Sex

Paulas Sextrieb ist niedrig: So hat sie trotzdem Sex

"Ich will Sex wollen. Ich erinnere mich daran, wie ich jünger war und ständig Lust hatte. Ich weiß, zu was ich fähig war, und das fehlt mir."
Ein junges Paar im Bett – eine Schilddrüsenunterfunktion kann die Libido senken, Paula und Victor erzählen, wie ihr Sexleben mit der Krankheit aussieht.
Symbolfoto: IMAGO / Cavan Images

Ein chronisch geringes Interesse an Sex kann viele Ursachen haben. Psychische, medikamentöse oder körperliche. Häufig sind es mehrere auf einmal. Eine zentrale Rolle spielen allerdings immer die Hormone. Produzieren wir von einigen zu wenig – aus welchen Gründen auch immer – haben wir weniger Lust auf Sex. Ein wichtiges Organ ist die Schilddrüse, sie produzierte Hormone. Die Schilddrüse befindet sich in unserem Hals, wo sie sich wie ein Schmetterling um unsere Luftröhre legt. Eine Schilddrüsenunterfunktion ist vor allem bekannt für Symptome wie Müdigkeit und Gewichtszunahme, aber Patientinnen und Patienten erleben häufig auch eine verringerte Libido – gesprochen wird darüber allerdings selten.

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Paula hat die Hashimoto-Krankheit, eine chronische Entzündung der Schilddrüse. Die Autoimmunerkrankung ist die häufigste Ursache für eine Schilddrüsenunterfunktion und nicht heilbar. Um weitestgehend symptomfrei zu leben, müssen Patientinnen und Patienten lebenslang Hormone einnehmen. Es kann allerdings lange dauern, bis die richtige Dosis gefunden ist. Wir haben mit Paula und ihrem Mann Victor darüber gesprochen, wie sich ihre Erkrankung auf ihr Sexleben auswirkt.

Paula und Victor heißen in Wahrheit anders.


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Paula: Als ich 30 war, wurde bei mir die Hashimoto-Krankheit festgestellt. Heute bin ich 36. Nach meiner Diagnose wurde mir klar, dass ich schon seit meiner College-Zeit Symptome habe. Damals habe ich das aber einfach damit abgetan, eine dauermüde Studentin zu sein. Mit Ende 20 wurden die Symptome so schlimm, dass ich sie nicht länger als "eingebildet" der "normalen Teil des Älterwerdens" abtun konnten.

Ich schlief viel mehr als alle, die ich kannte. Ich hatte chronische Entzündungen in meinem oberen Rücken. Meine Haare fielen aus, die Ränder meiner Augenbrauen verschwanden. Ich konnte nur 1.000 Kalorien am Tag essen und fünf Tage die Woche Sport machen und nahm trotzdem zu. Ich hatte große Probleme, mich zu konzentrieren, und konnte mich nur mit Mühe in meinem super-stressfreien Job halten. Ich hatte selbst keine Energie für Dinge, die mir eigentlich Spaß machen.

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Nachdem ich meine Diagnose hatte, dauerte es allerdings noch zwei Jahre, bis ich größtenteils symptomfrei war. Es war ein schrittweiser Prozess. Ich änderte meine Medikamentendosen, wartete die Veränderungen ab, ließ mein Blut untersuchen und fing den Prozess dann wieder von vorne an.

Victor: Wir waren bereits über drei Jahre verheiratet, als Paula ihre Diagnose erhielt. Bis dahin wusste ich noch nicht mal, was eine Schilddrüse genau ist.

Paula: Meine Symptome wurden richtig schlimm, nachdem ich anfing, die Pille zu nehmen. Das war etwa drei Monate vor unserer Hochzeit. Es gibt viel medizinische Aufsätze darüber, dass sie die Schilddrüsenfunktion beeinflussen kann. Sie dürfte definitiv dazu beigetragen haben, meine Symptome zu verschlechtern.

Victor: Ich bemerkte direkt nach unserer Hochzeit, wie unser Sexleben schnell zum Erliegen kam. Ein Teil von mir dachte anfangs, das sei einfach das typische Eheklischee: Sobald du sesshaft wirst, hörst du auf, Sex zu haben. Das war für mich enttäuschend und frustrierend, denn wir hatten auch vor der Hochzeit nicht besonders viel penetrativen Sex. Ich glaube, wir haben damals allerdings nicht viel darüber gesprochen.

Nach der Diagnose hat es nicht lange gedauert, bis wir Paulas Schilddrüsenerkrankung mit unserem Sexleben in Verbindung brachten. Es war eine Erleichterung für uns, dass unser beschränktes Sexleben darauf zurückzuführen war.

Paula: Ja, meine Libido war im Keller. Leider ist es auch das einzige Symptom, das ich noch nicht lindern konnte. Es scheint üblich bei Menschen mit der Hashimoto-Krankheit zu sein – jedenfalls bei denen, mit denen ich gesprochen habe. Mitte 2020 habe ich auch eine Therapie angefangen, um herauszufinden, ob die Probleme mit meiner Libido auch andere Ursachen haben. Momentan sieht es allerdings nicht so aus.

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Ich will Sex wollen. Manchmal ist es schwer, das anderen Leuten begreifbar zu machen. Ich erinnere mich daran, wie ich jünger war und ständig Lust hatte. Ich weiß, dass ich dazu fähig war, und es fehlt mir. Ich habe einfach kein ernsthaftes Verlangen nach Sex mehr – jedenfalls nicht so wie Victor. Seine Libido ist viel größer als meine und körperliche Intimität ist für ihn extrem wichtig, um Liebe zu zeigen und zu erfahren. Ich habe einfach Probleme, in die richtige Stimmung dafür zu kommen.

Wir haben nicht besonders oft Sex – und wenn wir welchen haben, ist es zur Hälfte, weil ich weiß, dass es lange her ist, und mir bewusst ist, dass Victor diesen emotionalen und mentalen Anschub braucht. Ich will ihm das geben. Und zur anderen Hälfte haben wir Sex, weil ich selbst Lust darauf habe.

Victor: Ich würde sagen, dass wir momentan etwa alle zwei Monate penetrativen Sex haben – manchmal seltener. Aber wir haben etwa einmal im Monat auch Momente, in denen was passiert, die aber nicht zu Sex führen. Als Paulas Symptome schlimmer wurden, verlor auch unser Sex an Energie. Es wurde … Ich will nicht sagen nullachtfünfzehn …

Paula: [Lacht] Doch, das kannst du schon sagen!

Victor: Als würde man etwas von einer Liste abhaken.

Paula: Wegen meiner Schilddrüsenprobleme ist es schwer für mich, Muskeln aufzubauen. Ich bin nicht besonders stark und kann mich nicht besonders lang in athletischen Positionen halten. Es ist schon ein Kraftakt für mich, überhaupt die Energie für Sex aufzubringen. Ich würde unseren Sex dementsprechend als ziemlich vanilla bezeichnen, also brav.

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Dazu erfordert Sex bei uns ein gewisses Maß an Logistik. Bevor meine Symptome richtig schlimm wurden, hatte ich nie Probleme damit, feucht zu werden. Aber wenn wir jetzt nicht einen Haufen Gleitgel benutzen, fühlt es sich einfach nicht gut für mich an. Ich habe kein Problem, einen Orgasmus zu haben, wenn ich mich auf den Sex einlassen kann. Aber wenn ich es mal geschafft habe, ein bisschen Lust zu bekommen, kann eine Unterbrechung des Flows, zum Beispiel um mein Diaphragma einzusetzen, die Sache für mich ruinieren und mir den Weg zum Höhepunkt versperren.

Das Wichtigste beim Sex ist für mich momentan, etwas Intimes mit Victor zu machen – ihm körperlich meine Liebe zu zeigen. Wenn ich dabei noch einen Orgasmus bekomme, ist das super. Ich habe nicht so ein Bedürfnis danach wie andere Menschen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich Victor als Partnerin enttäusche, weil ich so selten die Energie für Sex habe oder aufbringen möchte – und wir entsprechend selten intim sind.

Victor: Wir haben viele Unterhaltungen darüber geführt, wie die Schilddrüsenerkrankung Paulas Leben generell beeinflusst, aber wir haben nicht besonders viel darüber gesprochen, wie sie unser Sexleben beeinflusst – abgesehen davon, unsere Frustration darüber auszudrücken.

Ich weiß, wie aufwendig es für sie ist, Sex zu haben – und wie selten sie Lust auf Sex hat. Ich will nicht, dass sie sich deswegen schlecht fühlt. Mir wäre es lieber, dass es Paula generell besser geht, anstatt dass sie sich bemüht, mehr Sex mit mir zu haben. Ich habe langsam akzeptiert, dass das etwas ist, das wir momentan nicht kontrollieren können – und mit dem wir leben müssen. Ich versuche nicht mehr so häufig, Sex zu initiieren, weil ich gelernt habe zu warten, bis Paula mir sagt, dass sie die Energie dafür hat.

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Paula: Ich fühle mich nie von Victor unter Druck gesetzt, mehr Sex zu haben, als ich möchte. Das Schuldgefühl, das ich deswegen habe, kommt aus mir selbst. Wir wollen eine Paartherapie machen, um unser unterschiedliches Verlangen besser aufeinander abzustimmen, und sicherzustellen, dass wir gut miteinander kommunizieren – nicht nur in unserem Sexleben, sondern generell.

Victor: Mir ist es wichtig, dass wir viel kuscheln, wenn wir ins Bett gehen und aufwachen. Selbst vor ihrer Diagnose brauchte Paula tägliche Fußmassagen. Am Anfang unserer Beziehung war ich manchmal genervt davon. Im Laufe der vergangenen Jahre allerdings ist es für mich eine weitere Form der Intimität geworden. Es verbindet uns körperlich wie Sex.

Paula: Kuscheln und Fußmassagen bringen mir tatsächlich genau so viel wie Sex.

Victor: Ich mache auch verdammt gute Fußmassagen.

Paula: Das stimmt!

Victor: Masturbieren funktioniert bei mir nicht wirklich, weil ich SSRI-Antidepressiva nehme. Die machen das ein bisschen … fruchtlos, sage ich mal. Meine Lust auf Sex haben die allerdings überhaupt nicht beeinflusst. Sie machen es mir nur schwerer, einen Orgasmus zu haben, wenn wir Sex haben – insbesondere, wenn wir zusätzlich zu ihrem Diaphragma noch mit Kondom verhüten. Das kann nett sein, weil der Sex länger dauert. Ich möchte das Meiste aus unserem Sex holen, wenn wir endlich mal welchen haben.

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Paula: [Lacht] Ich habe den Eindruck, dass es dich nicht groß stört, wenn wir Sex haben und du nicht kommst. Du scheinst trotzdem mit der Intimität zufrieden zu sein, die wir haben.

Victor: Ich bin schon immer etwas enttäuscht, dass es nicht klappt, aber ja.

Paula: Auch wenn ich eine sehr gute Beziehung zu meiner Ärztin habe, ist mir aufgefallen, dass meine verminderte Libido kein Symptom ist, dem sie bei meiner Behandlung große Aufmerksamkeit schenkt. Ich habe es schon mehrmals vor ihr angesprochen, aber sie ist nie darauf eingegangen. Tatsächlich ist ein verminderter Sextrieb ein anerkanntes Symptom von Schilddrüsenerkrankungen, aber ich habe noch nie gehört, dass Ärzte es proaktiv angesprochen hätten.

Ich weiß nicht, ob sie es unwichtig finden oder ob sie es einfach nicht gut behandeln können. Was es auch immer ist, es ist frustrierend. Diese Einschränkung beeinflusst mein Leben negativ. Beim kommenden Termin diesen Sommer, in dem wir meine Behandlung anpassen, werde ich sie noch mal konkret darauf ansprechen müssen und sie nicht ohne Antwort davonkommen lassen. Bei Sex und Schilddrüsenerkrankungen musst du wirklich für dich selbst einstehen.

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