Berna, eine junge Frau mit braunen Locken und breitem Lächeln
Alle Fotos: Hakki Topcu
Menschen

10 Fragen an eine Romni, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Beherrschst du Schwarze Magie? Warum sind so viele Roma und Romnja obdachlos? Greifen Menschen nach ihren Handtaschen, wenn sie dich sehen?

Jeder zweite Alman hätte ein Problem damit, Serçe Berna Öznarçiçeği als Nachbarin zu haben. Denn Berna, 31, ist Romni. In einer Studie von 2014 war die Minderheit unter Deutschen noch weniger beliebt als Geflüchtete, Muslime und Schwarze Menschen.

Etwa 70.000 Roma und Romnja, Sinti und Sintiza sollen in Deutschland leben. Einige Familien schon seit Jahrhunderten. Genauso lange begegnen ihnen Rassismus und Antiziganismus. Viele lernen deshalb, ihre Identität schon von klein auf zu verstecken. Auch Berna.

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Mit 25 beschloss sie, dass damit Schluss sein muss. Berna outete sich als Romni. Heute, drei Jahre später, arbeitet sie in der Selbstorganisation "IniRromnja". Einer Gruppe Aktivistinnen, Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen, die sich gegen Diskriminierung engagieren. Außerdem gibt sie Antiziganismus-Fortbildungen für Lehrerinnen und Sozialarbeiter: Klischees und Rassismen gegenüber Roma und Romnja hat sie also so ziemlich alle schon gehört.

Wir haben Fragen.

VICE: Hast du schon mal ein "Zigeunerschnitzel"* bestellt?
Serçe Berna Öznarçiçeği: Nein. Ich bin Veganerin und finde Fleisch eklig. Aber immer, wenn ich es in der Imbissbude sehe, frage ich: Habt ihr auch ein Judenschnitzel? Einfach, um den Gesichtsausdruck zu sehen. Da sind die Leute erstmal schockiert und daran merkt man, dass die eine Geschichte – die Shoah – aufgearbeitet ist. Die andere – der Porajmos – nicht. Unter diesem Begriff wurden mehr als eine Million Sinti, Sintize, Romnja und Roma ermordet. Was macht es mit den Betroffenen, verdammt nochmal, dass das Wort heute so normalisiert ist? * Um zu betonen, dass es in keinem Kontext OK ist, das Wort auszusprechen, haben wir es durchgestrichen. Berna nennt es "das rassistische Wort"

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Habt ihr wirklich eine geheime Sprache, die Nicht-Roma nicht lernen dürfen?
Auch das hat mit dem Nationalsozialismus zu tun. Vor 1945 haben die Nazis Romanes gelernt, damit sie Nähe und Vertrauen schaffen konnten. Diese Nähe haben sie ausgenutzt, um herauszufinden, wer zur Minderheit gehört – und sie zu deportieren. Deswegen ist das heute ein schwieriges Thema. Ich finde, Gadjé – also Nicht-Romnja – sollten die Sprache nicht lernen dürfen, bis diese Geschichte komplett aufgearbeitet ist.

Versteckst du manchmal, dass du Romni bist?
Manchmal. Es gibt unterschiedliche Strategien, mit der Identität umzugehen, gerade für Jugendliche. Ich wollte als Kind immer weiß, blond und blauäugig sein und habe ziemlich darunter gelitten, dass ich so braun bin. Lange habe ich mich versteckt und assimiliert. Ich stehe erst seit drei Jahren zu meiner Identität und sage auch öffentlich, dass ich Romni bin – und muss dann eben auch mit dem Rassismus leben. Ich habe immer Angst, dass ich exotische Bilder in den Köpfen schaffe: in Richtung Esmeralda. Oder rassistische Bilder: vom Klauen und Lügen. Gleichzeitig denke ich an Menschen, die sowas wie mich brauchen. Ich gehöre zu den wenigen, die das öffentlich sagen, denn ich möchte meine Brüder und Schwestern in ihrem Outing bestärken.


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Warum scheinen so viele Roma und Romnja obdachlos zu sein?
Die Frage finde ich schwierig. Hast du denen in den Pass geschaut? Du weißt nicht, welche ethnische oder Staatsangehörigkeit die haben. Und selbst wenn, musst du das im Kontext sehen: Was haben die Menschen durchgemacht? Es gibt viele Studien, die belegen, dass Roma und Romnja international die am stärksten diskriminierte gesellschaftliche Gruppe sind. Oft fragen Leute auch, warum Roma-Kinder nicht in die Schule gehen. Dabei vergessen sie, dass die Minderheit ein generationsübergreifendes Trauma in sich trägt, das sich auch im Misstrauen gegenüber Behörden ausdrückt. Wegen des Stigmas bekommen viele Roma und Romnja keine Wohnräume. Dazu kommt, dass manche seit 15, 20 Jahren nur geduldet sind. Und während es für Geflüchtete große Demos gab, habe ich das in den letzten zehn Jahren für uns nicht erlebt. Wir sind einfach unsichtbar.

Jeder fünfte Deutsche will einfach alle Sinti und Roma abschieben. Wollte man dich schon mal abschieben?
Bei meiner Geburt. Das erzählt meine Mutter gerne: Sie hatte keine Visum-Verlängerung bekommen, also standen, kurz nachdem ich auf der Welt war, Polizisten im Raum. Die meinten: "Ach, wie süß. Wir kommen später nochmal und dann werden sie abgeschoben." Unsere Rettung war, das Bundesland zu wechseln, dann konnte man nochmals neu den Aufenthalt beantragen.

Wohnst du auf einem Campingplatz und ziehst andauernd um?
Na ja. Ich bin wegen des Studiums von Koblenz nach Mainz gezogen und von Mainz nach Aachen. Ich wohne seit sieben Jahren in einem Haus und bin glücklich. Aber im Ernst: Die deutsche Geschichte hat dazu geführt, dass uns unsere Besitztümer, unsere Berufe und unsere Häuser genommen wurden. Und heute werden wir gefragt, warum wir im Campingwagen wohnen? Die Almans sollten sich dafür schämen, dass sie dieses Klischee verursacht haben.

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Beherrschst du Schwarze Magie?
Klar, immer wenn ich alleine bin. Also manchmal lache ich sogar über solche Klischees. Neulich meinte eine Freundin: Ich schicke dir Mut über meine Kristallkugel. Und ich meinte: Und ich klau sie dir. Aber nein, mit Wahrsagerei kenne ich mich nicht aus.

Warum erzählen manche Menschen, dass Roma Kinder klauen?
In Mitteleuropa sollten zur Zeit der Aufklärung Menschen aus der Minderheit "erzogen" werden. Dann war die Frage: Wie stellt man das an? Also hat man die Erwachsenen in Arbeitslager gesteckt und die Kinder aus den Familien genommen und in christliche Pflegefamilien gesteckt. Die sind dort als Bedienstete aufgewachsen. Und was haben die Mütter und Väter aus der Minderheit gemacht? Ihre Kinder natürlich – zu Recht – zurückgeholt. Es waren die Weißen, die Kinder klauten.

Links liegt Berna auf dem Sofa und liest ein Buch, rechts sehen wir Aufkleber

Greifen Menschen oft nach ihren Handtaschen, wenn sie dich sehen?
Super oft. Gerade erst auf dem Weg zur Arbeit, auf der Rolltreppe der U-Bahn. Da schaut mich ein Mann mehrfach an und nimmt dann seine Tasche nach vorn. Ich denke: Was denkst du denn, wer ich bin? Ich höre einfach Musik und versuche gerade, wach zu werden, während ich zur Arbeit fahre. Ich finde das unverschämt. Ich bin Akademikerin und arbeite. Ich bin zum Glück nicht darauf angewiesen zu stehlen. Außerdem bin ich Humanistin und würde niemandem was klauen.

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Gibst du bettelnden Roma und Romnja Geld, oder machst du es nicht, "weil da eine Mafia dahinter steckt"?
Woher soll ich wissen, ob das Leute aus meiner Minderheit sind? Aber ja, ich gebe immer wieder Geld. Das ändert natürlich nichts am Status Quo. Aber selbst wenn mafiöse Strukturen dahinter stehen, frage ich mich: Was haben diese Menschen erlebt, dass sie das machen? Es ist hart und traurig, ganz unabhängig davon, welche ethnische Zugehörigkeit man hat. Wer von uns würde schon freiwillig betteln? Wir leben im Kapitalismus – ich mache da nicht den Einzelnen verantwortlich.

Update vom 7. Januar 2021, 11.06 Uhr: Johann Trollmann hat den Holocaust nicht überlebt, er starb 1944 im KZ-Außenlager Wittenberge. Wir haben das berichtigt.

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