Richterin schlägt mit dem Hammer auf den Tisch. Ein Flugzeug am Himmel. Aserbaidschaner demonstrieren vor dem Bundeskanzleramt in Berlin.
Flugzeug: IMAGO / ZUMA Wire | Richterin: IMAGO / ingimage | Kanzleramt: IMAGO / Fotostand | Demonstrierende: Privat || Collage: Philipp Sipos
Politik

Rückflug in die Diktatur: Deutschland schiebt Oppositionelle ab, Aserbaidschan sperrt sie ein

Wir haben einige der Regimekritiker aufgespürt. Währenddessen will die Bundesregierung aserbaidschanisches Gas nach Deutschland pumpen.

Sein Leben sei in Gefahr, sagt Samir Ashurov vor der Richterin. Wenn er nach Aserbaidschan abgeschoben werde, würde man ihn festnehmen, erklärt er im November 2021 vor dem Verwaltungsgericht Regensburg. Aserbaidschan ist eine Diktatur, die ihre Kritiker verfolgt und freie Presse kaum zulässt. Dennoch schiebt Deutschland regelmäßig Menschen nach Aserbaidschan ab – öfter als jedes andere europäische Land. Und es will sich Erdgas von dort holen. Ashurov protestiert seit Jahren gegen diese Diktatur und ihren Machthaber Ilham Aliyev. Das Regime habe ihn auf eine schwarze Liste gesetzt, er sei dort nicht sicher, sagt er vor Gericht. 

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Ashurov sollte recht behalten. 


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Außerhalb des Gerichtssaals ist Ashurov ein Familienvater. Einer, der mit seiner Tochter grillt, mit ihr im Schwimmbad vom Dreimeterbrett springt und sein Auto über bayerische Landstraßen lenkt.

Im Gerichtssaal ist Ashurov ein Asylbewerber. Ein bereits abgelehnter, der dem Gericht erklären muss, warum er und seine Familie auf keinen Fall nach Aserbaidschan zurückkehren können.

Sein Anwalt gibt der Richterin Fotos. Sie zeigen Ashurov auf Demonstrationen. Die Richterin fragt:

"Inwiefern engagieren Sie sich in Deutschland exilpolitisch?"

"Warum glauben Sie, dass Sie bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan gefährdet wären?"

"Inwiefern glauben Sie, dass dieses Engagement den aserbaidschanischen Behörden überhaupt bekannt geworden sein könnte?"

Samir Ashurov antwortet, so gut er kann. Er spricht Aserbaidschanisch. Eine Dolmetscherin übersetzt. 

Schon vorher hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, entschieden, dass die Familie Ashurov nach Aserbaidschan abgeschoben wird. Was Samir Ashurov vorlegte, sei "unschlüssig, in sich widersprüchlich, lebensfremd und unglaubhaft", zitiert das Gericht die BAMF-Entscheidung. 

Ein Mann mit dunklen Haaren und 5-Tage-Bart schaut freundlich. Er trägt ein gelbes Hemd und eine blaue Jacke.

Samir Ashurov, 38 Jahre, lebte vier Jahre in Deutschland, bevor er abgeschoben wurde. Seit einem halben Jahr sitzt er in Aserbaidschan im Gefängnis | Foto: privat | Bearbeitung: VICE

Nach 2 Stunden und 41 Minuten Verhandlung kommt die Richterin zur gleichen Einschätzung. Ashurov, seine Frau, seine Tochter und sein Sohn sollen Deutschland verlassen. Das Gericht glaubt nicht, dass Ashurov so gefährdet ist, wie er es vorgibt. "Eine relevante Verfolgungsgefahr im Falle der Rückkehr […] [kann] nicht festgestellt werden", schreibt das Gericht in seiner Urteilsbegründung.

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Fünf Monate später, im März 2022, klingelt die Polizei die Familie Ashurov aus dem Schlaf. Nachts um 3 Uhr legen die Beamten Samir Ashurov Handschellen an und setzen ihn in ein Polizeiauto. Samir hat in wenigen Wochen Geburtstag. Seine Frau Nurana Ashurova und die Kinder haben schon Geschenke für ihn. Doch die bleiben im bayerischen Grafenau zurück. Am nächsten Tag landen die vier in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans. Im April, keinen Monat nach der Abschiebung, nimmt die aserbaidschanische Polizei Samir Ashurov fest. 

Samir Ashurov ist einer von acht Männern, die innerhalb der vergangenen anderthalb Jahre aus Deutschland nach Aserbaidschan zurückkehrten und dort verhaftet wurden. Die meisten von ihnen hatten in Deutschland Asyl als politisch Verfolgte beantragt. Was die Männer eint: Sie protestierten gegen den aserbaidschanischen Diktator Ilham Aliyev. Wie kann es sein, dass politisch Verfolgte in Deutschland keinen Schutz bekommen, abgeschoben und im Herkunftsland verhaftet werden? VICE und das aserbaidschanische Exilmedium Mikroskop Media haben monatelang zu den Fällen der Männer aus Aserbaidschan recherchiert, mit Angehörigen und Anwälten gesprochen – und deutsche Behörden gefragt, was schiefgelaufen ist.

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Der Diktator und sein Gas

Fake-Wahlbeobachter: Wie deutsche Politiker autokratischen Regimen helfen

Noch bevor Samir Ashurov nach Deutschland kommt, engagiert er sich in der oppositionellen REAL-Partei in Aserbaidschan. In Baku hält er bei Protesten Plakate hoch, auf denen steht, Machthaber Aliyev sei ein Diktator. Ist doch wahr, könnte man sich jetzt denken, doch es ist ein Affront gegen das Regime. Die Polizei nimmt ihn fest, sperrt ihn einen Monat lang ein, lässt ihn frei, nimmt ihn danach erneut fest und sperrt ihn zwei Monate lang ein. Seine Frau Nurana Ashurova erinnert sich: "Die Polizisten drohten ihm, dass er und wir, seine Familie, leiden würden, wenn er weiter protestiere." Nachdem Ashurov entlassen wird, flieht er mit seiner Familie nach Deutschland. 

Eine Frau mit braunen Haaren blickt freundlich. Hinter ihr ist ein Metallgitter.

Nurana Ashurova, 38 Jahre, ist die Frau von Samir. Auch sie wurde abgeschoben. Nun kämpft sie dafür, dass ihr Mann freigelassen wird | Foto: privat | Bearbeitung: VICE

Deutschland hat sich im Sommer 2022 in eine seltsame Abhängigkeit begeben: Man will nun Gas aus Aserbaidschan hierher pumpen, damit im Winter niemand frieren muss. Von russischem Gas will man unabhängig sein. Also wechselt man einmal den Diktator für Energie-Deals: Ilham Aliyev statt Wladimir Putin. Aserbaidschan statt Russland. Hauptsache Erdgas! Weil man sich in diese Abhängigkeit hinein verhandelt hat, kann die Bundesregierung nun kein kritisches Wort über Aserbaidschan verlieren. Selbst dann nicht, als Aserbaidschan im September dieses Jahres Armenien angreift.

Um konkrete Aussagen dazu, wer nun wen angegriffen hat, windet sich das Auswärtige Amt herum. Ein Sprecher des Ministeriums druckste Mitte September auf der Regierungspressekonferenz: "Die Angaben von beiden Seiten lassen sich halt mangels unabhängiger Beobachter vor Ort nicht unabhängig bestätigen und überprüfen. Insofern kann ich dazu hier auch nicht weiter Stellung nehmen."

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Auch Wochen später ist man mit der Bewertung im Auswärtigen Amt nicht vorangekommen. Auf unsere Anfrage sagt ein Sprecher am Telefon, man habe den bisherigen Äußerungen nichts hinzuzufügen. 

Während das Auswärtige Amt laut schweigt, schiebt das Innenministerium Menschen nach Aserbaidschan ab. 141 Menschen waren es allein dieses Jahr bis August. Das geht aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Bundestagsabgeordneten Clara Bünger von Die Linke hervor, die VICE exklusiv vorliegt. In der gleichen Zeit hat das BAMF über 582 Asylanträge entschieden. In nur 46 Fällen entschied die Behörde, dass ein Mensch bleiben darf. 

Das Balkendiagramm zeigt wie Deutschland immer mehr Menschen nach Aserbaidschan abschiebt. Dieses Jahr waren es bis August 141.

Jahr für Jahr hat Deutschland mehr Menschen nach Aserbaidschan abgeschoben, bis 2020 die Coronapandemie anfing | Grafik: Philipp Sipos

Die Bundesregierung weiß, dass Oppositionelle, Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten nach ihrer Abschiebung Repressionen durch aserbaidschanische Behörden erleiden müssen. Und was macht sie deswegen? Die Regierung verweist darauf, dass das BAMF seine Leitsätze regelmäßig anpasse. Nur: Das letzte Mal geschah das im Mai, also Monate vor dem Angriff Aserbaidschans. Offenbar ändert die Aggression Aserbaidschans nichts für Asylverfahren. Genauso wenig ändert scheinbar das Wissen darüber, dass sieben oppositionelle Abgeschobene im Gefängnis sitzen.

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"Vieles deutet darauf hin, dass in mehreren Fällen von Verfolgung bedrohte Oppositionelle durch eine Abschiebung aus Deutschland an die aserbaidschanischen Verfolgungsbehörden faktisch ausgeliefert wurden. Das ist ungeheuerlich und verweist auf gravierende Mängel der BAMF-Entscheidungen", sagt die Linken-Abgeordnete Clara Bünger. Die Bundesregierung müsse alles in ihrer Macht stehende tun, damit die Betroffenen freikommen und nach Deutschland zurückkehren können, wenn sie dies möchten, fordert sie.

"Sie haben uns nicht geglaubt"

Nach den Drohungen der aserbaidschanischen Polizei habe er Flüge nach Deutschland gebucht, erinnert sich seine Frau. Im August 2018 landet er mit seiner Familie. Die vier stellen Asylanträge. Ashurovs Kinder, damals acht und neun Jahre alt, lernen Deutsch, gehen zur Schule, finden Freunde. Nurana Ashurova macht eine Ausbildung zur Erzieherin. Wer durch Samir Ashurovs Profile auf Instagram und Facebook scrollt, bekommt einen Eindruck von seinem Leben in Deutschland: Er legt die Führerscheinprüfung ab, steht in Flipflops am Ufer und füttert Enten, isst mit seiner Familie bei McDonald's. Und er demonstriert. 

In Berlin schläft er mehrere Nächte in einem Zelt vor dem Bundestag. In München steht er neben Transparenten, auf denen steht: "Ilhalm Aliyevs Diktatur ist eine Bedrohung für das Europa!" Auch vor Gericht zählt er die Demonstrationen auf, an denen er teilgenommen hat: Köln, Gießen, Nürnberg. "Es waren sehr viele Demos", sagt Ashurov. Einige habe er selbst organisiert. Auf anderen habe er Reden gehalten. Einmal protestiert er direkt vor dem BAMF in Nürnberg. Das BAMF nimmt seinen Protest wahr. Man habe diesen berücksichtigt und im Asylverfahren geprüft, schreibt die Behörde auf Anfrage.

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"Trotzdem haben sie uns nicht geglaubt", sagt seine Frau Nurana Ashurova. Sie sitzt in ihrer kleinen Wohnung in Baku und erzählt über Zoom von ihrer Zeit in Deutschland. Damals war auch sie vor Gericht und berichtete dort vom politischen Engagement ihres Mannes. Doch das half nichts. Heute ist Samir Ashurov 38 Jahre alt und sitzt in aserbaidschanischer Untersuchungshaft. Was wirft man ihm vor?

Zuerst wird er wegen schwerer Körperverletzung festgenommen. Später ändert die Polizei die Anzeige zu: öffentliche Anstiftung zur Schlägerei. Dann ergänzt sie einen weiteren Tatvorwurf: Körperverletzung mit einer Waffe. Ashurov wird beschuldigt, auf jemanden mit einem Messer eingestochen zu haben. Den Namen des Mannes, den er verletzt haben soll, erfährt Ashurov erst in Haft, sagt seine Frau.

Korrupter Staat, fingierte Taten?

Den anderen Männern, die einst in Deutschland lebten und jetzt in aserbaidschanischen Gefängnissen sitzen, werden ähnliche Taten vorgeworfen: Messerstecherei oder Drogenschmuggel heißt es meistens. Die wenigen regierungskritischen Medien, die über Aserbaidschan berichten, schreiben darüber, wie normale Männer plötzlich zu Drogenbaronen oder Messerstechern erklärt werden – ohne dass sie vorher ein Gesetz gebrochen hätten. Das Regime hänge Oppositionellen Taten an, die sie nie begangen haben dürften, steht in diesen Artikeln. Ob die Männer wirklich Drogen oder Messer in ihren Händen hatten, lässt sich nicht prüfen. Ihre Familien sagen Nein. Die Polizei sagt Ja. Aserbaidschanische Gerichte werden entscheiden, wem der Staat Glauben schenkt. 

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Die deutsche Anwältin für Migrationsrecht Judith Herbe hält es für wahrscheinlich, dass derartige Taten fingiert sind: "Ich glaube, man darf die Gründe anzweifeln, aus denen Abgeschobene verhaftet werden. Ich habe schon oft gehört, dass Personen Drogen untergeschoben wurden, um sie strafverfolgen zu können." Aserbaidschanische Staatsbedienstete fingierten Beweise, sagt Herbe. "Nach außen kann der Staat dann zeigen: Wir haben einen Verbrecher verhaftet, doch in Wahrheit ist an den Vorwürfen nichts dran." 

Auch ein Blick auf Rechtsstaatlichkeit-Rankings macht wenig Hoffnung auf faire Verfahren. Im neuen Freedom-House-Index, der misst, wie frei und demokratisch ein Staat ist, wird Aserbaidschan als "nicht frei" eingestuft. Der Staat bekommt genauso viele Punkte wie Jemen oder China. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International liegt Aserbaidschan weit hinten, auf Platz 128 von 180. 

Erst die Abschiebung, dann die Gerichtsverhandlung

Zwei der ehemaligen Asylbewerber wurden von aserbaidschanischen Gerichten bereits verurteilt. Einer von ihnen ist Punhan Karimli. Er soll Betäubungsmittel gekauft haben. Seine Situation ist besonders absurd: Denn während Karimli eine sechsjährige Haftstrafe in Aserbaidschan absitzt, verhandelt ein deutsches Verwaltungsgericht noch darüber, ob er nicht doch in Deutschland bleiben darf. Sein Asylverfahren läuft weiter. "Der Umstand, dass der Kläger bereits vor der mündlichen Verhandlung abgeschoben wurde, ist nicht der Regelfall einer asylrechtlichen Streitigkeit", erklärt ein Sprecher des Verwaltungsgerichts Würzburg. Karimli sei abgeschoben worden, weil weder er noch sein Anwalt einen Antrag zur Aufschiebung der Abschiebung stellten. Sie hätten zwar die Klage eingereicht, doch der Antrag fehlte, erklärt ein Sprecher.

Im europäischen Vergleich schiebt Deutschland die meisten Aserbaidschaner ab. So geht es aus Zahlen hervor, die Mikroskop Media bei den aserbaidschanischen Behörden erfragt hat. 

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Ein buntes Balkendiagramm zeigt, dass Deutschland im europäischen Vergleich die meisten Menschen nach Aserbaidschan abschiebt.

Die Grafik unseres Kooperationspartners 'Mikroskop Media' zeigt Zahlen, die das aserbaidschanische Migrationsamt erhoben haben

Die Bundesregierung weiß genau, wie schlecht es um die Menschenrechtslage in Aserbaidschan steht. Schon in einem Bericht aus dem Jahr 2020 schreibt sie: "Menschen werden aus politischen Gründen inhaftiert und Druck auf Regierungskritiker ausgeübt. Die Justiz ist nicht unabhängig." Während wir recherchieren, wird auch der aserbaidschanische Anwalt von Samir Ashurov verhaftet. Später entscheidet ein aserbaidschanisches Gericht, ihn unter Hausarrest zu stellen.

Was tut die deutsche Regierung?

Können deutsche Behörden und Gerichte sich so sehr irren, dass sie gefährdete Menschen abschieben, ohne die Gefahr zu erkennen? VICE und Mikroskop Media haben das Auswärtige Amt, das Innenministerium und das BAMF um Stellungnahme gebeten. Alle äußern sich zunächst zurückhaltend und erklären, dass man zu Einzelfällen nichts sagen könne. 

Als wir noch mal nachfragen, wird klar: Deutsche Behörden wissen sehr wohl von dem Unheil, das Abgeschobenen in Aserbaidschan droht. Das BAMF schreibt, ihm sei bekannt, dass Oppositionelle nach einer Abschiebung politisch motivierten Repressionen ausgesetzt waren – durch aserbaidschanische Behörden. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, die Deutsche Botschaft in Aserbaidschan beobachte Gerichtsprozesse gegen Menschen, die aus Deutschland abgeschoben wurden.

"Gegenüber den aserbaidschanischen Behörden thematisiert das Auswärtige Amt diese Fälle", schreibt eine Sprecherin des Ministeriums. Die Erkenntnisse aus Aserbaidschan stelle das Auswärtige Amt den Innen-, Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichten zur Verfügung. Auch das Innenministerium weiß, "dass es in Einzelfällen zu Inhaftnahme in Aserbaidschan nach der Abschiebung aus Deutschland kam". Deutsche Behörden wissen also um die Folgen ihrer Entscheidungen. Doch sie tun nichts – oder besser gesagt: nichts, was wirkt.

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Wissen die Behörden denn auch, ob die Verhaftungen mit dem politischen Engagement der Abgeschobenen zusammenhängen? Wie schon beim Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien duckt sich die Bundesregierung weg. Das Innenministerium schreibt auf unsere Anfrage, es könne einen Zusammenhang weder bestätigen noch ausschließen. Das BAMF sagt, es lägen keine gesicherten Erkenntnisse vor. "Das von Herrn Ashurov vorgebrachte politische Engagement wurde im Asylverfahren berücksichtigt'', erklärt ein Sprecher. 

"Schätzen Sie die Entscheidung, Samir Ashurov abzuschieben, zum heutigen Zeitpunkt als richtig ein?", wollten wir vom BAMF wissen. Es ist eine Ja-oder-Nein-Frage. Das BAMF beantwortet sie nicht. Stattdessen verweist es darauf, dass maßgeblich sei, welche Erkenntnisse damals vorlagen. Als wir bei Gericht das Urteil von Ashurov anfragen, steht ein ganz ähnlicher Hinweis in der Mail.

"Hallo. Warum hast du meinen Brief nicht beantwortet?"

Seit Samir Ashurov in Haft ist, kämpft seine Frau für seine Freilassung. Sie protestiert gemeinsam mit anderen Frauen vor der deutschen Botschaft in Baku und hält Plakate hoch. Auch ihre Kinder sind dabei. Sie tragen T-Shirts, auf denen Samirs Gesicht gedruckt ist. Die Tochter hält ein Schild in die Kamera. Auf Deutsch steht dort: "Schweigen Sie nicht über die Verhaftung politischer Aktivisten!" 

Nurana Ashurova wird von Polizisten festgehalten, als sie in Aserbaidschan für Samirs Freilassung protestiert.

Nurana Ashurova geht für Samir und die anderen Gefangenen auf die Straße | Foto: privat

Nurana Ashurovas Bruder und Schwester helfen dabei, sie und ihre Kinder zu finanzieren. Alle zehn Tage darf sie ihren Mann in der Untersuchungshaft besuchen. Dann sitzen die beiden sich gegenüber und halten einen Telefonhörer in der Hand. Eine Stunde lang dürfen sie miteinander sprechen. Berühren können sie sich dabei nicht. Eine Scheibe trennt die beiden. Ab und zu bringt Nurana ihre Kinder mit. Danach sei Samir immer niedergeschlagen, sagt sie. 

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"Bitte lesen Sie diesen Brief bis zum Ende. Ich bin die Frau von Samir Ashurov. Mein Mann ist ein politischer Aktivist."

"Ich möchte, dass Sie sich um das Thema Samir kümmern. Informieren Sie die zuständigen Behörden, Samir aus dem Gefängnis zu entlassen. Ich will deine Hilfe."

Diese E-Mails schreibt Nurana aus Aserbaidschan an deutsche Behörden. Als einige nicht antworten, versucht sie es erneut:

"Hallo. Warum hast du meinen Brief nicht beantwortet? Ignorieren Sie die Tatsache, dass Samir Ashurov im Gefängnis sitzt?"

"Bitte helfen Sie Samir Ashurov."

In Deutschland warten Hunderte Aserbaidschaner darauf, dass über ihren Asylantrag entschieden wird. Das zieht sich über Wochen, Monate, manchmal Jahre. Ravil Hasanov ist einer, der wartet. Er lebt seit vier Jahren hier und demonstriert immer wieder gegen das aserbaidschanische Regime. Ihn quält die gleiche Angst wie Samir Ashurov, als er noch hier lebte: Wenn er abgeschoben werde, werfe ihn der aserbaidschanische Staat ins Gefängnis, sagt Hasanov. 

Ein schwarzhaariger Mann mit Bart blickt zur Seite. Er trägt eine blaue Jacke.

Noch ist Ravil Hasanov in Deutschland. Er befürchtet bald abgeschoben zu werden und dann auch im aserbaidschanischen Gefängnis zu landen | Foto: privat | Bearbeitung: VICE

Aserbaidschaner in Deutschland bangen

Früher reiste er als Bauarbeiter durch Aserbaidschan und arbeitete auf Baustellen des Verkehrsministeriums. Er war Mitglied der Volksfront-Partei, eine der größten Oppositionsparteien im Land, die immer wieder Aliyev kritisiert. Manchmal ging er nicht zur Arbeit, sondern zu Demonstrationen. Als sein Vorgesetzter davon erfuhr, schmiss er Hasanov raus. Die Polizei lud ihn vor, drohte ihm und seiner Familie. Also floh Hasanov mit seiner Frau nach Deutschland.

Wie Russland versucht, ein Separatistengebiet als Staat zu etablieren

Auch hier demonstriert er gegen Aliyev. Er vermutet: "Das Regime will mit den Festnahmen die Botschaft senden: Wir schaffen es schon, euch zu verhaften, wenn ihr uns kritisiert – selbst wenn ihr in Deutschland lebt." Das BAMF hat bereits entschieden, dass er nach Aserbaidschan zurück soll. Denn es konnte bei Hasanov keine herausgehobene Stellung in der Partei erkennen. Seine Schilderungen seien zu pauschal gewesen. Und: "Eine befürchtete Verfolgung bei Rückkehr konnte ebenfalls nicht substantiiert werden." Hasanov drückt es so aus: "Sie haben mir nicht geglaubt."

Die Anwältin für Migrationsrecht Judith Herbe schätzt die Chancen generell als sehr gering ein, als Aserbaidschaner in Deutschland politisches Asyl zu bekommen. Wenn jemand gesundheitliche Probleme habe oder als qualifizierte Fachkraft einwandere, sei die Bleibeperspektive größer, erklärt die Anwältin. Auch dass Aserbaidschan diesen Herbst erneut einen Krieg gegen Armenien angefangen hat, spiele bei den Asylanträgen keine Rolle. Facharbeiter sind der Regierung willkommen, Regimekritiker sollen lieber wegbleiben, so scheint es.

Ein Mann mit Brille schaut freundlich.

Jafar Mirzayev hat sieben Jahre in Deutschland gelebt. Jetzt sitzt er im aserbaidschanischen Gefängnis und wird dort laut seinem Anwalt gefoltert | Foto: privat | Bearbeitung: VICE

Es ist seit Jahren bekannt, dass Aserbaidschan Menschenrechte verletzt und unabhängige Berichterstattung einschränkt. Auch Foltervorwürfe werden ab und zu laut. Jafar Mirzayev gehöre zu jenen, die Folter im Gefängnis erlitten haben, sagt sein aserbaidschanischer Anwalt. Davor lebte Mirzayev sieben Jahre lang in Deutschland, bis er abgeschoben wurde. Seine Kinder kamen hier zur Welt. Nun leben sie in Aserbaidschan, einem Land, das sie kaum kennen.

Drei Monate nachdem Mirzayev nach Aserbaidschan abgeschoben wurde, nahm ihn die Polizei in einem Supermarkt fest. Ihm wird vorgeworfen, Betäubungsmittel verkauft zu haben. Mirzayev streitet das ab. Und Mirzayev ist laut seinem Anwalt vorher nie strafrechtlich aufgefallen. Sein Bruder und sein Anwalt sind sich sicher, dass er wegen seiner politischen Aktivität im Gefängnis sitzt.

Vor mehr als einem Jahr, als Mirzayevs Asylantrag schon abgelehnt war, startete er gemeinsam mit seinem deutschen Anwalt einen letzten Versuch: Er schrieb an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Dort bat er darum, in Deutschland zu bleiben – trotz aller Beschlüsse, die dagegen sprachen. Der Petitionsausschuss hätte Mirzayev helfen können. Im September 2022, als Mirzayev längst abgeschoben und in eine Zelle gesperrt ist, teilt der Ausschuss mit: Man könne nichts tun.

Mitarbeit: Paul Schwenn

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