannabis-Gewinnen aktivistische Projekte fördern kann. So ist die queere Lebenskultur der Westküste mittlerweile Teil der legalen Cannabis-Branche in den USA.

In Deutschland hingegen gibt es bis heute kaum Zusammenarbeit zwischen der queeren und der Cannabis-Community. Obwohl Statistiken in den USA sogar belegen, dass LGBTQ-Menschen überdurchschnittlich oft zum Joint greifen. Kurzum: Es gibt, insbesondere im Rahmen der Legalisierung von Cannabis, viel schlummerndes Potential.

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Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen beiden Bewegungen. Man kann sich schließlich nicht einfach gegen die eigene Sexualität entscheiden, jedoch gegen einen Joint. Aber sollte der Staat erwachsene Menschen zu letzterem zwingen dürfen? Legalisierungsbefürworter würden das natürlich klar verneinen. Alleine schon, weil der Umgang mit Cannabis weniger gefährlich ist als mit Alkohol und Tabak. Dennoch wird er hart bestraft. Selbst wer in Deutschland immer nüchtern Auto fährt, kann seinen Führerschein verlieren, weil er kifft. Das konnte in Deutschland bis 1969 auch schwulen Männern noch passieren – wegen ihrer Homosexualität. Zumindest diesen Irrsinn haben wir als Gesellschaft inzwischen überwunden. Und es liegt nahe, dass wir, die Cannabis-Community, viel von der queeren Community und ihrem Kampf lernen können. Also habe ich im Februar auf meinem YouTube-Kanal das Video zum Thema "Wie queer ist Weed in Deutschland?" veröffentlicht. Wie immer habe ich gehofft, dass es auch ein paar Leute außerhalb meiner Follower-Blase wahrnehmen.

Aber anders als erwartet, wurde mir schon nach meiner Ankündigung des Videos auf Instagram übel, als ich die vielen Hass-Kommentare sah. Etwa nach der zehnten queerfeindlichen Reaktion habe ich die Kommentarfunktion zum ersten Mal seit der Eröffnung meines Profils abgeschaltet. Nach der Veröffentlichung auf YouTube musste ich zwar weniger Kommentare löschen, aber auch hier sammelten sich besonders in den ersten Stunden nach der Veröffentlichung überdurchschnittlich viele queerfeindliche Kommentare und Dislikes – auch von Abonnenten. Ich dachte immer, Kiffer seien toleranter. Denn viele von ihnen wissen, wie es sich anfühlt, sich ein halbes Leben lang verstecken zu müssen oder eines Verbrechens ohne Opfer angeklagt zu werden.

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Die deutsche Legalisierungsbewegung, zu der ich mich selbst seit über 30  Jahren zähle, wurzelt außerdem im politisch eher linken Spektrum. Dort, so war mein Eindruck, stand die Gleichberechtigung von LGTBQ-Menschen nicht in Frage. Cannabis hat die Nische und das Image der Hippie-Droge aber längst hinter sich gelassen und die breite Gesellschaft erobert. Und dort gibt es leider immer noch Menschen mit queerfeindlichen Ansichten. Die finden ihren Weg dann auch in die Kommentare von sehr spezifischen Cannabis-Videos auf YouTube.

Querfeindlichkeit taucht offenbar immer noch überall dort auf, wo wir über und mit queeren Menschen sprechen. Auch bei einem ZDF-Video von Mai Thi Nguyen-Kim zur vermeintlichen Erblichkeit von Homosexualität war es in den Kommentarspalten nicht anders. Weitere Beispiele erspare ich euch.

Aber sie legen zumindest nahe, dass solche Ausfälle nicht zwingend am Weed oder der Cannabis-Szene liegen - auch wenn ich mich wegen der Worte der queerfeindlichen Trolle ein paar mal fast erbrochen hätte. 

Denn meine persönliche Erfahrung der letzten 20 Jahre zeigt mir auch, dass es in der Cannabis-Szene nicht toleranter oder intoleranter als anderswo zugeht. Leider dominieren auch hier, wie überall, Trolle die Kommentarspalten. Wer am lautesten brüllt, verursacht die größte Welle.

Der Markt wird es regeln

Ich hoffe, dass der Markt bald regelt, was Berührungsängste, Vorurteile und queerfeindliche Trolle bislang verhindert haben. Cannabis-Produkte und Dienstleistungen, die ihren Ursprung in der queeren Community haben, sind in den USA und Kanada von Anfang an ein Teil der legalen Branche. Nicht selten spenden queere Cannabis-Unternehmen einen festgelegten Teil des Gewinns an LGBTQ- oder auch Flüchtlingsprojekte. 

Beim größten deutschen Interessenvertreter der Branche, dem Deutschen Hanfverband oder auch bei anderen Cannabis-Medien, existiert das Thema nicht. Mit Hanfgruppen beim Berliner und Mannheimer CSD gibt es immerhin erste Ansätze, aber insgesamt haben es beide Communitys bislang versäumt, ihre gemeinsamen Interessen zu erkennen, zu benennen und zusammen an deren Umsetzung zu arbeiten.

Ein Beispiel wäre die Regelversorgung von HIV-Patienten mit Cannabis. Obwohl die ihre Cannabis-Therapie nicht selten aus eigener Tasche bezahlen müssen, haben weder Cannabis- noch LGBTQ-Gruppen diesen seit sechs Jahren bestehenden Missstand je thematisiert. Die Kostenübernahme ist jedoch nur eine der vielen Möglichkeiten und Chancen, die man jetzt nutzen muss. Sollten Lesben, Schwule, Transgender, Bisexuelle, Intersexuelle,  Kifferinnen und Kiffer ihr gemeinsames Potential nicht bald selbst entdecken und nutzen, stehen bereits zahlreiche US-amerikanische oder kanadische Investmentgruppen mit Geschäftsmodellen für Cannabis-affine LGBTQ-Startups bereit. Wer die Profite eines legalen Marktes demnächst einsackt, hängt nicht unwesentlich von der zukünftigen Kooperation beider Szenen und Branchen ab.

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